Fünf vor 8:00: Ein Zeichen der Hoffnung - Die Morgenkolumne heute von Martin Klingst

 
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FÜNF VOR 8:00
18.02.2019
 
 
 
   
 
Ein Zeichen der Hoffnung
 
Aufrüstung, Klimawandel, Syrienkrieg – trotz aller Herausforderungen kann man nach der Sicherheitskonferenz hoffnungsvoller auf die Welt blicken.
VON MARTIN KLINGST
 
   
 
 
   
 
   

Angesichts der großen Weltprobleme könnte man schnell in eine tiefe Depression fallen. Wie erdrückend viele Probleme sind, demonstrierte am vergangenen Wochenende wieder einmal die Münchner Sicherheitskonferenz: der rasant fortschreitende Klimawandel, mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht, hoch aggressive Mächte wie Russland, China und die USA, Aufrüstung statt Abrüstung, der Syrienkrieg, der wachsende Konflikt zwischen Iran und Israel, der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, der Vormarsch rechtspopulistischer Regierungen und illiberaler Demokratien und so weiter und so weiter.
 
Der Auftritt der amerikanischen Regierung in München verdunkelte weiter die sowieso schon recht trübe Stimmung. US-Vizepräsident Mike Pence hielt eine Rede allein zum Wohlgefallen seines Präsidenten Donald Trump. Er ignorierte die Europäische Union und weitgehend auch die Nato, er maßregelte Deutschland für den Bau der Gaspipeline Northstream 2 und verlangte, dass die Europäer dem Beispiel der Vereinigten Staaten folgen und aus dem Atomabkommen mit dem Iran austreten.
 
Die Gefahr für den Weltfrieden scheint für Pence und Trump vornehmlich von zwei Regimen auszugehen, vom iranischen und vom venezolanischen. Ihnen widmete er den größten Teil seiner Rede. Saudi-Arabien, die weltweiten Fluchtbewegungen, die Kluft zwischen Arm und Reich, der Klimawandel, den laut einer Umfrage des renommierten Pew Research Institute in Washington die Mehrheit der Menschheit als größte Bedrohung empfindet, kam gar nicht oder nur unter ferner liefen vor.
 
Doch trotz aller monströsen Herausforderungen und bitteren Enttäuschungen gab es in München einen anderen Blick auf diese Welt, einen zuversichtlicheren und hoffnungsvolleren. Diesen Blick hatten unter vielen vor allem zwei Frauen, Bundeskanzlerin Angela Merkel und IMF-Präsidentin Christine Lagarde.
 
Merkel, ungewohnt leidenschaftlich
 
Beginnen wir protokollgerecht mit Merkel, die womöglich das letzte Mal auf dieser jährlichen Konferenz als Bundeskanzlerin sprach. Ihr schleichender Abschied von der Macht scheint für sie wie eine Befreiung. In bislang nie dagewesenen Klarheit zählte Angela Merkel die brandgefährlichen Krisen auf. Ziemlich direkt sagte sie auch, woran eine Lösung allzu oft scheitere, etwa an den Egoismen, an der brachialen Ellbogenmentalität, am um sich greifenden Nationalismus und der Arroganz etlicher Regierungen und ihrer Chefs.
 
Ohne die Schuldigen in Moskau, Peking, Washington und anderen Hauptstädten namentlich zu erwähnen, kritisierte Merkel deren Aggression und plädierte in ungewohnter Leidenschaftlichkeit für mehr Kooperation und internationalen Schulterschluss, für einen neuen, mutigen Aufbruch der Multilateralisten.
 
Das tat ebenso die Französin und IMF-Chefin Christine Lagarde. Sie widersprach der allgemeinen Larmoyanz und dem Klagelied vom angeblich unabwendbaren Ende der liberalen Nachkriegsordnung. Ihr Widerspruch entsprach nicht bloßem Wunschdenken, denn in München wurden durchaus einige ebenso reale wie ermutigende Gegentrends sichtbar.
 
Während Donald Trump die Axt an die Nato, den Freihandel und die Uno legt und bei jeder Gelegenheit offen demonstriert, dass ihm der Multilateralismus und Organisationen wie die EU nicht nur schnurz, sondern zutiefst zuwider sind, reisten in diesem Jahr aus Washington so viele amerikanische Senatoren und Abgeordnete nach München wie noch nie in der Geschichte der Sicherheitskonferenz.
 
Über die Parteigrenzen hinweg wollten sie ein gemeinsames Signal für die liberale Nachkriegsordnung setzen, für die Nato und den Freihandel, für den Multilateralismus und Organisationen wie die Vereinten Nationen und die Europäische Union. Erst vor Kurzem verabschiedete der amerikanische Kongress mit überwältigender Mehrheit eine Resolution zur Unterstützung des gemeinsamen Verteidigungsbündnisses und des Prinzips gegenseitigen Einstands.
 
Es ist in der Regel unüblich, dass amerikanische Politiker im Ausland die Außenpolitik ihrer Regierung kritisieren. Doch im Angesicht ihres ebenso disruptiven wie destruktiven Präsidenten verzichteten viele der nach München Gekommenen auf diese Zurückhaltung, darunter auch einige Republikaner. Angereist war ebenso Joe Biden, Barack Obamas ehemaliger Vizepräsident, der sich wahrscheinlich um die demokratische Präsidentschaftskandidatur für die Wahl 2020 bewerben wird. Zu stehenden Ovationen versprach er: "We will be back." Wir Amerikaner, die wir den Wert der transatlantischen Beziehungen kennen und wertschätzen, kommen zurück an die Macht.
 
Russland sendete vorsichtige Signale
 
Weitere Beispiele: Es ist richtig, Russland hat völkerrechtswidrig die Krim annektiert, es hat den INF-Vertrag gebrochen und führt in der Ostukraine und in Syrienkrieg. Aber in München sendete Moskau vorsichtige Signale, dass es sich mehr europäische und internationale Unterstützung bei einer Friedensregelung in Syrien wünscht, auch weil es einen Ausbau der iranischen Vormachtstellung im Mittleren Osten fürchtet, die Israel bedroht und einen neuen Krieg entfachen könnte.
 
Natürlich haben der Streit um die Flüchtlingspolitik, der Sieg rechtspopulistischer Parteien und die Kujonierung der unabhängigen Justiz und Presse in Polen und Ungarn einen tiefen Spalt in die Europäische Union getrieben. Doch der Brexit und das nervenaufreibende Tauziehen um einen geordneten Ausstieg Großbritanniens haben die verbleibenden 27 Mitglieder wider Erwarten enger zusammengeführt. Am Vorabend des Zerfalls wurde die Wichtigkeit des Zusammenhalts auf einmal wieder bewusst. Auch zeigt der politische und juristische Druck aus Brüssel auf die Regierungen in Warschau und Budapest erste Wirkungen. Nicht dass sie bereits einlenken würden, aber sie geben sich zumindest gesprächsbereiter als zuvor.
 
Die Welt ist im Umbruch, es sind, wie Christine Lagarde es sagt, große Übergangsprozesse im Gange. Doch die Notwendigkeit, den Multilateralismus und dessen Organisationen umzubauen und zu reformieren sowie das Erfordernis einer Neuorientierung und Neubesinnung, existieren nicht erst jetzt. Zu lange haben zu viele gedacht, man könne die Augen vor den Veränderungen schließen und sich wie bisher einfach weiter durchwursteln. Putin, Trump, China und der Brexit, um nur einige zu nennen, sind ohrenbetäubende Wachrufe.
 
Die Konferenz wandelt sich inhaltlich und personell
 
Übergangsprozesse sind immer schmerzhaft, kompliziert und langwierig. Aber sie müssen nicht zwangsläufig zu einem schlechten Ergebnis oder dem Ende der liberalen Nachkriegsordnung und der westlichen Wertegemeinschaft führen. Es kommt ganz darauf an, wie die Verteidiger dieser Ordnung sich aufstellen und die Herausforderungen auf- und annehmen. Das geschieht nicht in einem einzigen, gewaltigen Umschwung, sondern in vielen kleinen Schritten.
 
In München zeigte sich zum Beispiel, dass sich auch die in ihren Denkstrukturen oft leicht ergraute Sicherheitskonferenz wandelt, inhaltlich – und personell. So saßen beim Thema Abrüstung, über das bis dato fast vornehmlich Männer diskutierten, in der Fünfergruppe der Diskutanten erstmals drei Frauen.
 
Das mag für manche eine lächerliche Veränderung sein, ist es aber nicht. Überhaupt geben bei den angeblich harten Themen immer öfter Frauen den Ton mit an. Die soeben ins Repräsentantenhaus entsandte neue demokratische Abgeordnete Elissa Slotkin aus Michigan analysierte treffend, dass sich Wähler nicht für den Multilateralismus, für westliche Werte und die Lösung großer Menschheitsprobleme gewinnen ließen, wenn sie daheim keine Gesundheitsversorgung hätten, den Verlust ihres Arbeitsplatzes fürchteten und mit verseuchtem Grundwasser leben müssten. Weltpolitik, so Slotkin, werde zu oft allein in Metropolen und in elitären Zirkeln diskutiert, fernab der Dörfer und kleinen Städte. Das sei ein Fehler.
 
Ein Zeichen der Hoffnung war in München auch die diesjährige Vergabe des Ewald-von-Kleist-Preises an den griechische Ministerpräsidenten Alexis Tsipras und seinen nordmazedonischer Amtskollege Zoran Zaev. Der Grund: Sie haben einen jahrzehntelangen Streit diplomatisch beigelegt und sich darauf geeinigt, dass der bisherige Staat Mazedonien nun offiziell Nordmazedonien heißt.
 
Beide Regierungschefs fordern mit diesem mutigen Schritt die Nationalisten heraus und riskieren ihre Wiederwahl. Doch die friedliche Beilegung eines hochgefährlichen Konflikts in Europa ist ihnen wichtiger als die eigene politische Karriere.

 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.