Ereignisse wie der jüngste Atomwaffentest Nordkoreas sind stets auch für Leute interessant, die ihre Faszination für Nuklearexplosionen nur schwer verbergen können. Das sind manchmal sehr friedliche Zeitgenossen; ich kenne einen amerikanischen Abrüstungsexperten, der früher mal Kernwaffen entwickelte, weil er es als junger Mann so toll fand, wenn es ordentlich rummste. Solche und andere Experten also rätseln jetzt herum, was für ein Gerät die Nordkoreaner nun wieder gezündet haben, und wir lesen von Kilotonnen und Megatonnen und was nicht alles, bis das Gegenargument kommt: Ist doch egal, was Kim Jong Un da so im Einzelnen hat,
ob Wasserstoffbombe oder nicht, es genügt zu wissen, dass er über nukleare Massenvernichtungsmittel verfügt.
Das Argument ist falsch. Aus drei Gründen ist es wichtig, herauszufinden, aus welcher Art von Sprengmitteln das Arsenal Nordkoreas besteht.
Erstens ist die Kraft der Symbolik nicht unterschätzen. Wer über Wasserstoffbomben verfügt, schließt zu den großen Atommächten auf, und man darf ja nicht vergessen, dass Außenpolitik in hohem Maße Kampf ums Prestige ist.
Nordkoreas Raketentests – Chronologie Zweitens will man das Potenzial abschätzen können – sowohl die Sprengkraft als auch die Zahl der Sprengköpfe. Wasserstoffsprengköpfe explodieren mit größerer Gewalt als Spaltbomben, mit der Nebenfolge, dass die Raketen nicht ganz so akkurat ins Ziel treffen müssen; sie sind also eine größere Bedrohung als A-Bomben.
Und drittens, wenn Kim Jong Un tatsächlich eine Wasserstoffbombe bauen kann, dann müsste sich die Schätzung der möglicherweise vorhandenen Atomsprengköpfe gehörig nach oben verschieben. Warum? Weil solche Fusionsbomben wiederum mit Spaltungsbomben gezündet werden. Ihr eigentliches Sprengmaterial ist zwar heutzutage ein relativ gut verfügbares Salz (Lithiumdeuterid), der Zünder aber besteht aus schwer zu beschaffenden Uran- und Plutoniumisotopen. Die verfügbare Menge solcher Spaltstoffe begrenzt also die Zahl der Fusionssprengköpfe. Diese Grenze allerdings ist noch viel enger gezogen, wenn die gesamte Waffe aus Uran und Plutonium bestehen müsste. Mit anderen Worten: Kann Kim Fusions-(also Wasserstoff-)bomben bauen, dann in sehr viel größerer Zahl als nur Spaltbomben.
Außerdem wüsste man ja auch gerne, was seine nächsten Schritte sind. Ist er an der Fusionsbombentechnik dran, muss er sie noch ein paarmal testen, um sicherzugehen.
Also: Die Frage ist wichtig. Und was weiß man? Wenig.
Das Signal der Explosion lässt indirekte Schlüsse zu Das durch die Explosion ausgelöste Beben lässt sich messen, aber das Signal lässt nur einen indirekten Schluss auf die Stärke der Explosion zu, wegen der unklaren Bodenbeschaffenheiten und etwa auch der unbekannten Tiefe des Versuchsschachts. Immerhin existieren mehrere Messstationen, sodass sich eine Bandbreite bestimmen lässt. Es wurden aus den Messergebnissen überwiegend Explosionsstärken zwischen 50 und 500 kt errechnet – die Maßeinheit ist die Explosionskraft einer Kilotonne TNT. Diese Schätzungen bedeuten: Es kann, muss sich aber nicht unbedingt um eine reine Fusionsbombe gehandelt haben; solche Stärken erreichen auch Spaltbomben.
Aber vielleicht war es eine erweiterte A-Bombe: Im Plutoniumsprengstoff wären dann Pillen mit Fusionssprengstoff eingelassen gewesen; deren Job ist es nicht in erster Linie, zusätzliche Sprengkraft bereitzustellen, sondern den Neutronenfluss zu erhöhen und damit die Spaltprozesse zu beschleunigen. Das erdnussförmige Mock-up, vor dem Kim sich präsentierte, sowie die Zeichnung auf dem Poster im Hintergrund des Propagandafotos legt freilich eine andere Variante näher, nämlich dass es sich um ein gestuftes Gerät gehandelt hat: Eine große Spaltbombe zündet eine kleine Wasserstoffbombe. Das gezeigte Modell hatte die richtige Geometrie dafür – und leider auch eine Größe, die wohl andeuten sollte, Nordkoreas Techniker könnten das Gerät im Kopf einer Rakete unterbringen.
Alles Vermutungen. Falls während der Explosion radioaktive Edelgase entwichen sein sollten, würde deren Analyse Aufschluss geben. Nur leider zerfallen sie schnell.
Nichts Genaues weiß man nicht – ist das die Bilanz? Nicht ganz. Was bleibt, ist erstens die Gewissheit, dass Nordkorea über deutlich stärkere Nuklearwaffen verfügt, als man bisher dachte, und zweitens eine ungewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich darunter auch Wasserstoffbomben befinden – und zwar solche, die sich auf Raketen montieren lassen. Woraus sich ergibt, dass die nordkoreanische Atomrüstung eine qualitativ neue Stufe erreicht hat.