Ist das wirklich nötig? Langsam trudeln die ersten G20-Regierungschefs in Hamburg ein und zugleich Tausende Demonstranten. Die einen, um zu tagen und die anderen, um möglichst eindrucksvoll zu zeigen, dass sie schon die Tagesordnung armselig finden. Damit aber beides friedlich abläuft, werden große Teile der Stadt zur Sperrzone, 15.000 Polizisten durch die Straßen patrouillieren, Hubschrauber kreisen und sicherheitshalber Kampfjets flugbereit gemacht. Hamburg wird also zwei Tage lang viel von seinem Charme als entspannte, weltoffene Elbstadt verlieren. Und dafür wird der Staat auch noch viele Hundert Millionen Euro ausgeben.
Bisher hätte ich zu so einer Show immer gesagt: Lasst den Mist! Ich erinnere mich an KEINE einzige Erklärung eines G20-Gipfels. (Sie etwa?) Und selbst wenn mich kundige Kollegen gern belehren, dass sich die Mitglieder dieses Clubs früher mal auf ein paar ganz kluge Regeln für die Finanzmärkte geeinigt haben, fand ich bisher nicht, dass das den Aufwand gelohnt hätte. Denn dass die Finanzwelt heute sehr viel sicherer geworden ist als vor der Krise, kann nun wahrlich niemand behaupten. Trotzdem trifft sich die G20 regelmäßig, sucht dabei nach
immer neuen Themen und produziert immer neue Dokumente. Fast alle ohne große Wirkung, auch weil sie ja keinerlei bindende Wirkung haben. G20-Erklärungen sind höchstens moralisch einklagbar.
Es ist aber gut, dass die Regierungschefs miteinander reden: So lautet das zweite Argument der Gipfelfans. Das aber fand ich einfach zu wenig für den Aufwand – zumal die G20-Regierungen zwar mächtig sind, aber mitnichten die Weltbevölkerung repräsentieren. So ist beispielsweise der gesamte afrikanische Kontinent gerade mal mit einer Regierung (Südafrika) vertreten. Es reden also nur die, die die ökonomische Macht haben – das aber über Themen, die alle betreffen.
Doch etwas hat sich in den vergangenen Monaten verändert – und zwar rasant. Wir leben heute in der Post-Brexit-, Trump-, Katar-Krisen-Welt. Es ist klar, dass sich die politische und auch die ökonomische Macht verlagert, aber es ist noch nicht klar, wie schnell und wohin genau.
China wird wichtiger, das ist sicher. Aber welche Rolle wird seine Regierung spielen? Wegen genau solcher Fragen ist der G20-Gipfel heute wichtig. Denn er ist in diesen irren Zeiten einer der wenigen real existierenden Gradmesser der globalen Stimmung.
Das Treffen in Hamburg wird der Weltöffentlichkeit demonstrieren, ob sich die Mächtigen der Welt überhaupt noch auf irgendetwas einigen können. Hier werden sie Farbe bekennen. Hier wird sich zeigen, ob Trump wirklich so ganz allein dasteht, beispielsweise bei seinem Ausstieg aus dem Klimaschutz. Oder ob er mit den Saudis doch einen festen Verbündeten hat und ein paar andere sich es mit ihm nicht verderben wollen. Weil sie die Amerikaner mehr fürchten als das Kippen des Klimas.
Und noch etwas spricht für diesen Gipfel. Er kann einer zunehmend despotisch regierten Weltbevölkerung demonstrieren, was in offenen Gesellschaften möglich ist. Wenn es gut läuft und die Demos nicht außer Rand und Band geraten, kann Hamburg der Welt zeigen, dass Demokratien auch die Kritik auf der Straße ertragen. Und sie ertragen wollen. Er kann zeigen, dass auch im reichen Deutschland längst nicht alle Bürger mit der Politik zufrieden sind. Dass sie von den Regierungen mehr erwarten. Dass ihnen der Kampf gegen den Klimawandel nicht schnell genug geht und sie die Ordnung der Weltwirtschaft für falsch halten. Und dass sie all das offen sagen und schreiben. Auf den Straßen der Stadt, in den Zeitungen, im Netz.
Es gibt nicht mehr allzu viele Länder, in denen das möglich ist.