| Guten Morgen, | | | | Sigrid Neudecker / Foto: Gretje Treiber | |
vielleicht erinnern Sie sich: Vor nicht einmal drei Wochen hatte ich mich an dieser Stelle über übermotorisierte und unterpotenzierte Autofreaks beschwert, die vor allem in der Innenstadt die Motoren aufheulen lassen. Und was soll ich sagen? Prompt hat mir die Hamburger Polizei eine eigene Taskforce gegründet! Die Arbeitsgruppe »Auto-Poser« soll sich ab Mitte September, wie die Polizei einen Bericht der »Bild«-Zeitung bestätigte, vor allem an neuralgischen Punkten wie Alster, Kieler Straße, Wandsbeker Chaussee und Harburg aufhalten und »testosterongesteuerten, meist jüngeren Fahrern« (ich zitiere hier niemanden!) zur Not sogar das Fahrzeug abnehmen. Angeblich haben sie die Gruppe zwar nicht mir zuliebe gegründet, sondern weil sich die Beschwerden bereits seit dem Sommer 2016 zunehmend gehäuft hätten, aber man muss der Polizei ja auch nicht alles glauben. Im Gegenteil. Ich erwarte als Nächstes eine Sondereinsatztruppe der Stadtreinigung, die den Müll abholt, den mir verhaltensoriginelle Zeitgenossen regelmäßig in meinen Fahrradkorb werfen, obwohl gezählte 15 Schritte daneben ein Mülleimer hängt. Und dann hätte ich auch noch gern ein bisschen Prozac im Hamburger Trinkwasser, damit mir morgens in der U-Bahn nicht so viele hängende Mundwinkel begegnen. Ja, danke, das genügt mir fürs Erste. Für das Thema Hundekot ist hier ab morgen ja wieder Mark Spörrle zuständig.
»Es geht um Hamburger Jugendliche, die hier auf die schiefe Bahn geraten sind«
Vor Kurzem wurde bekannt, dass der geplante Gefangenenaustausch mit Schleswig-Holstein vorerst gescheitert ist. Hamburg wollte seine jugendlichen Straftäter in Neumünster unterbringen, Schleswig-Holstein seine weiblichen Gefangenen im Gegenzug in Hamburg. Wir haben Bernd Maelicke, einen der renommiertesten Resozialisierungs- und Gefängnisexperten (»Das Knast Dilemma«), um eine Einschätzung gebeten. Elbvertiefung: Herr Maelicke, eines der größten Projekte von Justizsenator Till Steffen steht vor dem Aus: der Gefangenenaustausch mit Schleswig-Holstein. Sie machen seit Monaten gegen das Projekt Stimmung. Freuen Sie sich nun? Bernd Maelicke: Ja, denn Hamburg könnte nun endlich eine kleine heimatnahe Jugendanstalt nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen bauen, wie Experten es seit Jahren fordern. Steffens jetzt gescheiterter Plan war keine gute Variante. EV: Was war an diesem Austauschprogramm so falsch? Maelicke: Da wären nur Probleme und Menschen zeitweise exportiert worden. Es geht um Hamburger Jugendliche, die hier aufgewachsen und auf die schiefe Bahn geraten sind. Um das wieder geradezubiegen, braucht man heimatnahe Netzwerke, eine Verbindung zu ihrem sozialen Umfeld. EV: Aber die Jugendlichen sitzen doch im Gefängnis? Maelicke: Moderner Strafvollzug kooperiert mit den sozialen Diensten und Einrichtungen aus den Stadtteilen. Die Rückfallquoten sind umso geringer, je besser der Übergang nach außen ist. Im besten Fall betreuen Bewährungshelfer, Jugendgerichtshelfer, Drogenberater, Therapeuten und die Arbeitsvermittlung schon während der Haft die Jugendlichen, um sie auf die schwierige Zeit nach der Entlassung vorzubereiten. Das hätte so in Neumünster nicht geleistet werden können. Armut und Kriminalität bedingen einander. Wenn man sich darum nicht kümmert, hat man hohe Rückfallquoten und gefährdet letztlich die Sicherheit der Bevölkerung. EV: Wie würden Sie das Problem lösen? Maelicke: Ich habe mit Professor Bernd-Rüdeger Sonnen von der Uni Hamburg einen Vorschlag vorgelegt, in dem wir darlegen, wie wir uns eine selbstständige und zukunftsorientierte Jugendanstalt in Billwerder vorstellen. Stichworte sind: Heimatnähe, Dorfcharakter und eine Öffnung nach außen, also enge Vernetzung mit Therapeuten und Beratern. Wenn wir Drinnen und Draußen verzahnen, verringern wir die Rückfallquoten. EV: Till Steffen wird vom Boulevard und der Opposition gern als »Pannensenator« bezeichnet, weil immer wieder Gefangene weglaufen, die Gefängnisse voll und die Bediensteten überlastet sind. Wie viel Schuld hat der Senator? Maelicke: Die deutschen Justizminister und -senatoren können kaum verhindern, was in den Gefängnissen passiert, müssen es aber verantworten. Insofern geht es den meisten nicht besonders gut, da ist Senator Steffen nicht allein. Was ich ihm aber vorwerfe, ist, dass er sich als Grüner nicht an die Spitze der Innovation stellt und diese bestmöglich steuert. Das neue und höchst innovative Landesresozialisierungs- und Opferhilfegesetz wird immer wieder vertagt, und beim Jugendvollzug könnte Senator Steffen zeigen, was er unter Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung versteht. Leider sind bei diesen Fragen beide Regierungsparteien sehr defensiv. Ich wünsche ihm mehr Engagement und Unterstützung. Gestern wurde der mutmaßliche Islamist Abdullah K. laut Justizbehörde gegen 6.25 Uhr tot im Hamburger Untersuchungsgefängnis aufgefunden. Ersten Erkenntnissen zufolge habe er sich erhängt. Zuletzt lebend gesehen worden sei er gegen 18 Uhr am Vorabend beim Einschluss in seine Zelle. Er habe »keine Anzeichen suizidalen Verhaltens« gezeigt. Abdullah K. hatte sich demnach seit Juni in Untersuchungshaft befunden, weil ihm die Beteiligung an der terroristischen Al-Nusra-Front vorgeworfen wurde. Die FDP nutzte diesen Vorfall prompt für eine erneute Attacke gegen den Justizsenator. |
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