Freitext: Frank Schulz: Nichts gegen Osnabrück

 
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06.09.2017
 
 
 
 
Freitext


Nichts gegen Osnabrück
 
 
Hamburg, das bedeutet: Alster, Hafen, Strandperle. Das ist große Liebe und Schicksal zugleich. Aber was, wenn man wegziehen muss? Und das ausgerechnet nach Osnabrück?
VON FRANK SCHULZ

 
© Ulrich Baumgarten / Getty Images
 
Mein Geburtsdorf ist meine erste große, kindliche Liebe. Meine erste große erwachsene Liebe aber ist Hamburg. Mehr noch, Hamburg ist mein Schicksal. Unabhängig davon ist Hamburg eine wirklich unglaublich schöne Stadt. Auch wenn sie Gefahr läuft, zu einem einzigen großen Business Improvement District zu verkommen. Auch wenn man nur noch selten hört, wie einer übern s’pitzen S’tein s’tolpert. Auch wenn man sie sich als Heimatstadt kaum noch leisten kann. Wer als Normalverdiener einmal raus ist aus zum Beispiel Eimsbüttel, kommt nie wieder rein. Man möchte, mit Verlaub, Labskaus kotzen.
 
Nichtsdestoweniger bleibt Hamburg eine sagenhaft schöne Stadt. Wird wohl an den viel zitierten Attributen liegen, viel Hafen, viel Grün, viel Alster etc. pp. An diesen unvergleichlichen Blickachsen, die sich auftun, wenn man kreuz über die ein oder andere Straße und quer durch die Lücke im ein oder anderen Häuserblock plötzlich diese ätherische Luftigkeit erahnt, wie sie sich über dem ein oder anderen Kanal … ach, kurzum: Ich vermisse Hamburg. Sehr.
 
Nach vierzig Jahren bin ich unlängst – aus guten Gründen, die hier nichts zur Sache tun – weggezogen. (Vorübergehend; sonst hätte ich’s nicht getan.) Nun bin ich wieder Niedersachse. Ich lebe in einer bezahlbaren Wohnung innerhalb einer ehemaligen Zigarrenfabrik mit runtergerocktem Wabi-Sabi-Charme, idyllischem Innenhof und Parkplatz in zwei Metern Entfernung, in der ich mich sehr wohl fühle. Bloß, sobald ich vor die Wohnungstür trete, ist da eben Osnabrück.
 
Nichts gegen Osnabrück. (Sportlich schon mal gar nicht. Nachdem bereits das benachbarte Lotte mit seinem VfL Sportfreunde Lotte unlängst spektakuläre Siege gegen Bundesligavereine wie Werder Bremen und Bayer 04 Leverkusen eingefahren hatte, schlug neulich Drittligist VfL Osnabrück Erstligist Hamburger SV. Und zwar nicht 1:0 oder 2:1, sondern 3:1. Und zwar in Unterzahl. Und zwar über siebzig Minuten lang.) Nein, nichts gegen Osnabrück, aber selbst wenn man vierzig Jahre lang bloß tot über einem Hamburger Zaun gehangen hätte, fiele es einem nicht leicht, Osnabrück mit offenen Armen zu empfangen.
 
Umgekehrt tut das aber durchaus Osnabrück.
 
Na gut, in nächster Nähe einen Gemüsetürken zu finden, wie es ihn in Hamburg an jeder Straßenecke gibt – vergiss es. Musst du eben in einen anderen Stadtteil fahren oder bis Samstag warten, wenn Altstadt-Markt ist. Da kriegst du dann aber fast alles fast so schön wie auf’m Isemarkt (um es ein drittes Mal zu sagen: fast). Und wenn du dann mit überraschend schrill quietschenden Fahrradbremsen ein Pärchen in mittlerem Alter von hinten erschreckst, fährt es zwar zusammen, wie es sich gehört, lacht sich aber umgehend eins und bleibt überaus freundlich.

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