Kann doch nicht sein, war mein erster Gedanke. Sicher, ich war auf keiner Demo für die verurteilte Ärztin Kristina Hänel oder habe neben "Mein-Bauch-gehört-mir"-Aktivistinnen für das Recht auf weibliche Selbstbestimmung protestiert. Aber ich gehe ja sonst auch nicht sofort auf die Straße, wenn mich ein Thema beschäftigt. Getwittert habe ich doch sicher was, dachte ich, minimale Involviertheit zumindest. Doch ein Blick in meine Timeline zu den entscheidenden Daten der 219a-Debatte zeigt: Kein Wort von mir zum Kompromiss der großen Koalition im Dezember, kein Tweet zum Beschluss der Bundesregierung Anfang Februar. Nicht, dass meine Meinung noch gefehlt hätte. Aber das hält mich bei anderen Themen wie Brexit oder Flüchtlingspolitik auch nicht vom Twittern ab.
Zumal meine Haltung einigermaßen klar ist: Ich finde die Begründung für das Werbeverbot absurd, der Paragraf 219a erschwert Frauen in einer schwierigen persönlichen Lage die Suche nach Hilfe und stellt Ärztinnen und Ärzte ungerechtfertigt unter Verdacht. Die Reform, die der Bundestag an diesem Freitag beschließen will, ist ein Schrittchen in die richtige Richtung, geht aber nicht weit genug. Eine echte Informations- und Aufklärungsfreiheit für Ärzte und Betroffene müsste es stattdessen geben, der Paragraf 219a gehört nach meiner Meinung abgeschafft.
So wie ich denken offenbar einige Männer, und so wie ich halten sich viele von ihnen aus der Debatte heraus. Natürlich sind laute Männerstimmen zu hören, doch mit wenigen Ausnahmen von denen, die das sogenannte Werbeverbot beibehalten wollen oder sogar Schwangerschaftsabbrüche generell verhindern. Liebe Männer, die Paragraf 219a für falsch halten, warum sind wir so still? Viele von uns, die wir doch sonst zu eigentlich jedem Thema etwas zu sagen haben, mitunter lautstark oder besserwisserisch, halten sich in der Debatte um Paragraf 219a auffällig zurück. Warum? Zeit für eine Selbstüberprüfung.
Was bremst mich also? Vielleicht einfach das Privileg, als Mann ohne Gebärmutter von einer Schwangerschaft, wenn überhaupt, nur indirekt betroffen zu sein. Wäre meine Partnerin ungewollt schwanger, hätte das emotionale Folgen für mich. Doch in mir wächst kein Embryo, mich bedrohen weder Hormonschwankungen noch Gesundheitsrisiken, und, wenn die Schwangerschaft ausgetragen wird, hätte das auch heute noch weniger Konsequenzen für meine Karriere als für die der Mutter. Dieses Argument ignoriert jedoch die Verantwortung von uns Männern: Ohne uns gibt es in der Regel keine Schwangerschaft. Wenn wir sie nicht durch Verhütung verhindern, dürfte es uns nicht egal sein, wenn unter den Folgen jemand leidet.
Ich schrecke auch ein bisschen zurück, mich in die aufgeheizte Debatte zwischen selbst ernannten Lebensschützern und Feministinnen einzuschalten. Jede unbedachte Äußerung kann zu emotionalen Reaktionen führen. Es mag Menschen geben, die Freude daran empfinden, erfolgreich zu provozieren. Doch im Unterschied zu solchen Trollen ist es für die meisten auf den Zuschauerbänken weitaus bequemer, als selbst in der Arena der Auseinandersetzung zu stehen. So fehlen aber Zwischentöne, auch von Männern.
Ihr Bauch und die Debatte gehören ihr?
Und noch etwas: Das fachliche Diskussionsniveau der Feministinnen ist beeindruckend hoch und detailreich. Vielen Männern, auch mir, fehlt es schlicht an Wissen über Abtreibung und zum Beispiel auch dazu, warum es besser ist, von Schwangerschaftsabbruch zu sprechen. Was steht in den Paragraphen 218 a, b, c oder 219 a und b? Ist Abtreibung überhaupt grundsätzlich legal? Viele Männer beschäftigen sich erst mit dem Thema, wenn ihre Partnerin ungewollt schwanger wird. Die argumentative Unterlegenheit, die sich daraus ergibt, verunsichert uns. Es fällt uns offenbar schwer, uns einfach mal fragend an den Gesprächen zu beteiligen.
Außerdem will ich kein Mansplainer sein. Ich will mir nicht anmaßen, die Situation von Schwangeren wirklich beurteilen zu können. Es ist ein bisschen so, als hätte ich das Prinzip auf die Diskussion übertragen: Ihr Bauch und die Debatte gehören ihr.
Das ist bei allen Erklärungsversuchen die wohl deutlichste Erkenntnis der Selbstbefragung: Ich staune über meine eigene Sprachlosigkeit. Wie können wir diese überwinden? Vielleicht mit einer ersten Frage: Wollt Ihr Frauen überhaupt, dass mehr Männer sich in der Debatte zu Wort melden? Und wenn wir dort gefragt sind, sollten wir dann nicht auch über die Bedingungen sprechen, wie wir von unseren Partnerinnen oder Tinder-Dates bei der Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch stärker einbezogen werden? Auch das gehört dazu, wenn wir unserer Mitverantwortung gerecht werden wollen.