Die Idee einer europäischen Armee ist ein Dreivierteljahrhundert alt. Bisher sind freilich alle Ansätze gescheitert, ihr in die Wirklichkeit zu verhelfen. Donald Trumps Unberechenbarkeit, sein Wankelmut und seine Nato-Skepsis haben ihr jedoch neue Aktualität verschafft. Emmanuel Macron schwebt eine "richtige europäische Armee" vor, denn Europa dürfe sich für seine Verteidigung nicht ganz auf die USA verlassen. Die Bundesregierung hat die Anregung des französischen Staatspräsidenten aufgegriffen. Doch kann diesmal mehr daraus werden?
Unsere beiden Regierungsparteien haben sich schon 2007 in ihren Grundsatzprogrammen für die Idee ausgesprochen. Die Armeen der EU-Mitgliedstaaten müssten langfristig zusammenwachsen, hieß es bei der SPD; eine Integration der nationalen Einheiten in europäische Sicherheitsstrukturen beschworen CDU und CSU als Fernziel. Voriges Jahr schrieben die drei Parteien in ihren Koalitionsvertrag, Europa brauche "eine kraftvolle gemeinsame Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik … Wir werden weitere Schritte auf dem Weg zu einer 'Armee der Europäer' unternehmen."
In dem vor Kurzem unterschriebenen Aachener Vertrag ist dieser Vorsatz auf eine deutsch-französische Grundlage gestellt worden. Beide Staaten, heißt es darin, nähern ihre sicherheits- und verteidigungspolitischen Zielsetzungen und Strategien einander zusehends an. Ferner verpflichten sie sich, die Zusammenarbeit zwischen ihren Streitkräften mit Blick auf eine gemeinsame Kultur und gemeinsame Einsätze weiter zu verstärken. Unvermittelt folgt dann der Satz: "Beide Staaten werden bei gemeinsamen Projekten einen gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte entwickeln."
Hier freilich liegt der Hase im Pfeffer. Von einer gemeinsamen militärischen Kultur kann noch kaum die Rede sein.
Zum einen kann der französische Staatspräsident freihändig Soldaten entsenden, wohin auch immer. In Deutschland hingegen muss jeder Militäreinsatz vom Bundestag genehmigt werden; dies besagt der sogenannte Parlamentsvorbehalt. Eine von dem früheren Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) geleitete Kommission hat 2015 Vorschläge unterbreitet, die Parlamentsbeteiligung zu vereinfachen, doch deren praktische Ausgestaltung lässt auf sich warten.
Zum anderen stößt die restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik in Frankreich, aber auch bei anderen Partnerländern auf wachsendes Unverständnis, ja Befremden. Für Franzosen und Briten ist die Lieferung von Rüstungsgütern auch an problematische Länder, etwa Saudi-Arabien, ein Stück Realpolitik – die deutschen Regeln sind viel strenger. Bei deutsch-französischen Gemeinschaftsprojekten wie dem Kampfflugzeug und dem Kampfpanzer der Zukunft legt die französische Regierung Wert auf unbehinderte Ausfuhrmöglichkeiten.
Das ist ein altes Problem. Als Bundesverteidigungsminister vereinbarte Helmut Schmidt 1972 mit seinem französischen Kollegen Michel Debré, dass keine der beiden Seiten den Export gemeinsam produzierter Rüstungsgüter blockieren darf. Darauf laufen auch die Grundsätze hinaus, auf die sich beide Länder im Vorfeld des Aachener Vertrages in monatelangen Gesprächen verständigt haben. "Die Parteien werden sich nicht gegen einen Transfer oder Export in Drittländer stellen", zitiert der Spiegel daraus – "es sei denn in Ausnahmefällen, wenn ihre direkten Interessen oder nationale Sicherheit gefährdet sind."
Wieder einmal stehen sich Moralpolitik und Realpolitik gegenüber
Über den "gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte" wird laut Regierungssprecher Steffen Seibert nun weiter verhandelt. Eine förmliche Vereinbarung ist das Ziel. "Das erfordert auch von uns Kompromisse", sagte Seibert klipp und klar.
Nichts anderes hatte die Bundeskanzlerin schon auf der Münchener Sicherheitskonferenz verkündet: "Wenn wir keine gemeinsame Kultur der Rüstungsexporte haben, dann ist die Entwicklung von gemeinsamen Waffensystemen natürlich auch gefährdet. Das heißt, man kann nicht von einer europäischen Armee und nicht von einer gemeinsamen Rüstungspolitik oder Rüstungsentwicklung sprechen, wenn man nicht gleichzeitig auch bereit ist, eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik zu machen." Ahnungsvoll setzte Merkel hinzu: "Da haben wir in Deutschland noch viele komplizierte Diskussionen vor uns."
Es wird dabei auch um den kuriosen Begriff "Kultur der Rüstungsexporte" gehen, insbesondere aber um die Frage, wie weit die Bundesrepublik von ihren restriktiven Grundsätzen abrücken kann und abrücken muss – nicht nur in Hinblick auf das Fernziel europäische Armee, sondern zunächst einmal, um die gegenwärtige Verzettelung, Duplizierung und damit Verteuerung europäischer Rüstungsproduktion zu überwinden. 17 verschiedene Panzer, 29 verschiedene Fregatten und Zerstörer, 20 verschiedene Kampfflugzeuge, zwei Dutzend unterschiedliche Versionen des Transporthubschraubers NH90, 70 unterschiedliche Drohnen – das ist eine sträfliche Vergeudung nationaler Mittel.
Die Diskussion wird aber auch aus einem anderen Grund schwierig werden: Hier stehen sich wieder einmal Moralpolitik und Realpolitik gegenüber – man könnte mit Max Weber sagen, Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Ich zähle mich zu denen, die sich ein starkes Europa wünschen, das sich in der Welt von morgen behaupten kann, ungeachtet Trumpscher Unberechenbarkeit, russischen Ausgreifens und chinesischen Auftrumpfens. Dafür müssen wir die Bereitschaft zur europäischen Interdependenz stärken, zur gegenseitigen Abhängigkeit.
Ein paar Federn werden wir da wohl lassen müssen. Doch sollte es unsere Diplomaten nicht überfordern, einen allseits als erträglich empfundenen Kompromiss zu finden.