Die Drohung des US-Präsidenten am Dienstag vor der UN-Vollversammlung war eindeutig: Im Falle eines Angriffs auf die USA oder einen Verbündeten drohe Nordkorea die "
totale Zerstörung". Doch so sehr sich beide Seiten aufbäumen, der
Konflikt um das nordkoreanische Atom- und Raketenprogramm geht über Pjöngjang und Washington hinaus. Durch die wechselseitigen Provokationen steigen auch die Spannungen zwischen Süd- und Nordkorea – mit nicht minder dramatischen Folgen. Diese Entwicklung ist umso tragischer, als der neue Staatspräsident in Seoul, Moon Jae In, ausdrücklich mit dem Ziel angetreten war, die innerkoreanischen Beziehungen zu verbessern.
Der Liberale Moon, ein ehemaliger Menschenrechtsanwalt, war ein enger Berater der beiden progressiven Präsidenten Kim Dae Jung und Roh Moo Hyun. Als er im Mai dieses Jahres ins Amt kam, wollte er an deren "Sonnenscheinpolitik" gegenüber dem Norden in den Jahren 1998 bis 2008 anknüpfen. Doch der Atomkonflikt hat alle seine Pläne zunichte gemacht. Sein Streben nach einem
Dialog mit dem Norden und seine Angebote für humanitäre Hilfe stießen auf eisiges Schweigen. "Nordkorea hält an seinen völlig falschen Entscheidungen fest", sagte Moon Jae In vor wenigen Tagen, "ich bin sehr frustriert und traurig."
US-Präsident Donald Trump ist der Ansicht, Moon betreibe gegenüber Nordkorea eine
Politik des "Appeasement", der Besänftigung. Ein absurder Vorwurf: Moon hat nicht nur die Aufstellung des amerikanischen Raketenabwehrsystems Thaad beschleunigt, das er früher abgelehnt hatte. Nach Nordkoreas jüngsten Tests von Interkontinental- und Mittelstreckenraketen hat Südkorea seinerseits Kurzstreckenraketen abgefeuert, mit denen es im Kriegsfall die Atomanlagen des Nordens angreifen könnte.
Washington und Seoul wollen die zwischen beiden Ländern vereinbarten Begrenzungen bei südkoreanischen Raketen aufheben; bisher dürfen diese nicht weiter als 800 Kilometer fliegen und keinen Sprengsatz tragen, der mehr als 500 Kilogramm wiegt. Diese Einschränkungen soll es künftig nicht mehr geben.
Südkorea hat darüber hinaus angekündigt, zusätzliche Milliarden in seine Rüstung stecken. Die Regierung will 260 Marschflugkörper vom Typ Taurus aus deutsch-schwedischer Produktion kaufen. Die Taurus-Raketen gelten als
bunker buster: Sie könnten bei dem Versuch eingesetzt werden, Nordkoreas Führung in ihren streng gesicherten Kommandozentralen anzugreifen.
Schließlich hat Südkorea schon vor Längerem mit dem Aufbau einer "Enthauptungseinheit" begonnen. Sie hat den Auftrag, im Falle eines Krieges Kim Jong Un und die engste Führung um ihn herum zu töten. Wie Südkoreas Verteidigungsminister Song Young Moo kürzlich vor Abgeordneten in Seouls Nationalversammlung sagte, soll die Einheit bis zum Jahresende einsatzbereit sein.
Von Appeasement also keine Spur. Im Gegenteil spürt die Regierung von Moon Jae In, wie als Folge von Pjöngjangs Raketentests und der Erprobung einer Wasserstoffbombe die Stimmung im Lande umschlägt. Die konservative Opposition fordert im Parlament eine
Rückverlagerung amerikanischer taktischer Atomwaffen. Solche Waffen waren lange in Südkorea stationiert, nach dem Ende des Kalten Krieges 1991 zog der damalige US-Präsident George H. W. Bush sie ab. Mehr noch: Umfragen zufolge unterstützt inzwischen die Mehrheit der Südkoreaner sogar die Entwicklung eigener Atomwaffen.
Präsident Moon will davon nichts wissen. "Auf Nordkorea mit eigenen Nuklearwaffen zu reagieren, wird den Frieden auf der koreanischen Halbinsel nicht erhalten und kann zu einem nuklearen Rüstungswettlauf in Nordostasien führen", sagte er in einem CNN-Interview. Südkoreas Staatschef versucht verzweifelt, die Balance zu halten zwischen dem Versuch, doch noch mit dem Norden ins Gespräch zu kommen, und einer von immer mehr Bürgern und amerikanischen Verbündeten geforderten Politik der Härte. Erst vor wenigen Tagen hat Moon den Vereinten Nationen acht Millionen Dollar für humanitäre Projekte angeboten, mit denen Kindern und Schwangeren im Norden geholfen werden soll. Aber aus Nordkorea kam bisher nicht die geringste Geste eines Entgegenkommens. Und Donald Trump verkündet: "
Reden ist nicht die Antwort."
Umso mehr wächst die Furcht der Südkoreaner, in dem sich zuspitzenden Konflikt kein Gehör mehr zu finden, weder in Washington, noch in Peking oder in Pjöngjang. Ein solches
"Korea passing", da sind sich in Seoul alle einig, dürfe es nicht geben. Denn
ein Krieg hätte für den Süden verheerende Folgen. Deshalb hat Moon Jae In auch immer wieder betont, es werde keine amerikanischen Militäraktionen ohne Zustimmung Südkoreas geben. Nur ist es kaum vorstellbar, dass Trump dem südkoreanischen Präsidenten ein Vetorecht einräumt, wenn es für ihn um die Sicherheit der Vereinigten Staaten geht.
Die traurige Folge: Südkorea wird noch stärker aufrüsten. Weil es sich zum einen gegen den wahnhaften Diktator im Norden schützen muss. Und weil es zum anderen nicht weiß, ob es sich auf den Verbündeten in Washington verlassen kann. Manche Politiker im Süden entdecken den alten Glaubenssatz des Kalten Krieges vom "Gleichgewicht des Schreckens" neu. Etabliere sich der Norden als Atommacht, argumentieren sie, müsse Südkorea nuklear nachrüsten. Der Frieden auf der Halbinsel lasse sich nur
durch gegenseitige Abschreckung bewahren.