Frauen arbeiten, Männer nehmen Geld ein Die Vermögensunterschiede zwischen den Geschlechtern halten sich weltweit beharrlich. Gerade in Entwicklungsländern wie Sri Lanka wird das Prinzip augenfällig. VON SIMONE SCHMOLLACK |
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| | Eine Frau verkauft Kokosnüsse in Tissamaharama in Sri Lanka, eine King Coconut kostet umgerechnet 50 Cent. Wenn es gut läuft, bekommt sie so vier bis acht Euro am Tag zusammen. © Francois Le Diascorn/Gamma-Rapho/Getty Images |
Françoise Bettencourt-Meyers ist etwas Besonderes. Nicht etwa, weil die Französin eine neue Pflanzenart entdeckt oder einen Literaturpreis gewonnen hätte oder gar als erste Präsidentin ihres Landes gehandelt würde. Nein, die 65-Jährige ist besonders, weil sie die reichste Frau der Welt ist. Der Bloomberg Billionaires Index, ein Ranking der weltweit 500 reichsten Personen, beziffert das Vermögen der Erbin des Kosmetikkonzerns L'Oréal auf fast 46 Milliarden US-Dollar.
Neben ihr gibt es noch andere milliardenschwere Damen: Alice Walton zum Beispiel, Tochter des Walmart-Gründers, besitzt laut Bloomberg mehr als 44 Milliarden US-Dollar, gefolgt vom Jacqueline Mars, der Enkelin des Schokoriegelerfinders, mit einem Vermögen von fast 34 Milliarden US-Dollar. Mit der BMW-Erbin Susanne Klatten und ihren über 20 Milliarden US-Dollar ist sogar eine Deutsche unter den reichsten Frauen auf dem Globus.
Frauen können also doch Geld. Sogar so gut, dass sie Milliardärinnen sind. So könnte man das sehen. Aber so ist es natürlich nicht. Wie es tatsächlich aussieht in der Welt, wie es um Vermögen und Einkommen bestellt ist und wie sich die finanzielle Geschlechterfront für die meisten Frauen in der Realität gestaltet, führen die jüngst von der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam veröffentlichten Zahlen deutlich vor Augen. Zahlen wie diese hier: Das Vermögen der Milliärdär*innen in den Vereinigten Staaten, Indien und China bis hin zu Italien, Irland und Russland ist im vergangenen Jahr um zwölf Prozent gestiegen. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung hingegen ist um elf Prozent ärmer geworden, auch wenn die extremste Armut global zurückgegangen ist. Oder einfach und zugespitzt formuliert: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer.
Die von Oxfam ausgewerteten Zahlen, die die NGO unter anderem aus Statistiken des Global Wealth Report des Finanzdienstleisters Credit Suisse sowie der Weltbank bezogen hat, haben zum Teil heftige Kritik erfahren. Manche Zahlen, hieß es beispielsweise, seien wie Äpfel und Birnen und daher nicht miteinander vergleichbar. Aber Äpfel hin, Birnen her, darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Denn Fakt ist – und das zeigt die Oxfam-Studie recht deutlich: Frauen sind und bleiben die Verliererinnen, wenn es um Geld und damit soziale Teilhabe, Bildung, Gesundheit, Freiheit und Unabhängigkeit geht.
Männer sind durchschnittlich doppelt so reich wie Frauen. Das weiß nicht nur Oxfam, das belegen zahlreiche Studien hinlänglich. So hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schon vor zehn Jahren ermittelt, dass hierzulande die mittleren Vermögen von Männern doppelt so hoch sind wie die der Frauen. Damals waren das 20.000 Euro im Gegensatz zu 10.000 Euro. Die prozentuale Genderschere bei der Vermögensverteilung hat sich bis heute nicht geändert. Hinzu kommt der Gender-Pay-Gap, die Lohnlücke zwischen den Löhnen von Frauen und Männern, die weltweit bei rund 23 Prozent liegt.
In afrikanischen Ländern gestalten sich die Einkommensgefälle und Machtverhältnisse noch extremer. Die Wirtschaft in Afrika hängt vor allem von Frauen ab, in ländlichen Regionen Kenias beispielsweise erwirtschaften sie auf den Feldern vielfach das Familienbudget. Aber Männer streichen das Geld ein, und sie entscheiden, wofür es ausgegeben wird. Denn traditionell haben Frauen beim Geld kaum ein Mitspracherecht. Das ändert sich zwar allmählich, aber in recht langsamem Tempo.
Ähnlich ist es in Asien. Ich bin dort viel unterwegs, ob in China, Kambodscha, Vietnam, Laos, Myanmar, Thailand, Indien, Taiwan – überall sah und sehe ich Frauen, die kleinen Handel betreiben: Obststände, Garküchen, Schneidereien. Kürzlich konnte ich in Sri Lanka beobachten, wie es sich auf der bei westlichen Tourist*innen beliebten Urlaubsinsel im Indischen Ozean gestaltet. Frauen sitzen auf Märkten oder am Straßenrand, vor sich Decken ausgebreitet oder kleine Holztische und Kisten aufgestellt: Sie bieten Gewürze, Kräuter, Mangos, Tomaten an, so was.
Und natürlich Kokosnüsse. Eine King Coconut, so heißen die großen grünen Früchte, kostet meist 100 Rupien, umgerechnet 50 Cent. Wenn es gut läuft, verkaufen die Frauen acht bis zehn King Coconuts am Tag. Es sind zwar meist Männer, die die Nüsse von den Bäumen pflücken oder von der Erde auflesen, aber Frauen stehen den ganzen Tag am Straßenrand in der prallen Sonne, warten auf Kundschaft, zerteilen die Früchte, entsorgen den Abfall. Oft hüpfen die Kinder der Frauen um ihre Mütter, wenn Kundschaft auftaucht.
Der Frauenrechtsorganisation South Asia Women's Fund zufolge arbeiten viele Frauen in landwirtschaftlichen Familienbetrieben und als Straßenverkäuferinnen – häufig komplett ohne Bezahlung. Das sri-lankische Finanzministerium spricht von 20 Prozent Frauen als Hilfsarbeiterinnen sowie von mehr Frauen als Männern, die als sogenannte Zuarbeiterinnen in Familienbetrieben vom frühen Morgen bis in den späten Abend arbeiten.
"Das erlauben die Familien nicht"
Es sind Frauen, die in den Hotels und Gästehäusern den ganzen Tag lang Terrassen, Fliesen, Eingänge und Wege fegen. Häufig beginnt ihr Arbeitstag früh morgens, noch bevor die ersten Gäste wach werden. Eine junge Angestellte in einem kleinen Hotel in Tissamaharama erzählte mir, dass sie häufig um vier Uhr in der Früh mit der Arbeit beginne und abends, sobald die letzten Gäste in ihren Zimmern verschwunden sind, müde ins Bett falle. Nach Hause – in ein Dorf ein paar Kilometer weiter – könne sie dann nicht mehr fahren. Sie schlafe in einem Verschlag hinter dem Hotel – gemeinsam mit anderen Hotelmitarbeiter*innen. Wenn sie Glück habe, sagte die junge Frau, bekomme sie vier Stunden Nachtruhe.
Es waren mehrheitlich Frauen, die ich in Sri Lanka in den Restaurantküchen kochen und abwaschen sah, die die Gäste bedienten und Bestellungen aufnahmen. Das Geld wiederum kassierten häufig Männer. Frauen putzten die Zimmer, wechselten Bettwäsche und Handtücher, bereiteten Erfrischungsgetränke. In einem Ayurveda-Ressort, das ich einen Tag lang besuchte, schufteten ausschließlich Frauen: Sie massierten, ölten, cremten, kochten, servierten. Am Empfang des Ressorts saß ein Mann und rechnete ab, zwischen 50 und 75 US-Dollar für eine Tagesanwendung pro Gast. Die Masseurinnen verdienten eigenen Aussagen zufolge 3.000 Rupien am Tag, 15 Euro.
In Sri Lanka gibt es weder Mindestlöhne noch ein nachvollziehbares Gehaltssystem. Das hat zur Folge, dass Arbeitgeber*innen Frauen schlechter bezahlen als Männer. Laut dem Schattenbericht für die Frauenrechtskonvention CEDAW, dem "Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau", erhalten Frauen in der Landwirtschaft nur halb so viel Geld wie Männer. Teepflückerinnen verdienen etwa 400 Rupien am Tag, rund zwei Euro. Und auch das nur, wenn sie die erforderliche Menge pflücken. Vielen Tourist*innen ist das nicht bewusst, sie laufen an den Teeplantagen vorbei, sehen die Frauen in traditioneller Arbeitskleidung und mit bunten Kopftüchern mitten in dem Grün der Pflanzen. Ein farbenfrohes Bild, das die Ausbeutung komplett verschleiert.
Sri Lankerinnen haben kaum die Chance, sich selbstständig zu machen, ihre Arbeit wird von den Behörden häufig als Heimarbeit gezählt und daher schlechter bewertet. Zudem wird von Sri Lankerinnen aufgrund eines nach wie vor sehr traditionellen Rollenverständnisses erwartet, dass sie sich hauptsächlich um den Haushalt kümmern, Kinder bekommen und für die Familie sorgen. In Sri Lanka haben Frauen sich züchtig zu kleiden, sie dürfen nicht öffentlich tanzen, keinen Alkohol trinken, nicht rauchen. Und sie tun es auch nicht. Bei den mittlerweile zahlreichen Partys an den hübschen Stränden im Süden der Insel bleiben Männer unter sich. Selbst bei einem Weihnachtsfest, das für Tourist*innen organisiert wurde, traf ich – neben anderen Ausländer*innen – nur auf sri-lankische Männer. "Frauen dürfen nicht hier sein", erklärte Banu, ein 22-jähriger Tuktuk-Fahrer. "Das erlauben die Familien nicht." Warum nicht? Er zuckt mit den Achseln: Keine Ahnung, sei eben so. Dabei, sagt er, fände er es eigentlich ganz gut, wenn nicht nur Touristinnen mit den sri-lankischen Männern feiern würden. "Unsere Frauen können sehr gut tanzen."
"Wir verlieren unsere Existenz"
Ein weitgehend selbstbestimmtes Frauenleben in Sri Lanka? Beinahe unmöglich. Ausnahmen bilden Frauen wie Pritty in Sigiriya. Die 49-Jährige und ihre Schwester vermieten in ihren beiden kleinen nebeneinanderstehenden Häusern Zimmer an Tourist*innen. Das geht nur, sagt Pritty, weil sie die Häuser von ihrem Vater geerbt haben. Die beiden haben den ganzen Tag zu tun: Frühstück bereiten, putzen, Betten frisch beziehen, Obst und Gemüse auf dem Markt einkaufen, den Garten in Schuss halten. Damit sichern sie ihren Lebensunterhalt, der höher ist als der anderer Frauen. Eine Nacht in einem Doppelzimmer im Flower Inn oder im Kalana Homestay – so nennen die Schwestern ihre Gästehäuser – kostet etwa 3.800 Rupien, das sind etwa 19 Euro.
Aber jetzt haben die beiden Frauen ein Problem. Weil das Dorf ein beliebtes Reiseziel ist, sollen viele Häuser und Hütten großen Hotels weichen. "Wir verlieren unsere Existenz", sagt Pritty. "Und niemand sagt uns, was wir dagegen tun könnten und ob wir eventuell eine Entschädigung erhalten." Nahezu die Hälfte der Weltbevölkerung lebt dem Oxfam-Bericht zufolge von weniger als 5,50 US-Dollar am Tag. Menschen in extremer Armut müssen sogar mit nur 1,90 US-Dollar auskommen. Frauen sind von Armut stärker betroffen als Männer, aber sie leisten den größten Teil der Care- und Sorgearbeit – Kinderbetreuung, Haushalt, Pflege von Angehörigen – häufig unbezahlt. Würde ein einziges Unternehmen all das übernehmen, was Frauen – neben der Erwerbsarbeit, so sie eine haben – jeden Tag tun, könnte es laut McKinsey Global Institute mit einem Schlag zehn Billionen US-Dollar verdienen – 38-mal so viel, wie der Autohersteller Volkswagen in einem Jahr an Umsatz macht, und das 43-Fache des Jahresumsatzes von Apple.
Es ist also doch nicht ganz so einfach beim Thema Frauen und Geld. Der Vollständigkeit halber soll das hier noch erwähnt sein: Françoise Bettencourt-Meyers ist nicht die reichste Person auf der Welt, vor ihr tauchen elf Männernamen auf. Auch haben sie sowie Alice Walton, Jacqueline Mars und Susanne Klatten ihren Reichtum nicht selbst erarbeitet. Sie haben ihn geerbt. Die Wahrheit ist nämlich auch: Frauen kommen eher durch eine Heirat oder durch ein Erbe zu Reichtum als durch ihrer eigene Hände Arbeit.
Simone Schmollack ist Journalistin und Buchautorin. Sie studierte Germanistik, Slawistik und Journalistik in Leipzig, Smolensk und Berlin. Sie war über zehn Jahre Autorin und Redakteurin der "taz". Ihre Themenschwerpunkte sind Frauen, Familie, Gender, Soziales, Ostdeutschland, Migration/Integration. Von Dezember 2017 bis Juni 2018 war sie Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". |
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