Der Mann kennt keine Schamgrenze.
Gerhard Schröder möchte sich noch in diesem Monat zum Aufsichtsratschef des russischen Energieriesen Rosneft wählen lassen. "Ich werde das tun",
sagte er unlängst in Hannover über das russische Angebot. Der deutsche Altkanzler würde damit in Russland eine quasistaatliche Funktion in einem pseudoprivaten Konzern übernehmen – und in dieser Funktion auch bei Präsident Putin rapportieren. Man hat ja schon so einiges erlebt: Bangemann, Pofalla, Niebel und Konsorten. Aber solch einen Schritt an die Spitze eines übel beleumundeten Konzerns hat es in der Bundesrepublik noch nicht gegeben.
Nun ist es Wahlkampf, und da sagen einige: "Da sieht man’s mal wieder, wie sich die SPD die Ostpolitik neu erträumt: Einschmeicheln bei Putin!" Ich finde solche Urteile ungerecht. Gerhard Schröder ist das eine. Die SPD das andere. Man sollte nicht die Sozialdemokratie per se für Gerhard Schröders späte Karriere in Russlands Oligarchensümpfen verantwortlich machen. Und doch muss die SPD endlich mehr tun, dass es dafür auch keinen Anlass mehr gibt.
Ich habe in den vergangenen Jahren in Berlin eine ganz andere SPD kennengelernt als jene, für die der künftige Rosneft-Aufseher Schröder steht. In der Krise um die russische Annexion der Krim 2014 haben sich die SPD-Außenpolitiker von ihrem Altkanzler weitgehend emanzipiert. Bei der Besetzung der Ostukraine durch russische Truppen haben sie andere Töne angeschlagen als Schröder. Und auch jetzt folgen sie nicht Schröders Empfehlung, einen Wahlkampf gegen Nato-Militärausgaben und für Annäherung an Russland zu führen.
Gernot Erler, der große Russland-Kenner der SPD, verurteilt Putins Festungsnationalismus und Russlands innere Radikalisierung. Der SPD-Chefaußenpolitiker Rolf Mützenich warnt vor der russischen Expansion und den Gefahren für den Frieden in Europa. Franz Tönnes, langjähriger Leiter des Russland-Gesprächskreises der SPD, erklärt russischen Politikern und deutschen Putin-Verteidigern das Völkerrecht und warum Russland es mit Füßen tritt. Frank-Walter Steinmeier setzte mit Angela Merkel die Sanktionen gegen Russland um. Sigmar Gabriel, der als Wirtschaftsminister die Ostseepipeline vorantrieb, hat als Außenminister viele überrascht. Gabriel legte sich öffentlich an mit Russlands Außenminister Sergei Lawrow wegen Völkerrechts, Krim-Annexion und russischer Einmischung in deutsche Innenpolitik.
Die SPD macht weiter Ostpolitik, aber eine ganz andere, als Gerhard Schröder ihr empfohlen hat.
Das wird jetzt besonders wichtig. Denn Gerhard Schröder geht in den Aufsichtsrat eines Konzerns, der mehr als alles andere für das korrupte Oligarchensystem steht, das sich unter Wladimir Putin erschreckend weiterentwickelt hat. Unter seinem Vorgänger Boris Jelzin waren die Oligarchen noch Privatleute, die sich Konzerne unter dubiosen bis kriminellen Umständen zusammenkauften. Nicht ohne Parallelen zu den "robber barons" in den USA im 19. Jahrhundert. Unter Putin sind die großen Geschäftsleute Staatsoligarchen geworden, Minister mit Privatabrechnung, die ein quasistaatliches Firmenimperium leiten, abhängig von Putins Gnaden.
Manche in der SPD kommen von Schröder nicht los Niemand steht mehr dafür als Igor Setschin, ehemaliger Übersetzer mit KGB-Segen in Afrika und enger Wegbegleiter Putins seit Jahrzehnten. Setschin hat den ehemaligen russischen Oligarchen Michail Chodorkowskij auf dem Gewissen. Rosneft wurde, per Enteignung, auf den Ruinen von Chodorkowskijs großer Öl-Ölgesellschaft gegründet.
Nach diesem Räubermuster hat Setschin den Konzern fleißig erweitert. Erst wurde TNK-BP zur Fusion gezwungen, zuletzt übernahm Rosneft die Firma Baschneft. Der Wirtschaftsminister, der kartellrechtliche Bedenken dagegen hatte, steht heute wegen angeblicher Korruption unter Anklage. Wehe dem, der gegen Setschin aufbegehrt! Er ist der mächtigste Oligarch, den das postsowjetische Russland kennt – und wird als möglicher Putin-Nachfolger gehandelt.
In diese feine Truppe tritt nun der ehemalige deutsche Kanzler ein. Das ist zunächst mal das Problem von Gerhard Schröder und nicht das der SPD. Immerhin hat sich Kanzlerkandidat Martin Schulz öffentlich von Schröder und seiner Karriere distanziert. Aber tatsächlich kommen manche in der SPD nicht von Schröder los. War er nicht der letzte, der große Siege für die Sozialdemokraten eingefahren hat? War er nicht der Kanzler, der Nein zum Irakkrieg sagte? Daran erinnerte jetzt noch einmal Axel Schäfer, Vize-Chef der SPD-Fraktion, im
Handelsblatt und schloss mit dem Nibelungenschwur: "Er gehört zu uns, und das ist auch gut so." Die schwülstige Mischung aus Genossen-Sentimentalität und ewiger Bewunderung – das ist die Schröder-Falle der Sozialdemokraten. Höchste Zeit für den Ausbruch.
Die CDU als klassische Kanzlerpartei hatte einen Helmut Kohl, der weitaus Größeres vollbracht hat als Schröder – und der Partei gelang es, sich zu Lebzeiten von ihm zu befreien. Das wird die SPD mit Schröder auch noch schaffen.