Fünf vor 8:00: Seelenverwandte Hardliner - Die Morgenkolumne heute von Michael Thumann

 
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FÜNF VOR 8:00
08.02.2019
 
 
 
   
 
Seelenverwandte Hardliner
 
Donald Trump stärkt mit seiner Nahostpolitik ausgerechnet die Erzkonservativen im Iran. Dabei sind sich die Radikalen in Washington und Teheran überraschend ähnlich.
VON MICHAEL THUMANN
 
   
 
 
   
 
   

Nun will er den Iran erneut in die Zange nehmen. US-Präsident Donald Trump möchte Truppen aus Syrien in den Irak verlegen, damit die Soldaten von dort aus den großen Nachbarn Iran, wie er sagt, "überwachen". Eine hilflose Geste und geradezu ein Geburtstagsgeschenk zum 40. Jahrestag der iranischen Revolution. Denn prompt beschwerten sich irakische Politiker in Bagdad darüber – und der Iran darf sich über die Verstimmung freuen.
 
Die verfehlte Iran-Politik hat in Washington eine lange Tradition. Seit der iranischen Revolution vor 40 Jahren versuchen die USA, den widerspenstigen Iran zu zähmen, und fast jedes Mal ist das Land siegreich dem Zangengriff entglitten. Mehr noch: Die Vereinigten Staaten haben, obwohl sie genau das Gegenteil wollten, den Iran mit jeder Nahostintervention gestärkt. Teherans Vormachtstellung in der Region heute ist auch das Ergebnis amerikanischer Politik.
 
Erstes Beispiel: In den Achtzigerjahren unterstützten die USA Iraks Diktator Saddam Hussein im Krieg gegen Iran. Der brutale Krieg, mit Giftgas und Massenvernichtungswaffen geführt, hat im Iran eine Generation geprägt, die antiwestlich und vor allem amerikafeindlich ist. Der damalige Überlebenskampf gehört zu den großen Heldengeschichten iranischer Revolutionsgarden. Ebenfalls in den Achtzigerjahren stützten US-Dienste jedoch den Iran mit Waffen, was später als Iran-Contra-Affäre bekannt wurde. Der schmutzige Deal hat die Sympathien für die USA in Teheran allerdings nicht weiter gefördert.
 
Zweites Beispiel: Im Krieg gegen Saddam Hussein ab 2003 räumten die US-Streitkräfte aus freien Stücken den großen Kontrahenten Irans ab. Sie stürzten nicht nur den irakischen Diktator, sondern entmachteten zugleich die sunnitische Führungselite. Das ermöglichte dem Iran, mit Militärberatern und Stellvertreter-Politikern das Land allmählich in Teherans Orbit zu bringen. Wenn die Bagdader Regierung sich heute gegen eine "Überwachung" Irans aus dem Irak sperrt, liegt das auch daran.
 
Drittes Beispiel: Seit Ausbruch des syrischen Krieges ging es nicht nur um den Diktator Baschar al-Assad, sondern auch um die künftige Stellung des Irans in der Region. Teheran hat durch seine Hilfe im Krieg Assad vollends abhängig gemacht. Die USA entschieden sich noch unter Präsident Barack Obama, nicht gegen Assad, sondern nur gegen IS-Terroristen zu kämpfen. Nun fantasiert Donald Trump von einem Abzug der letzten US-Truppen, den er im Wochenrhythmus mal zurücknimmt und neu ankündigt. Die letzten US-Verbündeten wenden sich ab. Besser kann es für den Iran und Assad nicht laufen.

Der US-Präsident und seine Ultrakurzfrist-Strategen glauben nun, den Iran mit der Kündigung des Atomabkommens von 2015 den entscheidenden Schlag zu versetzen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie stärken im Iran die Feinde der USA und Europas, die Hardliner, Erzkonservativen und Revolutionsgarden. Und damit genau jene Fraktion, die seit 1979 Revolutionsexport, militärische Expansion und Raketenrüstung im Sinn hat.
 
Der Politikwissenschaftler Cornelius Adebahr, der mehrere Jahre in Teheran gelebt hat, beschreibt in seinem Buch Inside Iran eindrücklich das Zusammenspiel von Falken in Washington und Teheran. Die iranischen Hardliner jubelten 2016 bei der Wahl Donald Trumps, weil sie wussten, dass sie bald wieder freie Hand hätten in ihrem radikalen Expansionskurs. Sie waren schon immer gegen den Atomvertrag – genauso wie Trump und seine Berater.
 
Trump hat offenbar keinen weiteren Plan
 
Adebahr sieht eine amerikanisch-iranische Seelenverwandtschaft unter Hardlinern. Beide Lager berufen sich gern auf die Religion zur Begründung radikaler Politik. Beide "hängen tradierten gesellschaftlichen Rollenbildern an", stellen Frauen in die zweite Reihe, Minderheiten und Homosexuelle ins Abseits. Beide idealisieren die eigene Nation als globale Führungsmacht.
 
Die paradoxe Nähe amerikanischer und iranischer Radikaler verstärkt sich durch die tiefe Emotionalisierung des Verhältnisses. Die USA kommen über die traumatische Geiselnahme ihres Botschaftspersonals vor 40 Jahren nicht hinweg. Die Iraner haben den Sturz des iranischen Premierministers Mohammed Mossadegh durch amerikanische und britische Geheimdienste 1953 nicht verdaut. Die Erinnerung lädt den Hass auf.
 
Doch nützt die Emotionseskalation allein den iranischen Hardlinern. Während bei Trump offenbar wird, dass er über die Kündigung des Atomabkommens hinaus eigentlich keinen Plan hat, fahren die iranischen Radikalen ihre militärischen und moralischen Siege ein: Syrien, Irak, Jemen.
 
Der US-Präsident, der diesen Eskalationsmechanismus zugunsten Teherans durchschaut hatte, war Barack Obama. Das Atomabkommen von 2015 war ein wichtiger Schritt zur Ent-Emotionalisierung des Verhältnisses. Aber Obama, das ist schon längst Geschichte..

 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.