Judith Butler im ZEIT-Interview | NC vor Gericht | 3 ½ Fragen an Martin Wortmann | Gastkommentar Steffen Krach: Auch der Bund ist gefordert

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.
 
 
   
   
Liebe Leserinnen und Leser,
Angela Merkel hat ihre rotkarierte Wanderbluse in den Schrank gepackt, die politische Sommerpause ist vorbei. Seit dem Wochenende befindet sich die Kanzlerin im Dienstblazer auf Wahlkampftour. Politisch wieder ein paar Gänge höher schalten sollte also auch die Wissenschaft. Unsere 3 ½ Fragen beantwortet Martin Wortmann, Präsident der Rheinischen Fachhochschule Köln, und Steffen Krach fordert im Gastkommentar Bundesgeld für die Unimedizin.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Judith Butler im ZEIT-Interview
Nach den rechtsextremen Gewaltausbrüchen in Charlottesville sieht Judith Butler auch die Wissenschaft am Zug: „Wir müssen dem systemischen Rassismus radikal entgegentreten“, betonte die Philosophin, die in Berkeley Rhetorik und Komparatistik lehrt. Mit CHANCEN-Redakteurin Anna-Lena Scholz sprach Butler über ihre Rolle als Professorin, die besondere Verantwortung der Universität, die Bedeutung des Science March und über ihre Sorge um die Wissenschaftsfreiheit. „Wir sollten uns wirklich gut überlegen, mit welche Argumenten wir unsere Arbeit an den Hochschulen und in der Öffentlichkeit verteidigen können“, erklärte Butler. Das komplette Interview findet sich in der aktuellen Ausgabe der ZEIT.
  
 
 
Numerus Clausus vor Gericht
Und hier ein Termin für den Kalender: Am 4. Oktober verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Studienplatzvergabe in der Medizin. Was davon zu halten ist, erfahren Sie in der aktuellen ZEIT. Die Ankündigung des Urteils allein sorgt seit Tagen für erhebliches Medienecho (Spiegel Online, Welt, Apothekerzeitung). Etwa 44.000 Bewerber versuchen, einen der rund 9.000 Medizinstudienplätze zu bekommen. 20 Prozent davon gehen an die besten Abiturienten, weitere 20 Prozent an die Bewerber mit der längsten Wartezeit, und 60 Prozent vergeben Hochschulen nach eigenen Kriterien. Entscheidend ist dabei erneut meist die Abiturnote. Lässt sich das mit dem Grundrecht auf freie Berufswahl vereinbaren? Die Antwort auf diese Grundsatzfrage betrifft nicht nur die Medizin. Gut 40 Prozent aller Studiengänge sind mit einem NC belegt. Im Vorgriff auf das Karlsruher Urteil haben der Medizinische Fakultätentag und der Verband der Medizinstudierenden kürzlich also eine Alternative vorgeschlagen. Nämlich: Ein Vergabekriterium sollen berufspraktische Erfahrungen werden.
  
 
 
Indiens March for Science
Kurz vor den offiziellen Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit Indiens vor 70 Jahren haben Wissenschaftler und Studierende in rund 25 Städten für mehr Geld in Bildung und Forschung demonstriert (Aljazeera, Indian Express, Nature). Indien gibt nach Angaben der Weltbank aktuell 0,8 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aus, deutlich weniger als China, das zwei Prozent in den Sektor investiert. Ausgaben von 3 Prozent forderten Indiens Wissenschaftler nun bei ihrem March for Science. Premierminister Narendra Modi hatte zu Jahresanfang bei einer Rede erklärt, Indien bis 2030 in die TOP 3 der Wissenschaftsnationen bringen zu wollen (Times of India). Welche Taten dafür nötig sind, beschreibt der Lalit Kumar, Professor an der University Delhi, in einer Kolumne für den Pioneer.
  
 
 
Im Schatten von Open Acess
Applaus, Applaus, Applaus! Die Zahl der wissenschaftlichen Beiträge, die offen im Internet stehen, steigt kontinuierlich an. Wie THE unter Berufung auf eine Studie meldet, ist im Jahr 2015 fast die Hälfte aller Fachartikel in Open-Access-Formaten erschienen. Insgesamt stünden mittlerweile rund 19 Millionen Beiträge online. Bei ihren Recherchen greifen Wissenschaftler allerdings weiterhin auf Schattenbibliotheken zurück, die Fachaufsätze ohne Zustimmung der Rechteinhaber bereitstellen. Warum und wie diese Internetdienste florieren, erklärt Dorothea Strecker in einem Beitrag auf der Urheberrechtsplattform irights.info.
  
 
 
Japan kürzt Grundlagenforschung
Aufruhr an der japanischen Spitzenforschungsorganisation Riken. Nachdem die Wissenschaftler über zehn Jahre hinweg schleichende Budgetkürzungen von insgesamt rund 20 Prozent hingenommen haben, gehen sie nun auf Konfrontationskurs. Auslöser dafür ist eine neue rigide Sparrunde, die einzelne Wissenschaftler hart trifft, wie Nature berichtet. Takaomi Saido, Spezialist in der Alzheimer-Forschung, muss beispielsweise allein in diesem Jahr auf mehr als 40 Prozent seines Budgets verzichten. Erfahren hat der Wissenschaftler davon erst im April. Riken ist vor 100 Jahren nach dem Vorbild der deutschen Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet worden und bis heute so etwas wie die japanische Max-Planck-Gesellschaft.
  
   
 
 
   
 
   
   
 
Personen
 
 
   
   
Peter Bürger stirbt mit 80 Jahren in Berlin
Der renommierte Literaturwissenschaftler und Kunstsoziologe Peter Bürger ist tot. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1998 lehrte und forschte der Anhänger der Kritischen Theorie an der Universität Bremen. Bürger starb am vergangenen Freitag im Alter von 80 Jahren in Berlin. Ein lesenswerter Nachruf, geschrieben von Lothar Müller, findet sich in der Süddeutschen Zeitung.
 
Neue Kanzlerin an der Hochschule Magdeburg
Antje Hoffmann komplettiert als Kanzlerin die Führungsriege an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Die promovierte Juristin war am Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Personalchefin und leitete dort zuletzt die Rechtsabteilung. Antje Hofmann übernimmt den Posten von Michael Hoffmann. Er hatte die Aufgabe interimsweise übernommen und ist von jetzt an in Magdeburg-Stendal Prorektor für Studium, Lehre und Internationalisierung.
 
Spitzenunis in Frauenhand
Auch bei den weltweit führenden Universitäten geht es langsam voran mit der Gleichstellung in akademischen Führungspositionen. Von den 200 Top-Unis weltweit werden aktuell 36, also 18 Prozent, von Frauen geführt. Ein Prozent mehr als im Vorjahr, meldet THE. Oxford mit Louise Richardson an der Spitze gehört dazu.

Deutsches Internet-Institut: Stellen en Gros  
Wissenschaftsmanager, Öffentlichkeitsarbeiter, Postdocs, Doktoranden, studentische Hilfskräfte und Beschäftigte im nichtwissenschaftlichen Dienst: Wer so viele Posten auf einmal besetzt, befindet sich in der aufregenden Gründungsphase. Im Stellenmarkt der ZEIT gibt das Deutsche Internet-Institut für die vernetzte Gesellschaft einen Überblick über die (noch) freien Stellen. Das Institut soll interdisziplinär gesellschaftliche Veränderungen im Zuge der Digitalisierung analysieren und daraus "politische und wirtschaftliche Handlungsoptionen skizzieren". Interessiert?
   
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Prof. Dr. Martin Wortmann

Präsident der Rheinischen Fachhochschule Köln
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Dass der Generalist besser ist als sein Ruf. Und ich muss zwangsläufig an die Ingenieure der Renaissance denken. Sie haben sich mit allem beschäftigt, und mit Kunst, Politik, Bankenwesen und Architektur die Welt revolutioniert. Daher ist meine Vision einer modernen liberal demokratischen Gesellschaft eng verknüpft mit Neugierde in Bildung und Ausbildung. Meine unterschiedlichen Ausbildungen als Krankenpfleger, Instrumentenbauer, Journalist sowie meine universitäre Laufbahn bis hin zur Promotion am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz haben mich als Mensch geprägt, und mir viele Erfahrungen beschert. All das hat es mir auch ermöglicht, in verantwortlichen Positionen in der Marktforschung, im Maschinenbau, als Investmentmanager und Wirtschaftsförderer zu arbeiten und mich letztendlich so zum Präsidenten einer Fachhochschule zu qualifizieren.
 
Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Das ist schwierig, denn jeder Lösungsansatz kostet Zeit und also auch Geld. Versuchen wir es trotzdem. Fachhochschulen werden mit Vorurteilen konfrontiert: Unis wären wissenschaftlich, FHs nicht, auch wenn Abschlüsse an Fachhochschulen zur Promotion berechtigen. Die Lösung ist  Kommunikation. Der gute Rat für die, die die Leistungsfähigkeit der FHs einfach nicht begreifen wollen: kommt von dem hohen Ross herunter. Das kostet nichts.
 
Lektüre muss sein. Welche?
Ich empfehle hier etwas Einfaches und vielleicht unter dem oben genannten Aspekt nutzloses. Diabolik, ein italienischer Comic, der alles auf den Kopf stellt. Der Böse, Diabolik, gewinnt immer – und der Gute, Kommissar Ginko, verliert auch immer. Für deutsche Krimis undenkbar. Aber, ein Perspektivwechsel hat etwas Bereicherndes und die italienische Sprache lässt sich so mit Bildern lernen. Was meine florentinische Frau mir beizubringen versuchte, hat Diabolik ohne Mühen hinbekommen.
 
Und sonst so?
Ich freue mich auf meinen Urlaub in Florenz und nebenbei warte ich auf eine neue Bundesregierung, die den Fachhochschulen vielleicht mehr Respekt zollt als bisher.
   
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Gastkommentar
 
 
   
   
von Steffen Krach
   
   
Auch der Bund ist gefordert
Die strukturelle Unterfinanzierung der Universitätskliniken setzt die Qualität der Gesundheitsversorgung in Deutschland aufs Spiel. Dennoch hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) alle notwendigen Verbesserungen in dieser Legislaturperiode verschleppt und blockiert. Experten warnen längst, dieser Kurs führe die Unikliniken schnurstracks auf die Notfallstation. Höchste Zeit für eine Kehrtwende: Der Bund muss mehr Verantwortung für die Universitätsmedizin übernehmen.
Deutsche Unikliniken ächzen unter dem Kostendruck, die meisten schreiben rote Zahlen. Wissenschaftliche Aufgaben werden zugunsten einträglicher Versorgungsaufgaben vernachlässigt, strukturelle Defizite so kompensiert. Dabei nehmen medizinische Herausforderungen durch die demografische Entwicklung und die Folgen der Globalisierung zu. Die Unimedizin muss sich wieder stärker ihren originären Aufgaben widmen, Innovation in der Gesundheitsversorgung vorantreiben und eine gute Ausbildung von Medizinerinnen und Mediziner gewährleisten.
Die Kosten von Forschung, Lehre und Investitionen tragen bislang die Länder. Der Bund fördert nur temporäre Forschungsprojekte. Die Krankenversorgung wird über das übliche pauschalisierte Abrechnungsverfahren (DRG-System) finanziert, wobei die Unikliniken mit normalen Krankenhäusern nicht vergleichbar sind. Ihre besonderen Belastungen durch Extremkostenfälle, spezielle Vorhaltungen und Ausbildung müssen endlich anerkannt werden. Wir brauchen eine Neugestaltung ihrer Finanzierung, um den überfälligen Befreiungsschlag zu schaffen. Der Vorschlag eines gerechten Systemzuschlags, wie ihn die Unikliniken, Fachverbände und zahlreiche Wissenschaftsminister bislang vergeblich vom Bundesminister Gröhe fordern, ist nicht vom Tisch.
Notwendig sind auch eine bessere Zusammenarbeit zwischen der Gesundheits- und Wissenschaftsseite und eigene Anstrengungen der Länder. Berlin leistet seinen Beitrag für die Zukunftsfähigkeit der Universitätsmedizin: Knapp 1,8 Milliarden Euro für Forschung, Lehre und Investitionen der Charité in den nächsten fünf Jahren sind ein notwendiger Kraftakt, auch vor dem Hintergrund früherer Sparzwänge. Diesen politischen Willen brauchen wir auch im Bund, um die Aufgaben der Unikliniken im Gesundheitssystem unseres Landes nachhaltig zu sichern. Eine Chance dazu bietet der kommende Koalitionsvertrag auf Bundesebene.

Steffen Krach ist Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin

Sind Sie anderer Meinung? Dann schreiben Sie an: chancen-brief@zeit.de
– oder twittern Sie unter #ChancenBrief
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Die Schuld der Mütter Elternzeit ist Frauenzeit. Das liegt nicht nur an faulen Vätern

Keiner geht hier ohne Abschluss Auf der Rosensteinschule in Stuttgart haben 97 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund – die Hälfte von ihnen sind Flüchtlinge. Kann das gut gehen? »Ich kann nicht alles kontrollieren« Die amerikanische Philosophin Judith Butler ist so umstritten wie berühmt. Ein Gespräch mit der Professorin aus Berkeley über ihre Auseinandersetzung mit Alice Schwarzer, politische Angriffe auf die Universität – und ihre schlimmste Charaktereigenschaft Universum Wie wichtig sollen Abi-Noten sein? In Karlsruhe steht der Numerus clausus vor Gericht

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Von der Nasa lernen, heißt Entdecker bei der Stange halten: Der 9-Jährige Jack Davis aus New Jersey will lernen, wie ein Außerirdischer zu denken, bewirbt sich handschriftlich bei der Nasa als Planeten-Wächter - und bekommt die vermutlich sympathischste Absage des Universums. "Ich höre, dass du dich dafür interessierst, Offizier für Planetenbewachung der Nasa zu werden. Das ist großartig!", schrieb James Green, Abteilungsleiter der Nasa-Planetenwissenschaften, und ermunterte Jack, ganz fleißig in der Schule zu sein. Die Nasa brauche nämlich ständig "schlaue Wissenschaftler". Deshalb hoffe er, Jack später einmal bei der Nasa zu haben.   
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Galaktische Grüße!

Ihr CHANCEN-Team


PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an –  unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
 
 
 
   
Anzeige
Jobs im ZEIT Stellenmarkt
Jetzt Branche auswählen und Suche starten: