Fünf vor 8:00: Dafür braucht es keinen Putin - Die Morgenkolumne heute von Alice Bota

 
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FÜNF VOR 8:00
18.08.2017
 
 
 
   
 
Dafür braucht es keinen Putin
 
Nach den Nazi-Aufmärschen in Charlottesville fragten sich manche, was Russland damit zu tun habe. Wie die Angst vor russischen Einmischungen einen Diskurs gekapert hat
VON ALICE BOTA
 
   
 
 
   
 
   
Es waren wenige Stunden vergangen, seit in Charlottesville eine junge Frau von einem jungen Rechtsextremen überfahren wurde, da meinten einige plötzlich, dass eine Diskussion über "russische Operationen" überfällig sei.
 
Ku-Klux-Klan-Anhänger, Alt-Right und White-Supremacists, wie sich die amerikanischen Nazis nennen, marschieren mit Hakenkreuzen und Hitlergruß auf, rufen "Juden werden uns nicht ersetzen", sind schwer bewaffnet – und die Russen sollen etwas damit zu tun haben?
 
Natürlich behauptet niemand, dass Wladimir Putin hinter der Gewalt in Charlottesville steckt. Stattdessen wird geraunt, im Netz, von einigen Publizisten oder politischen Beratern. Übersetzt nicht die russische Frau des White-Supremacy-Aktivisten Richard Spencer Texte des eurasischen Ideologen Alexander Dugin aus dem Russischen ins Englische? Hatte nicht Spencer Russland als "die alleinige weiße Macht in der Welt" bezeichnet? Bekam die rechtsextreme Seite Daily Stormer nicht gerade eine russische Domain (was spielt das schon für eine Rolle, dass sie nach wenigen Stunden von den Russen gesperrt wurde)? Unterhält nicht der Kreml weltweit Verbindungen zu Rechten? Und wisse er nicht längst, wie man erfolgreich den Westen destabilisiert? Nämlich durch das Spalten einer Gesellschaft. Daraus müsse folgen, dass die Aufmärsche in Charlottesville zumindest vom Kreml inspiriert waren, so hat es der US-Kolumnist John Schindler tatsächlich für den Observer formuliert.
 
Ein Jahr ist es her, dass etwa 20.000 Mails der Demokraten geleakt wurden, die Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton durch das Bekanntwerden hässlicher Interna in Schwierigkeiten geriet, die russisch-amerikanischen Beziehungen noch schlechter wurden und dennoch etwas Neues begann. Seither hat sich nach und nach ein gängiges Erklärungsmuster etabliert: Die Russen stecken irgendwie mit drin. Das liegt zum einen an der mutmaßlichen Einmischung der Russen bei der Präsidentschaftswahl, von der fast die gesamte politische Klasse in Amerika überzeugt ist. Doch bald schon verwoben sich die Wut und Fassungslosigkeit über die Manipulation mit dem Erschrecken darüber, dass Donald Trump der 45. Präsident der USA werden konnte.
 
Seit Trump an der Macht ist, werden Erklärungen herbeigesehnt, wie er nur Präsident werden konnte. Kollektiv wird nach Wegen gesucht, den Schock zu kompensieren. Am Tag nach Trumps Sieg soll irgendwie die liberale Hegemonie schuld gewesen sein. Dann die Facebookblase. Dann die Medien. Schließlich die Russen.
 
Putin nutzt die Schwäche des Westens
 
Sicher mischt der Kreml mit, wo er kann. Putin ist geschickt genug, in das Vakuum hineinzustoßen, das durch die Schwäche des Westens entsteht – mehr aber auch nicht. Putin hat nicht Trump installiert (die russischen Staatsmedien waren von seinem Sieg anfangs sichtlich überfordert), aber er hat – vermutlich – durch Manipulationen bei der Wahl das Vertrauen in die US-Institutionen zu untergraben versucht. Der Kreml unterstützt auf unterschiedliche Weise rechte Parteien in Europa – aber nicht, weil er deren Ideologie teilt, sondern gerade weil er keine hat. Der Zweck ist, die Schwäche des Westens zu nutzen, und er heiligt die Partner. Man lebt wieder in der Konfrontation. Wenn aber der Diskurs überhitzt, dann wird es für den Kreml extrem einfach, die westliche Position als Hysterie einer verwundeten Gesellschaft abzutun.
 
Natürlich, erst Trumps Art nährt den Verdacht, die Russen steckten nicht nur hinter dem Hackerangriff, sondern womöglich hinter sehr viel mehr. Trump feuert Ermittler, stellt sie öffentlich bloß oder droht ihnen, er wütet wegen neuer Enthüllungen, zieht aber keine Folgen daraus (oder erst, wenn es gar nicht anders geht wie bei Michael Flynn), er hat seine Familie in seine undurchsichtigen Versuche verwickelt, mithilfe der Russen seine Konkurrentin zu verunglimpfen. Wird Trump der Lüge überführt, dann leugnet er eben die Lüge. Sollte er durch seine Geschäfte mit den Russen verwickelt sein: Niemals würde er es eingestehen. Damit macht Trump das Raunen erst möglich, das nach jeder unfasslichen Entwicklung zwangsläufig einsetzt: dass da eine andere Kraft am Werke sein muss.
 
Der Mensch als Instrument ausländischer Mächte
 
Lebt man in Russland und schaut des Öfteren russisches Staatsfernsehen, dann kommt einem das bekannt vor. Ihre Sichtweise ist diese: Wenn in Russland Menschen auf die Straße gehen, dann deshalb, weil sie bestimmt aufgewiegelt wurden: Durch die Europäer, vermutlich die Amerikaner, ganz sicher aber durch George Soros. Die Farbenrevolutionen in Georgien oder der Ukraine, die Oppositionsmärsche in Russland: Ein Werk der CIA oder gekauft mit Soros-Geld. Gewiss ist nur eines: Nie ist es der mündige Mensch, der sich erhebt; er ist stets ein Instrument ausländischer Mächte. Seit Jahren dudelt diese Erzählung über die russischen Staatssender. Wer nun die Russen wegen Charlottesville in eine – wenn auch abstrakte – Verantwortung nimmt, wer bei jeder beunruhigenden Begebenheit zuerst nach der Verantwortung der anderen fragt, der ähnelt frappierend gerade jenen, von denen er sich abgrenzen will.
 
Nazis sind Nazis, dafür braucht es keinen Putin. Trump ist Trump, auch dafür braucht es Putin nicht. Dass die amerikanische Politik nun wie ein Geschäft wirkt, in das die ganze Familie eingebunden wird; dass das Weiße Haus reihenweise seine Verbündete vor den Kopf stößt und die Nähe zu einem Autokraten sucht; dass Unterstützer von Rechtsradikalen dort arbeiten; dass Nazis den amerikanischen Präsidenten preisen: Ja, das ist alles kaum zu fassen. Aber es ist das Werk eines Mannes, dem es tagelang offenbar sehr schwerfiel, den Namen jener jungen Frau zu nennen, die in Charlottesville getötet wurde. Nun denn: Sie heißt Heather Heyer und starb, weil sie friedlich gegen Nazis protestierte. Er heißt Donald Trump und nahm die Nazis in Schutz. Die Amerikaner haben ihn zu ihrem Präsidenten gewählt.
 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.