Man nennt sie Scouser Beauties Orangefarbener Spachtelteint, falsche Locken und Kastenbrauen: Das weibliche Schönheitsideal der britischen Arbeiterschicht macht Karriere. VON MARLEN HOBRACK |
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| | Man achte auf die Brauen: die britischen Entertainerinnen Katie Price and Stacey Solomon (rechts) während einer Gala in London © Jeff Spicer/Getty Images |
Stellen Sie sich vor, jemand rasierte sich den größten Teil seiner Augenbrauen ab, nur um dieselben im nächsten Schritt mit Augenbrauenfarbe, wahlweise mit Stift oder Pinsel aufgetragen, nachzumalen. Damit die beiden Brauen absolut symmetrisch werden, und der Brauenansatz oberhalb der Nasenwurzel wie gewünscht rechtwinklig ist, nimmt man dafür am besten eine Schablone. Auch wenn Sie ihr Brauenhaar stehen lassen, Sie aber wasserstoffblond sind, sollten Sie so tief wie möglich in das Töpfchen mit dunkelbrauner Farbe greifen. Voilà: Sie haben eine Scouse Brow. Die schreit dann förmlich: Mach mich nicht an! Wie das Attribut Scouse schon andeutet, das die Sprache und Einwohner der Gegend um Liverpool beschreibt: Diese Bezeichnung wurde weithin populär gemacht durch Liverpudlians, obwohl nicht auszuschließen ist, dass Geordies (also Newcastletonians) an der Entstehung des Looks beteiligt waren.
Die Scouse Brow machte zuerst Schlagzeilen dank der Scripted-Reality-Soap namens Desperate Scousewives (2011), in der man das nicht ganz authentische Leben gelangweilter Scouser Ehefrauen zwischen Nagelstudio und Brustvergrößerung betrachten konnte. Zeitgleich wurde Cara Delevingne mit ihren natürlich buschigen Mörderbrauen zur Modeikone und schien den Liverpooler Hype um die Balkenbraue zu bestätigen. Sogar die noch bürgerliche, aber sodann aristokratisierte Kate Middleton trug an ihrem Hochzeitstag eine fein getunte Scouse Brow.
Kindernamen wandern in der sozialen Hierarchie mit zunehmender Popularität nach unten: Prominente geben ihren Nachkommen mehr oder weniger fantasievolle Namen, die gelangen in die Mittelschicht und werden dann von "Unterschichteneltern" kopiert. In der Modewelt verläuft der Trend seit langem in die umgekehrte Richtung: Der Unterschichtenlook wird zum High-Fashion-Statement. So, wie die englische Working Class einst Mod-, Skin- und Punklooks schuf, so macht es eben nun die Unterschichten-Barbie mit Statement-Brauen. Unterschicht trifft es natürlich nicht. Man muss, insbesondere im Norden Englands, von Überresten einer einst sehr stolzen und tüchtigen Arbeiterklasse sprechen. Einer Arbeiterklasse, der leider die Arbeit ausging, als Maggie Thatcher das Mutterland der Marmite-Produktion in ein Eldorado für Broker und Investmentmakler verwandelte.
Kaum eine Gesellschaft ist so eindeutig eine Klassengesellschaft wie die britische, und an kaum einem Ort versucht man so hartnäckig, diesen Umstand zu verschleiern. Aber auch hierzulande tut man sich schwer damit, von der "Unterschicht" zu sprechen. Als ich das Wort neulich vor einem Journalistenkollegen aussprach, fiel er vor Schreck beinahe von seiner Habitat-Couch. Dabei empfinden Scheu vor der Zuordnung nur diejenigen, die nicht dazu gehören. Die Scouser Girls der Working- und Lower-Middle-Class jedenfalls träumen von einem gesellschaftlichen Aufstieg, der durch harte Arbeit nicht zu erreichen ist. Man kann im Kosmetikstudio oder im örtlichen Tesco-Markt noch so viele Überstunden schieben, reich wird man davon nie. Und in dem ungeheuer teuren englischen Universitätssystem sind diejenigen, die sich nicht an die dreißig- bis fünfzigtausend Pfund Schulden für ihre Ausbildung aufbürden wollen, eben ziemlich arm dran.
Kein Wunder also, wenn diese Mädchen und Frauen ihre gesamten Ambitionen darauf richten, eine WAG (Footballer's Wife & Girlfriend), also Freundin, Verlobte oder idealerweise Ehefrau eines Sportlers zu werden. Emanzipiert mag dieses Projekt nicht gerade sein, und jeder anständigen Feministin ein Dorn im Auge. Aber wie wir alle wissen, ist Feminismus doch eher eine bourgeoise Angelegenheit. Dass diese Mädchen trotz allem hart arbeiten können, sieht man ihnen an. Man erkennt, wie viel dort gewachst, gebleicht, auf- und weggespritzt wurde. Allein das tägliche Bräunen! Der Spraytan darf da ruhig orangefarben und sehr künstlich aussehen. Warum auch nicht? Es wissen doch alle, dass man im englischen Sommer keine Bräune aufbauen kann. Das Gleiche gilt für die Lockenwickler, die die Scouser Unterschichtenschönheit auch tagsüber beim Shoppen im Haar trägt. Mit Wallemähne ist noch niemand aus dem Bett gestiegen.
Bitte nicht zu natürlich
Eigentlich darf Schönheit so nicht sein. Sie muss mühelos aussehen. Das jedenfalls lehren uns tagtäglich Frauenzeitschriften, die uns einen "Undone-Look" empfehlen, für dessen Umsetzung es nur 30 verschiedener Produkte bedarf. Gerne wird ein "Pariser Chic" empfohlen. Französinnen, so las ich neulich in der Fashion-Bibel Vogue, gehen angeblich am liebsten in Jeans, T-Shirt und flachen Schuhen auf Dates. Das Haar zart verwuschelt, das Make-up durchscheinend, die natürlichen Vorzüge betonend. Wer's glaubt! So etwas käme einer Scouser Beauty nie in den Sinn. Das teure Dior-Make-up wird, falls greifbar, Schicht für Schicht auf das orange grundierte Gesicht gespachtelt und zur Basis für viel Rouge. Sehr viel Rouge. Wem das nicht reicht, der betreibt Contouring, das ist das, was Kim Kardashian groß gemacht hat: Das Näschen wird visuell verschmälert, Wangenknochen und Lippen werden betont.
An so einer Scouse Barbie ist natürlich kaum etwas echt. Gelnägel sind ein "Must-Have", und wer es sich leisten kann, oder die Sache als smartes Investment betrachtet, lässt sich die Körbchengröße von B auf Doppel-D aufpolstern, Fußballer stehen ja scheinbar darauf. Kein Markt ist härter umkämpft als der Heiratsmarkt. Und, "der Heiratsmarkt bezahlt Frauen besser als der Arbeitsmarkt", wie es die Soziologin Jutta Allmendinger jüngst konstatiert hat.
Von "Sex and the City" lernen
Der Scouser Beauty Look ist aber nicht nur Teil eines Class Codes, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht signalisiert, sondern auch eine überaus demokratische Version von Schönheit. Während eine aristokratische Schönheit über natürlich feine, perfekt proportionierte Gesichtszüge à la Grace Kelly verfügen sollte (es ist kein Zufall, dass aristokratische Schönheiten nie echte Aristokratinnen sind, weil der jahrhundertelange Inzest eher das Gegenteil von Schönheit erzeugt) und die Middle-Class-Beauty durch eine Vielzahl teurer Produkte natürliche Vorzüge zu unterstreichen und Makel zu vertuschen hat, wird bei der Unterschichtenschönheit die Sichtbarkeit des Gemachten zum Statement: Schönheit ist harte Arbeit. Die Scouser Unterschichten-Beauty ist deshalb eine Geistesschwester der New Yorker Business Frau mit ihrem "Power Dressing", den teuren Klamotten, Schuhen und Taschen, legendär verkörpert von Kim Cattrall alias Samantha Jones in Sex and the City. Vielleicht ist es gar kein Zufall, dass Cattrall selbst eine geborene Scouserin ist, wenn sie auch in Kanada aufwuchs.
Samanthas schönstes Zitat aus der Serie lautet übrigens: "Die Auswahl ist eng. Du kannst keine Fendi-Tasche schwingen, ohne dabei fünf Loser umzuhauen." Und damit wären wir bei den Männern. Die behaupten hartnäckig, sie bevorzugten "natürliche Frauen", meinen dabei aber eigentlich, dass sie Frauen bevorzugen, die ihr Make-up und alle sonstigen Verschönerungsmaßnahmen so unauffällig wie möglich aussehen lassen. Mich zum Beispiel wollte noch kein Mann in meiner natürlichen, vollbehaarten Schönheit sehen. Toll wäre das schon! Ich käme nämlich nicht ständig zu spät, wenn ich nicht rasieren, frisieren, toupieren, anmalen, überdecken und peelen müsste. Und da reden wir nur von meinem Kopf!
Was Männer jedenfalls laut Studien zum Paarungsverhalten ebenfalls bevorzugen, sind Frauen, die einen geringeren Bildungsstand und ein geringeres Einkommen besitzen als sie selbst. Insofern sind die Scouser Beauties, indem sie vortäuschen, sie hätten wenig mehr als Wasserstoffperoxid und Spraytan-Dämpfen in ihrem Working-Class-Köpfchen, vielleicht die wesentlich schlaueren Spielerinnen auf dem Datingfeld. Und wie sagte doch der große Fußball-Weise Sepp Herberger: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel." Einmal verheiratet, drehen sich die Spielregeln zugunsten der Frau. Heimvorteil eben.
Marlen Hobrack studiert im Masterstudiengang Kultur- und Medienwissenschaften, nachdem sie zuvor einige Jahre in einer Unternehmensberatung gearbeitet hat. Derzeit schreibt sie an einem Social-Media-Roman. Sie lebt mit ihrem Sohn in Dresden und ist Gastautorin bei "10 nach 8". Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
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