Fünf vor 8:00: Nach zwei Amtszeiten sollte Schluss sein - Die Morgenkolumne heute von Martin Klingst

 
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FÜNF VOR 8:00
18.09.2017
 
 
 
   
 
Nach zwei Amtszeiten sollte Schluss sein
 
Fast alle Parteien fordern, dass die Bundestagswahl künftig alle fünf statt vier Jahre stattfindet. Warum nicht auch die Amtszeit des Bundeskanzlers begrenzen?
VON MARTIN KLINGST
 
   
 
 
   
 
   
Am kommenden Sonntag wird ein neuer Bundestag gewählt – vielleicht zum letzten Mal für die Dauer von vier Jahren. Denn es ist gut möglich, dass die Abgeordneten bald beschließen werden, das Grundgesetz zu ändern und die Legislaturperiode des deutschen Parlaments ab der nächsten Wahl, also ab Ende 2021, auf fünf Jahre zu verlängern. Fast alle Parteien sind mit großer Mehrheit dafür.
 
Doch so gut wie niemand schlägt vor, mit dieser Verlängerung auch zugleich die Amtszeit eines Bundeskanzlers zu begrenzen, auf längstens zwei Legislaturperioden zum Beispiel, also zehn Jahre. Dabei wäre es durchaus sinnvoll, Verlängerung und Begrenzung miteinander zu verknüpfen.
 
Im Grundgesetz steht: "Der Bundestag wird vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen auf vier Jahre gewählt." Ändern die Abgeordneten nun die Verfassung und verlängern sie ihre Amtszeit auf fünf Jahre, verletzen sie damit nicht, wie die Gegner der Neuregelung behaupten, das Demokratieprinzip.
 
Denn es bleibt auch in Zukunft dabei: Alle Staatsgewalt geht weiterhin vom Volke aus und wird von diesem in Wahlen ausgeübt. Mit anderen Worten: Das Recht des Volkes, seinen Willen in angemessenen Zeitabständen in freien und geheimen Abstimmungen auszudrücken, wird nicht angetastet.
 
Vier Jahre sind in der Tat kurz oft zu kurz, um über geplante Gesetze erst ausführlich zu debattieren und sie dann mehrheitlich zu verabschieden. Vier Jahre sind ja in der Praxis auch keine vollen 48 Monate, sondern allenfalls 36. Die ersten sechs Monate verstreichen mit Koalitionsverhandlungen und den Startschwierigkeiten einer neuen Regierung, die letzten sechs mit dem nächsten Wahlkampf.
 
Eine Demokratie muss Macht beschränken
 
Viel spricht darum dafür, die Legislaturperiode zu erweitern. Das Europaparlament wird alle fünf Jahre gewählt und – bis auf Bremen –  inzwischen auch sämtliche deutsche Landesparlamente. Und am kommenden Sonntag stimmen die Bremer nicht nur über die Zusammensetzung des nächsten Bundestags ab, sondern zugleich darüber, ob ihre Bürgerschaft künftig fünf statt vier Jahre tagen soll.
 
Zugegeben, es geht dabei in erster Linie um praktische Fragen. Wie der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert zurecht sagt, "ist eine längere Legislaturperiode eine schlichte Frage der Zweckmäßigkeit, keine Grundsatzfrage".
 
Dagegen geht es bei einer Begrenzung der Amtszeit von Bundeskanzlern um Prinzipielles. Eine solche Begrenzung ist bislang weniger in parlamentarischen und mehr in präsidentiellen Systemen zu finden, dort also, wo Regierungsoberhäupter direkt vom Volke gewählt werden. Deutschland ist ein parlamentarisches System. Hier wird ein Kanzler nicht von den Wählern, sondern vom Bundestag bestimmt und kann von diesem auch jederzeit wieder abgesetzt werden. Die Mehrheit der Abgeordneten muss einfach einen Nachfolger wählen.
 
So gesehen wirkt das Amt eines Kanzlers eher wie ein Spielball des Parlaments, abhängig vom jeweiligen Mehrheitswillen der Abgeordneten. Warum also sollte die Dauer der Amtszeit beschränkt werden? Weil das Kanzleramt, das zweithöchste Amt im Staate, in Wirklichkeit sehr mächtig ist. Eine Demokratie muss Macht beschränken – und zwar nicht nur institutionell. Sie muss auch die Zeit begrenzen.
 
Der Kanzler oder die Kanzlerin bestimmt nicht nur die Richtlinien der Politik. Er oder sie hält in der Regel auch den Vorsitz der größten Regierungspartei inne. Und die größte Regierungspartei stellt innerhalb einer Regierungskoalition zugleich auch die größte Fraktion.
 
Das hat Folgen für das Zusammenspiel der Kräfte: Die Mehrheitsfraktion sieht in der Regel ihre wichtigste Aufgabe nicht darin, der Regierung auf die Finger zu schauen. Sie will vor allem ihren Kanzler stärken und die Handlungsfähigkeit der Regierung sichern. Selten agiert die Legislative darum als vereinter und unabhängiger Kontrolleur und Gegenspieler der Regierung. Ein Kanzler oder eine Kanzlerin ist also weit mächtiger, als es den Anschein hat.
 
Ewigkeitskanzler gelten als ein Ausdruck der Stabilität – wieso?
 
Seit 1949 haben allein drei Bundeskanzler zusammengenommen 42 Jahre regiert: Adenauer 14, Kohl 16 und Angela Merkel bislang 12 Jahre. Das macht insgesamt fast Zweidrittel der bisherigen Regierungsjahre der Bundesrepublik Deutschland aus.
 
Solche Ewigkeitskanzler werden hierzulande offenbar als Ausdruck von Stabilität und Verlässlichkeit empfunden. Dabei lässt sich dieses ewige Regieren genauso gut als Zeichen von Stagnation, Verknöcherung und politischer Lähmung interpretieren, als Mangel an Phantasie und Dynamik. Nachfolgefragen jedenfalls werden auf die lange Bank geschoben und potentielle Nachfolger kleingehalten – oder Letztere geben verzweifelt auf und verlassen die Politik, weil sie nicht zum Zug kommen.
 
Gegner einer Amtszeitbegrenzung verweisen gerne darauf, dass es den Wählern doch offen stehe, bei der nächsten Wahl mit ihrer Stimme für andere Mehrheiten im Bundestag zu sorgen und so Kanzler in den Ruhestand zu schicken.
 
Diese Möglichkeit besteht selbstverständlich. Allerdings zeichnet sich eine lebendige Demokratie auch dadurch aus, dass sie von sich aus immer wieder für Wandel und neuen Schwung sorgt: Indem der Gesetzgeber zum Beispiel die Amtszeit limitiert und so den regelmäßigen Wechsel an der Spitze der Staatsführung institutionalisiert. So könnte Politik auch wieder spannender werden. Wähler und Parteien würden aus der Lethargie geholt. Und schließlich: Auch der Bundespräsident wird nicht vom Volk gewählt, sondern von der Bundesversammlung. Gleichwohl darf er längstens zwei fünfjährige Amtszeiten im Schloss Bellevue wirken.
 
Niemand sollte sich für unentbehrlich halten
 
Zweimal vier Jahre im Weißen Haus sind genug, fanden die Amerikaner, als Franklin D. Roosevelt im Jahre 1945 während seiner vierten Amtszeit als Präsident verstarb. Und Roosevelt war ein äußerst beliebter und erfolgreicher Präsident. Vielleicht wäre er sogar ein fünftes Mal gewählt worden. Und dennoch: Wenig später verabschiedete der Kongress aus prinzipiellen Erwägungen einen Verfassungszusatz, der seither vorschreibt, dass niemand mehr als zweimal hintereinander ins Oval Office gewählt werden darf.
 
Bereits Thomas Jefferson, Amerikas dritter Präsident, hatte die fehlende gesetzliche Zeitbegrenzung beklagt. Doch gab es 170 Jahre lang – also bis zu Roosevelt – keinen Anlass zu handeln. Denn nur wenige Präsidenten versuchten (erfolglos), länger als zwei Amtsperioden an der Spitze des Staates zu bleiben.
 
Amerikas erster schwarzer Präsident Barack Obama mahnte kurz vor dem Ende seiner achtjährigen Präsidentschaft, wie wichtig ein zeitliches Limit sei. Im Juli 2015 plädierte er am Sitz der Union Afrikanischer Staaten in Addis Abeba vor Dutzenden afrikanischer Staatschefs eindringlich für feste Amtszeitbeschränkungen. Er glaube, er sei ein ziemlich guter Präsident, sagte Obama. Er würde wahrscheinlich sogar ein drittes Mal eine Wahl gewinnen. "Aber ich darf nicht." Kein Regierungschef, sagte er, sollte sich für unentbehrlich halten.
 
Darum sind zehn Jahre Kanzlerschaft oder zwei Legislaturperioden wirklich genug für den Fall, dass der Bundestag künftig jeweils für fünf Jahre gewählt wird. Bleibt es bei vier Jahren, dann sollte ein Kanzler nur drei Legislaturperioden, also längstens zwölf Jahre, amtieren dürfen.
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.