10 nach 8: Antje Schrupp über Konformismus

 
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19.02.2019
 
 
 
 
10 nach 8


Mehr spontane Zweifel
 
Im Internet eine unkonventionelle Meinung zu vertreten, ist anstrengend. Daher üben sich auch aufgeklärte Menschen sicherheitshalber im Konformismus. Das ist gefährlich.
VON ANTJE SCHRUPP

Eine Meinung auf Social Media ist immer auch ein Statement, das Zugehörigkeiten formt. © Rawpixel/unsplash.com
 
Eine Meinung auf Social Media ist immer auch ein Statement, das Zugehörigkeiten formt. © Rawpixel/unsplash.com
 
 

Neulich traf ich mich zum Abendessen mit zwei Freundinnen, die ich nicht aus dem Internet kenne, sondern schon seit vielen Jahren aus dem analogen Leben. Das Gespräch kam auf Annegret Kramp-Karrenbauer, die neue Parteivorsitzende der CDU, und zu meiner Verwunderung klangen die beiden fast wie Fangirls. Ja klar, so manches an ihr sei nicht ideal, das gaben sie zu. Aber für eine CDU-Politikerin sei sie doch im Großen und Ganzen schwer in Ordnung. "Habt ihr denn gar keine Probleme mit ihrer Homophobie?", fragte ich dazwischen. "Sie ist doch gegen die Ehe für alle, ist euch das etwa egal?"

Die beiden schauten mich verständnislos an. Ja klar, das hätten sie natürlich schon mitbekommen, zumal sie als lesbisches verheiratetes Paar unmittelbar betroffen seien. Aber so schlimm fänden sie nicht, was Kramp-Karrenbauer zu dem Thema gesagt habe. Erstens sei sie ja auch für die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, sie wolle diese nur nicht "Ehe" nennen – so what! Außerdem habe Kramp-Karrenbauer klargestellt, dass das ihre persönliche Meinung als Katholikin sei und nicht bedeute, dass die Ehe für alle wieder abgeschafft werden soll. Wo also sei das Problem?

Dieses Gespräch hat mich nachdenklich gemacht. Denn ich musste mir eingestehen, dass ich insgeheim die gelassene Haltung meiner Freundinnen teile. Wenn ich ehrlich bin, halte ich Kramp-Karrenbauers etwas altmodische Gefühle in Bezug auf Homosexualität auch nicht wirklich für ein besonders großes Problem. Aber ich habe mich mitreißen lassen von der Meinungswelle, die meine Internetblase erzeugt hat.

Dort war es nämlich zum unhinterfragbaren Konsens geworden, Kramp-Karrenbauers Ansichten über Homosexualität für den Untergang des Abendlandes zu halten. Insgeheim hatte ich bei den täglich oder gar stündlich eintrudelnden Posts dazu immer mal wieder gedacht: Ach Leute, es gibt Schlimmeres. (Andersherum denke ich bei vielen Themen: Hey ihr, das ist jetzt wirklich schlimm, warum interessiert euch das nicht?)

Die Frage, wie das Medium Internet politische Debatten verändert und prägt, wird häufig nur im Hinblick auf seine extremen Ausprägungen geführt, auf die großen Shitstürme, die bezahlten Falschmeldungen, die automatisierten Bots, die extremen Hass-Poster. Aber es hat auch eine Auswirkung auf uns, die gutwillig Engagierten, die tatsächlich an Austausch Interessierten, die ganz normale politische Öffentlichkeit also. Die Dynamik der Vereinheitlichung, die den sozialen Medien innewohnt, erfasst auch aufgeklärte, tolerante Menschen.

Im Internet eine Meinung zu vertreten, die quer zum aktuellen Konsens steht, ist ungeheuer anstrengend. Sehr viel anstrengender als in analogen Beziehungen. Wenn ich anderen Menschen im Büro, auf der Straße, in der Kneipe oder im Frauenzentrum begegne, sende ich unendlich viele kommunikative Signale: Wie ich aussehe, wie ich mich bewege, wie ich mich kleide, wie ich spreche – all das sagt etwas darüber aus, wer ich bin und wo ich stehe. Außerdem kann ich meine Worte dem direkten Gegenüber anpassen. Schaut sie verständnislos, kann ich etwas genauer erklären, nickt sie zustimmend, kann ich das Argument abkürzen, fällt sie mir verärgert ins Wort, weiß ich, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe. Diese ganze Begleitmusik interpretiert und kontextualisiert die gesprochenen Worte. Im Internet hingegen gibt es nichts, außer ein paar dürren Emoticons. Man wird allein nach dem beurteilt, was man schreibt, und basta.

Nicht nur einfach eine Meinung

Das ist für sich genommen nicht schlimm, auch in Büchern oder Briefen zählt ja nur das, was dort steht. Die Schrift ist nicht erst vorgestern erfunden worden, und die Gefahr, die darin liegt, dass Worte aus ihrem Kontext gelöst werden, hat schon Platon diskutiert.
Im Internet und in den sozialen Medien geht es aber nicht nur um Informationsvermittlung, sondern auch um Gemeinschaftsbildung. Eine dort geäußerte Meinung ist nicht nur einfach eine Meinung, sie ist ein Statement, das Zugehörigkeiten formt. Wer eine von der eigenen Community abweichende Position vertritt, läuft Gefahr, diese Zugehörigkeit zu verlieren: Du bist keine richtige Feministin, kein richtiger Grüner, keine wirkliche Linke, kein guter Mensch.

Das soll nicht heißen, dass man im Internet nicht kontrovers diskutieren und keine Minderheitenmeinungen vertreten könnte. Das kann man durchaus, jedenfalls außerhalb des fanatischen Spektrums. Es ist nur sehr anstrengend. Und kostet Zeit. Man muss gute Argumente haben und gut recherchieren, um die dann zu erwartenden Debatten führen zu können. Aber wer hat diese Zeit schon, außer bei den eigenen Spezialthemen?

Deshalb sagen wir meistens nur etwas, wenn wir uns ganz, ganz sicher sind und in diesem Moment Energie für kraftraubende Kontroversen haben. Zwischendurch posten wir das, was alle posten, und stabilisieren damit unsere Zugehörigkeit zur Gemeinschaft. Kramp-Karrenbauer ist homophob, der Klimawandel ist schon wieder schlimmer geworden, die Polizei ist immer noch rassistisch und Krankenkassen sollten unser Geld nicht für Homöopathie verschleudern.

Auch ich mache das. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Ahnung, wie es um das Klima bestellt ist. Ich habe mich nie intensiv damit beschäftigt, ich bin keine Meteorologin oder was man dafür sein muss. Ich bin auch nicht so sicher, was Homöopathie angeht. Ich bilde mir ein, dass die Kügelchen mir schon ein paar Mal geholfen haben, einige meiner besten Freunde schlucken sie, und eine Bekannte, von der ich viel halte, ist selbst Homöopathin.

Aber das schreibe ich nicht ins Netz, weil es nur Gedanken sind, keine substanziellen Positionen. Nichts, was ich begründen könnte. Gegen den Mainstream gehe ich im Internet nur dann in die Bütt, wenn es um eine Sache geht, bei der ich wirklich Expertin bin. Bei der ich alle Argumente tausendmal abgewogen habe. Dann, ja dann wird es spannend, und mich hat auch noch niemand aus dem Feminismus geworfen, weil ich gegen Quoten und Gleichstellung bin und Zweifel an der Queer Theory habe. Aber damit kenne ich mich auch aus, habe alle Argumente durchdacht, die relevante Literatur gelesen, das heißt: Ich kann meine Minderheitenmeinung begründen und belegen.

Bei allem anderen tendiere ich sicherheitshalber zum Konformismus. Aber das ist nicht gut. Es macht Debatten langweiliger und vorhersehbarer, unser Denken oberflächlich und fehleranfällig. Wir brauchen auch im Internet Einwände aus dem Bauch heraus, spontane Zweifel, unausgegorene Gedanken. Und mehr Gelassenheit – aber wo kriegen wir die her?

Antje Schrupp ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Publizistin. Sie beschäftigt sich vor allem mit der politischen Ideengeschichte von Frauen. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".


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10 nach 8
 
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Wir denken, dass diese Stimmen divers sein sollten. Wir vertreten keine Ideologie und sind nicht einer Meinung. Aber wir halten Feminismus für wichtig, weil Gerechtigkeit in der Gesellschaft uns alle angeht. Wir möchten uns mit unseren LeserInnen austauschen. Und mit unseren Gastautorinnen. Auf dieser Seite sammeln wir alle Texte, die 10 nach 8 erscheinen.