Freitext: Paula Fürstenberg: Kein Internet, nirgends

 
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31.08.2017
 
 
 
 
Freitext


Kein Internet, nirgends
 
 
Wolkenformationen deuten. Tiere zählen. Schwimmen im Fluss. Viel zu oft in den Himmel schauen. Jeder Sommertag auf dem Land ist ein Tag zum Festhalten.
VON PAULA FÜRSTENBERG

© David Aler / unsplash.com (https://unsplash.com/)
 
© David Aler / unsplash.com (https://unsplash.com/)
 
 
Ein Kunsthaus im Havelland, zwei Augustwochen, zehn Literaturschaffende in wechselnder Besetzung. Notizen aus dem Lichtschutzgebiet
 
Tag 1
 
Anreise im Lada. Ich fahre das epische Geradeaus, vom Brandenburger Tor bis Friesack, ohne abzubiegen. Freude darüber, dass wir längst eigene Strodehne-Vokabeln haben. An den Versprachlichungen merke ich, dass ich mir diesen Ort zu einem eigenen gemacht habe, der die Erinnerungen an Kindheit und Jugend noch enthält, aber eine davon unabhängige Gegenwart hat. Als ich Strodehne durchquere und auf den Feldweg fahre, gilt mein erster Blick der alten Knutsch-Eiche am Rand der Spülfelder, einstiges Ziel der Nachtwanderungen mit besten Freundinnen und ersten Lieben. Letztes Jahr war sie derart vom Eichenprozessionsspinner befallen, dass man durch ihr spärliches Laub viel Himmel sehen konnte. Diesen Baum sterben zu sehen, würde für immer eine schmerzhafte Leerstelle in den Ausblick fressen, den man vom Kunsthaus auf die Felder und den Gülper See hat. Große Erleichterung, sie nicht kahl vorzufinden; ihr Blattwerk hat sich verdoppelt.
 
Die erste Flasche Wein, wir bringen uns auf den neusten Stand in Sachen Textarbeit; Figurenentwicklung, Rechercheergebnisse, Seitenzahlen. C sitzt am Roman, N an einer Kurzgeschichte; ich weiß nicht, woran ich sitze. C und ich fahren nach Rhinow und kaufen für 180 Euro ein.
 
Tag 2
 
Das Havelwasser klar und strömungsstärker als sonst, die Ufer sind überschwemmt, es hat deutlich zu viel geregnet im Juli. Geschwommen, gefrühstückt, jetzt Schreibtisch. N und C arbeiten oben in ihren Zimmern, ich unten im Raum gegenüber der Küche. Blick auf den Hof, das Feld (dieses Jahr Weizen), den Deich und die Böschung des Sees. Das Geräusch des Traktors, der den Deich mäht. Der Geschmack lauwarmen Kaffees im Mund. Die schon septemberige Kühle der Luft. Hinter dem Traktor, mit einem Sicherheitsabstand von etwa 20 Metern, stakst der Storch über den Deich und schnabelt die aufgescheuchten Frösche und Würmer auf. Es gibt dümmere Tiere als Störche.
 
Strodehnetage sind Tage zum Festhalten, jedes gesichtete Tier und jeder gesprochene Satz erscheinen mir aufschreibenswert. Als könnte ich die Stunden hier auf Papier konservieren und in schlechteren Zeiten hervorholen. Sogar so etwas Lästiges wie Liebeskummer wird hier erträglich, als Teil eines Ganzen, das seine Richtigkeit hat. Als Trump letzten Herbst US-Präsident wurde und mein Facebook-Feed überlegte, wohin im Kriegsfall auszuwandern wäre, dachte ich: Strodehne. Hier ist der Krieg nicht vorstellbar, in Berlin ist er es immer. Erholsame Dummheit der Kindheitsbilder.
 
Frage des Tages: Darf der Körper mitschreiben? Welche Körperteile, welche nicht?
 



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