Das ist wie Weihnachten und Spargelköniginnenkrönung an einem Tag. Wie Mondfinsternis bei klarer Sicht, wie glutenfreies Baklava, wie Jucken an der Oberlippe ohne Bläschenbildung, es gibt nur wenig Kostbarkeiten mit Seltenheitswert, das hier ist eine solche Rarität, das gibt es nur alle vier Jahre. Die Bundestagswahlplakate hängen demnächst! Entlang des Kamener Kreuzes werden sie geklebt, geschraubt, sie schmücken die B 301, die von Abensberg nach Bebensberg über Cebensberg nach Au in der Hallertau führt, die Plakate werden die bundesrepublikanische Mischkultur aus stillgelegter Fußgängerzone mit angrenzendem Windpark durchpflügen. Will man wissen, welches Milieu rechts und links von einer Bundesstraße wohnt, genügt es, in einer Parkbucht zu halten und den Blick über den angrenzenden Rübenacker zu richten. Entdeckt man ein überdimensioniertes SPD-Plakat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es sich in dieser Gegend mehrheitlich um Alleinerziehende der Lohnsteuerklasse 2 handelt. Findet sich kilometerlang kein FDP-Plakat, ist mit einer flächendeckenden Ärzte- und Apothekerversorgung entlang dieser Route nicht zu rechnen. Die geballte Ladung gutes Deutschland Zum Abschluss des 18. Bundestages lässt sich zusammenfassend über die Wahlplakate sagen, dass die Parteien – und das ist wirklich nicht nach jeder Legislaturperiode so gewesen – mit viel Aufmerksamkeit zum Detail werben. Es sind nicht die großen Gesten dabei, nicht der Bierhumpen und das lachende Gesicht mit weit aufgerissenem Mund. Man will den weltweiten Flüchtlingen nicht suggerieren, dass hier eine Party mit Kindergeldzuschlag gefeiert wird. Es ist die kleine Geste, nicht das laute Haha, das feinsinnige Schmunzeln ist die parteipolitische Trendgeste 2017. "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben." Angela Merkels Gesicht hat dank Strobing, Contouring und Highlighting, Nachahmer werden bei YouTube-Tutorials fündig, auf dem CDU-Plakat einen geheimnisvollen Glow auf der Wangenpartie. Sie lächelt einem die geballte Ladung gutes und gernes Deutschland entgegen und signalisiert dabei den Geringverdienern, dass Vollbeschäftigung mit befristetem Arbeitsvertrag und flexiblem Kündigungsschutz immer noch besser ist, als saisonweise zum Spargelstechen mit dem Bus über die Grenze fahren zu müssen. Man schaut und grübelt und denkt, verdammt nochmal, dieser Glow, dieses Lächeln, googelt die Mona Lisa und wird tatsächlich fündig! "Die Zukunft braucht neue Ideen. Und einen, der sie durchsetzt." Uneingeschränkte Zustimmung. Martin Schulz hat auf seinem Plakat eine zweite Person, die ihm gerade von ihrer Idee erzählt. Irgendwas mit Emojis für Smoothies, einer Windelwechsel-App, Online-Scheidung, jedenfalls etwas ganz Tolles, wovon Martin Schulz noch nichts weiß, aber er wird sich bei der örtlichen Sparkasse für einen Kredit starkmachen. Er wird da persönlich vorbeigehen und die Sache klarmachen. Nein, nein, keine Sorge, Fabian aus Aachen, das vergisst der Martin nicht, er hat es sich schnell handschriftlich notiert. Es geht nämlich um Zukunft und neue Ideen. Und da benutzt der Martin immer den Kalender aus Papier. "Ungeduld ist auch eine Tugend." Bei Trainings für Bewerbungsgespräche hat man gelernt, dass man die Frage nach Schwächen mit Eigenschaften beantworten soll, die positiv konnotiert sind. Die FDP ist so eine Partei. Christian Lindner schaut in seinem weißen Hemd verschämt nach unten. Ja doch, er weiß, er ist nicht perfekt. Seine größten Schwächen sind, dass er auf sein Gewicht achtet, zum Kieser Training geht und bei Kürbissuppe penibel darauf achtet, nicht zu kleckern. Aber er gelobt Besserung. Der pinkfarbene Bauch Lindners look ist männlich und sensibel, wie der der barfüßigen 20-jährigen Männer, die in der Herrenpyjamaaktion der Karstadtprospekte, die doch immer den Tageszeitungen beiliegen, auf middle-aged machen. Die soften sich auch verschmust durch das Viskoseangebot. Dort wie auf dem Plakat gilt die Aktion nur für einen begrenzten Zeitraum. Wer sich für die Teilnahmekondition interessiert, muss an der nächsten Autobahnausfahrt anhalten und ganz nah ans Plakat herangehen. Da steht: Die Krankenkassen werden die Zuschüsse für die Augenoperation erhöhen, damit die Wähler für den kleinen Text in der Mitte nicht mehr extra aus dem Auto aussteigen müssen. "Umwelt ist nicht alles, aber ohne Umwelt ist alles nichts." Wir haben die Welt von unseren Atomkraftwerken geerbt. Stell dir vor, es ist Waldsterben, aber keiner geht hin. Steak, nein danke! Ein Herz für Diesel. Die Grünen knüpfen mit ihren Plakaten an ihre Tradition der Sticker, Sprüche und Spontisträhnchen an. Eine pinkfarbene Kugel, darin, unten in der Mitte, die stilisierte gelbe Sonnenblume. Die Symbolik ist klar. Die Kugel ist der schwangere Bauch und die Blume der geöffnete Muttermund. Mutter Erde gebiert. Wie beim Pointillismus auch, muss man einen Schritt zurückgehen. Der Fokus vergrößert sich, das ganze Bild baut sich langsam auf. Vielleicht muss man das Panorama anders lesen. Als Warnung. Der gelbe gezackte Blütenkelch und der pinkfarbene Bauch, auf einmal sieht man es! Wenn die Umwelt weg ist, ist alles schlimm. "Keine Lust auf Weiterso: Die Linke." Ein typografisches Wimmelbild für die ganze Familie. Manche Buchstaben sind durchgestrichen, man kann es auch so lesen: Lust auf Die Linke. Das ist raffiniert, das hat Witz, das erfordert Mut. Auf einem Plakat spricht die Partei für sich. Warum also nicht einfach die Wahrheit sagen. Selbstlobpreisung in Zeiten der Selfiekultur. Wenn die Linke sagt, wir haben Lust auf die Linke, also auf sich selbst, dann sagt sie, dass sie ihre Begierde aus sich selbst schöpft. Lust, Begierde, Begehren sind Charakteristika genau jener Gegend, in der die Linke vermehrt wirbt. Magdeburg, Anklam, Halle an der Saale, Oxytocin-durchströmte Ostzone, der Lustosten wählt. "Trau Dich, Deutschland!" Ein Riesenfehler, dass die AfD den Plakatentwurf Frauke Petrys nur intern verwendete und nicht bundesweit. Frauke Petry hält von Geburtsschmerzen gezeichnet ihr Kind in die Kamera. Es ist ein warmes Bild. Ein kleines Baby schläft in Deutschland. Eine Mutter muss zur Rückbildungsgymnastik. "Trau Dich, Deutschland" meint auch, dass eine echte deutsche Mutter ohne Periduralanästhesie ihren deutschen Hermann gebären kann. Das ist ein Grund, für Deutschland zu kämpfen. Vielleicht hat der deutsche Hebammenbund schon bei der deutschen Partei nachgefragt, ob er die deutschen Plakate zweitverwerten kann. Es geht übrigens um Deutschland.
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