Wird es ihm gelingen? Erst gründlich das eigene Land reformieren, dann eine Reform der EU vorantreiben: Das ist die Methode, die
Emmanuel Macron während des französischen Präsidentschaftswahlkampfes angekündigt hat. Quasi eine Umpolung der Strategie seines Vorgängers.
Der hatte sich erst als
Reformator Europas in die Brust geworfen, streitbereit
namentlich gegen Deutschland, um den Franzosen die bittere Pille zu versüßen: die von ihm beabsichtigten,
leicht liberalen Wirtschaftsreformen. Mit dem neuen Europa wurde es dann nichts und als François Hollande gegen Ende seiner tristen Amtsperiode plötzlich den Arbeitsmarkt ein wenig reformieren wollte, schlug ihm harter Widerstand entgegen.
Macrons Strategie ist da erfolgversprechender. Von den
gestrigen Protesten unbeeindruckt, will er am
Arbeitsmarkt, am Renten- und Sozialversicherungssystem und den Steuern herumfeilen, bis sie besser in die heutige Welt passen. Die Franzosen hatten ihn nicht unbedingt dafür gewählt, sondern um
Marine Le Pen als Präsidentin zu verhindern. Immerhin gaben sie ihm, wie es üblich ist, in den nachfolgenden Parlamentswahlen eine Mehrheit. Ein Präsident, der die Nationalversammlung nicht hinter sich weiß, ist schwach und einen schwachen Mann an der Spitze wollten die Franzosen nun auch wieder nicht.
Sollte Macron weitgehend unfallfrei seinen Weg gehen (leider gelingt es ihm manchmal, sich durch unbedachte Äußerungen selbst in den Fuß zu schießen), wird er der neuen deutschen Regierung demnächst mit Schwung ein zehngängiges Menü auftragen, an dem sie schwer zu kauen haben wird: seinen
Zehn-Punkte-Plan für die Europäische Union, den er in der vergangenen Woche bereits in Athen angekündigt hat.
Anfang 2018 soll das Werk geschrieben sein und einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren umspannen. Sechs Monate lang, so will es Macron, sollen Bürger aller europäischen Länder in "demokratischen Konvents" darüber beraten. Dann sollen die Regierungen eine Reihe von Vertragsänderungen ausarbeiten.
Utopisch? Riskant? Alle europäischen Regierungen müssten diesem basisdemokratischen Prozedere zustimmen. Schwer, sich das vorzustellen. Außerdem müssten diese Volksberatungen in Gemeinsamkeiten münden, anstatt die ohnehin aufklaffenden Gegensätze in der EU eskalieren zu lassen. Kühn. Tollkühn sogar. Doch wenn Tollkühnheit zurzeit eine Tugend wäre?
Berlin muss sich auf die riskanten Ideen aus Paris einlassen Als französischer Staatspräsident wird Macron sich an Charles de Gaulle erinnern. De Gaulle war zunächst ein unbedeutender, nur auf Zeit ernannter General. Im Juni 1940 stand er als Einziger auf und rief Frankreich zum Kampf gegen die Deutschen, vor denen seine Vorgesetzten und seine Regierung bereits kapituliert hatten. Mit dem Kopf durch die Wand! Das geht manchmal durchaus. Diesmal auch?
Vielleicht. Aber lediglich dann, wenn Macron nicht nur für seine Methode, sondern auch für seine politischen Ziele Verbündete findet. In Berlin vor allem.
Das wird schwierig. Macron will die Eurozone mit einem Parlament, einem Budget und einer Exekutive ausstatten – da gehen in Berlin alle Warnblinklampen an. Immerhin deutet er an, dass Zahlungen aus diesem Budget nur an solche Länder gehen sollen, die sich an die Regeln halten, namentlich in der Haushaltspolitik. Nur: Wer stellt das fest? Vielleicht wäre eine unabhängige Kommission eine gute Lösung, deren Audit nicht von Regierungen beeinflusst werden kann.
Macron hat noch mehr Ideen für Europa, aber die sind im Vergleich zur oben genannten Idee nichts, wofür man Konvents und den ganzen Aufwand braucht. Über Entsenderichtlinien und Steuersätze kann man auch in den gewohnten Strukturen verhandeln, ebenso über Themen wie
Migration oder Sicherheit. Manches wird Macron über die Bande spielen wollen, etwa die Idee eines Buy European Acts. Damit sollen bei öffentlichen Ausschreibungen Unternehmen bevorzugt behandelt werden, die in Europa produzieren. Es war eine Idee von Nicolas Sarkozy, die den Berlinern und anderen Freihändlern unter den Europäern nicht schmeckt. Vielleicht gefällt sie aber Protektionisten wie beispielsweise der Regierung Ungarns, die noch Vorzugsbehandlungen für Ungarn draufsatteln würde.
Allerdings gehört die von François Hollande angestrebte Südachse mit Schwerpunkt Frankreich, die gegen die von Deutschland dominierte Nordachse drücken sollte, nicht zum europapolitischen Arsenal des Macronismus. Das ist schon mal etwas.
Der französische Präsident kann freilich ein ganz anderes Gewicht einbringen: Es ist im Interesse Deutschlands, dass er nicht scheitert, sondern vielmehr groß rauskommt. Sonst folgt ihm in vier Jahren jemand von ganz rechts ins Amt. Also muss sich Berlin auf die riskanten Ideen aus Paris einlassen, wenigstens ein bisschen.