Freitext: Jackie Thomae: Berlin, Babylondon

 
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24.08.2017
 
 
 
 
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Berlin, Babylondon
 
 
Das Verschwinden der deutschen Sprache in der Berliner Gastronomie gehört zu den luxuriöseren Problemen der Stadt. Vielleicht liegt es auch an der großen Ehrfurcht vor unserer komplexen und unergründlich funkelnden Muttersprache.
VON JACKIE THOMAE

© Tim Wright/unsplash.com
 
© Tim Wright/unsplash.com
 
 
Wenn man dich anderswo auf der Welt fragt, ob du deutsch sprichst, sagst du: Ja. Als du hierherkamst, hat dich niemand gefragt, was du sonst noch so sprichst. Man schien begeistert, ja buchstäblich besessen davon zu sein, englisch mit dir zu reden. Du warst auf Partys und Abendessen, bei denen sich alle nach dir, der englischen Muttersprachlerin richteten, das hat dich anfangs gerührt, weil du dich als ziemlich weltgewandt einstufen würdest, aber niemals und nirgendwo davon gehört hattest, dass die Deutschen als ausnehmend gastfreundlich gelten. Nun, in deinem Fall waren sie es. Bis hin zur Selbstaufgabe. Oder gibt es sonst ein Land, in dem alle ihre Gespräche vereinfachen und verlangsamen, indem sie für einen Gast auf ihre Muttersprache verzichten? Dir fällt keins ein. Frankreich ganz bestimmt nicht, hahaha. Aus Frankreich kommt deine derzeitige Mitbewohnerin in deiner abwechslungsreichen AirBnB-WG in Berlin. Auch sie spricht englisch. Sichtlich ungern, aber lieber als deutsch.
 
Dein Deutschwortschatz ist in etwa so groß wie der deiner türkischen Nachbarin, auch wenn eure Vokabeln sicher aus unterschiedlichen Themenkreisen kommen. Denn während die alte Dame sich vorrangig auf ihre Familie konzentriert, stürzt du dich enthusiastisch in dein Leben als Neu-Neuköllnerin. Der Job im Restaurant sollte nur vorübergehend sein. Eigentlich spekulierst du auf einen Job im Team von Ólafur Elíasson. Der kann garantiert Deutsch, weil Skandinavier irgendwie immer alles können, aber seine Arbeitssprache wird Englisch sein. Leider braucht Ólafur dich im Moment nicht, weshalb du in der Zwischenzeit an einem Bildungsroman schreibst. Den Titel hast du schon: Götterschaden. Ein deutsches Wort, das du aus Götterdämmerung und Schadenfreude zusammenmontiert hast, deinen beiden Lieblingswörtern.
 
Überhaupt ist der Vorwurf, du würdest dich nicht für Deutsch interessieren, total unfair. Du magst Deutsch. Du liebst es, deutsche Wörter in deine Sätze einzuflechten. Das sollte die eigentliche Bestimmung dieser Sprache sein: Dekoration.
 
Fünf achtzisch!
 



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