Freitext: Tijan Sila: Home is where the Tod is

 
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22.08.2017
 
 
 
 
Freitext


Home is where the Tod is
 
 
Nach 23 Jahren besuchte ich zum ersten Mal meine Heimatstadt Sarajevo. Ich fand Geschichten über Explosionen, Wunden, Hunger und Tumore. War das schön.
VON TIJAN SILA

 
© Dado Ruvic/Reuters Pictures
 
Mich darf man alles Mögliche fragen, auch woher ich komme. Ich komme aus Sarajevo, Bosnien-Herzegowina, das Zuhause des FK Željezničar! Es gibt Menschen mit Migrationshintergrund, die diese Frage kränkt, meistens sind sie in Deutschland zur Welt gekommen und haben darum keine Antwort außer: Hamburg. Oder Rastatt, oder so. Ich bin aber erst seit meinem dreizehnten Lebensjahr hier und habe über die Jahre einen regelrechten Aufsatz über meine einstige Heimatstadt einstudiert, mit dem ich alle Fragenden für sie zu gewinnen hoffe:
 
Sarajevo gleicht einer Schichttorte. An den osmanischen Stadtkern schließt sich ein Ring aus Gebäuden österreichisch-ungarischer Zeit an, und nach ihnen erstrecken sich die Weiten sozialistischer Großwohnsiedlungen, Reihen von Hochhäusern, deren enorme Ausmaße selbst auf Satellitenaufnahmen der Stadt deutlich werden, wo sie Hunderte von quadratkilometergroßen, rechteckigen Schatten werfen.
 
Es gibt kaum Übergänge zwischen den Architekturen dieser drei Epochen, nur einige Streifen, in denen sie über wenige Meter ineinander bluten; das sieht aus wie die Achsel eines günstigen Hemds, wo die Schnittkante des Ärmels unter der Naht hinausragt. Im Gegensatz zur ehemaligen DDR, wo nach der Wiedervereinigung eine Massenflucht aus Großraumsiedlungen stattfand, kauft man in Bosnien immer noch Wohnungen in den Platten. Man tut es, um in der Nähe alternder Eltern und der Freunde, mit denen man aufgewachsen ist, bleiben zu können. Menschen in Sarajevo bleiben den Vierteln, in denen sie aufgewachsen sind, verpflichtet.
 
Die Plattenbauten tragen immer noch die Pockennarben der Einschüsse von Granaten und Kugeln, von Bränden; die Wohnungsinhaber haben in der Regel jene Schäden gekittet, die ihre Immobilie unmittelbar betrafen, aber Einigungen zu gesamtheitlichen Instandsetzungen der Fassaden sind selten. Die Spuren der Treffer ändern nichts an der Wirkung dieser überdimensionierten Monolithe – sie sind so groß, dass es oft schwierig ist, sie ganz im Sichtfeld zu haben. Zusätzlich sind ihre Silhouetten nicht bloß quadratisch, sondern von der Unruhe einer Vielzahl von Auskragungen bestimmt; es ist regelrechte Arbeit sie anzuschauen. Die größten von ihnen tragen Spitznamen: der Papagei, der Hundertmeter, der Gepanzerte, die Waffel. Ich bin in einem der kleineren, nur sechsstöckigen und darum namenlosen aufgewachsen.
 
Da komme ich also her.




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