Erst die Kinder, dann mal schauen Mehr als zwei Millionen Kinder in Deutschland werden von Alleinerziehenden großgezogen. Wer wie ich in den Achtzigern aufwuchs, weiß: Diese Entwicklung ist kein Zufall. VON CAROLINE ROSALES |
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| | Wir Mädchen der Achtziger haben schon als Kinder gelernt, dass die Prinzessin ihren eigenen Kopf hat und dass Ken im Zweifel das Barbie-Haus verlassen muss. © Sweet Ice Cream Photography/Unsplash |
Die VHS-Kassette von Baby Boom, dem Achtziger-Kultfilm mit Diane Keaton, muss irgendwann festgeklemmt haben in meinem alten Videorekorder – eine andere Erklärung, warum ich den Film von 1990 bis zum Jahr 2000 sooft gesehen habe, gibt es sonst eigentlich nicht. Diane Keaton spielt darin J. C. Wiatt, eine New Yorker Business-Lady mit Pfennigabsätzen und Taillengürtel. Durch Zufall bekommt sie das Sorgerecht für die einjährige Elisabeth zugesprochen, was sie von heute auf morgen in das Leben einer Single-Mom wirft. Sie scheitert, verliert ihren Job, baut jedoch schon bald ihr eigenes Business auf, bringt ihr Kind abends wieder selbst ins Bett – und zu guter Letzt steht da noch Sam Shepard in der Tür.
Eine Frau auf sich allein gestellt, die sich ihren Weg durch die Vereinbarkeitslüge bahnt, täglich zwischen Meetings und Tagesmutter hin und her hetzt – man muss sich vorstellen: Das war Ende der Achtziger noch Stoff für eine irrsinnig exotische Nancy-Meyers-Komödie. Schon mit acht Jahren saß ich im Pyjama vor dem Fernseher und bewunderte die viel zu erfolgreiche J.C., die lange vor Sex and the City darauf bestand, alles zu haben: die Karriere, die Tochter, den Lover. Neulich, als die Kinder im Bett waren, habe ich durch Zufall wieder in den Film reingezappt und mich gefragt: Wann ist es eigentlich soweit gekommen, dass jemand wie J.C. heute meine Freundin sein könnte?
Zwar lebe ich (34, zweimal geschieden) mit meinen zwei kleinen Kindern leider nicht in New York, sondern in Berlin, gehöre per Definition allerdings zur neuen Rekordzahl von Alleinstehenden mit Kindern. Laut den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes wächst mittlerweile jedes fünfte Kind bei einem Elternteil auf. Und ich behaupte: Die Zahl derer, die diese Lebensart bewusst von Anfang an oder später gewählt haben und ideal finden, wächst beständig.
Da wäre meine Freundin, eine Bloggerin und Fotografin, die vor drei Jahren nach einem USA-Trip mit einer alkoholfreien Flasche Sekt vor meiner Tür stand. Ich war hochschwanger und freute mich. "Das ist aber aufmerksam", sagte ich zu ihr. "Keine Sorge, ich bin auch schwanger", antwortete sie und mir fiel die Kinnlade runter. Mit dem Vater hatte sie genau ein Date gehabt. Eine andere Freundin beschloss eines Abend, mit ihrer Affäre ein Baby zu zeugen, was auch sofort klappte. Kurz danach brach der Kontakt zum Vater ab. Ihr Sohn ist heute vier Jahre alt. Claudia Haessy, die gerade das Buch Wenn ich die Wahl habe zwischen Kind und Karriere, nehme ich das Sofa herausbrachte, wurde überraschend von ihrem Online-Date schwanger. Unbewusst hat sie es sich wohl gewünscht, sagt sie heute. Für immer mehr Frauen gilt: Kinder: ja, bitte! Die Liebe: wenn es passt.
Alleinerziehend, das klang mal nach Jogginghose, Discounter und Dschungelcamp-Zielgruppe, sprich prekär und sicher nicht wohlüberlegt, heute ist es Teil eines modernen DIY-Lebensentwurfs, eine bewusste Entscheidung – samt Espressomaschine, Kunst an der Wand, Großstadtapartment, Landlust, Achtsamkeit und Selbstverwirklichung. Dabei ist eigentlich Unentschlossenheit charakteristisch für unsere Generation. Unsere arme Generation, die sich bereits alles nennen lassen musste: MTV, Digital Natives, Langzeitstudenten, Casting, Baby Boomer, Praktikum und Klimawandel. Wir folgen keiner Ideologie, sondern machen einfach, was sich gut anfühlt. Unentschlossen sind wir wirklich, nur unsere Kinder haben wir, die Mädchen der siebziger und achtziger Jahre, ohne große Entscheidungshilfe fast nebenbei bekommen, ohne dass schon irgendetwas feststand.
Unsere Eltern haben gerade uns Mädchen immer erklärt, dass wir etwas Besonderes seien und alles erreichen könnten. Wir wuchsen mit Disney-Prinzessinnen auf, doch waren längst cleverer, als die Industrie uns haben wollte. Dass sich die immer bücherlesende Belle aus Die Schöne und das Biest trotz ihrer offensichtlichen intellektuellen Fähigkeiten für das Schloss und den Prinzen entscheidet, fanden wir süß, aber irgendwie schon damals unlogisch und schlecht geplottet.
Parallel kamen im eigenen Spielzimmer Zweifel an der Sinnhaftigkeit des klassischen Familienmodells auf. Ken, der schemenhafte Plastikmann von Barbie ohne sichtbaren Penis, durfte bestenfalls auf dem Beifahrersitz des pinken Cabrios sitzen. Gab es Streit, musste er natürlich die Traumvilla räumen, während es sich die Babys, die Hunde und das Pferd im rosa Inneren gemütlich machen durften.
Liebe ist nur ein Plus
Familie, das ist auch in meiner ganz persönlichen Erinnerung: Mama, meine Schwester, der Kater und ich. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich zehn war. Später waren wir Teenager und meine Mutter Mitte 40. Sie wünschte mir damals Gesundheit, Erfolg, aber vor allem Liebe. So stand es auf der Karte zu meinem 18. Freudentag. Wie absurd mir das erschien – strahlte meine Mutter ohne meinen Vater doch wie nie zuvor. Bis heute ist die Möglichkeit einer Liebe eben nur ein Plus geblieben. Rein logistisch kommen wir allein wunderbar aus. Schlimmer noch, es würde uns schwer fallen, mit einem Mann zu schlafen, der eine Laterne bastelt oder unsere Kinder in einem Lastenfahrrad zum Kindergarten kutschiert. Weder meine Freundinnen, noch ich suchen einen Tüten-August oder den Multitasking-Held, der im Bad die Glühbirne wechselt, obwohl das sexy sein kann. Zusammenziehen, das klingt in unseren Augen nicht nach Abenteuer, sondern eher nach Filzuntersetzern für den Glastisch. Mit jemandem zusammenzuleben, das heißt Kompromisse einzugehen, gerade mit Kindern. Wie viel einfacher ist es doch, die täglichen To-Do-Listen selbst abzuarbeiten – ohne die großen Dramen und Diskussionen im Alltag.
Darauf gebracht hat mich Gustaf, der mich vor einem Jahr bei unserem ersten Treffen in einem Kreuzberger Kebab-Restaurant provokativ fragte, was ich mir als Single-Mama denn eigentlich so vorstelle. Ob ich auf der Suche nach einem Ersatzpapa für meine Kinder sei, jemanden, mit dem ich mir die Last der Erziehung und der Organisation teilen kann. "Nein", sagte ich schnell. Was für eine unverschämte Frage! Die Feministin in mir war beleidigt. Ich holte aus: "Ich suche jemanden, der mein Freund ist, vielleicht eine Liebe, aber hauptsächlich ein Freund fürs Leben." Gustaf hat darauf genickt und gesagt: "Na, das ist doch vorstellbar."
Gustaf, er ist übrigens nun derjenige, der mir gerade eine SMS schreibt, während ich die letzten Sätze dieses Textes vollende. "Komm nach Hause, Mama, deine Kinder haben Hunger und Anna und ich wollen ins Museum. Du bist eine Stunde zu spät", steht in der Textnachricht. Ich klappe den Laptop zu, zahle meinen Kaffee und mache mich hastig auf den Heimweg. "Oh, so spät. Ich bin in fünf Minuten da", tippe ich im Gehen noch ins Handy. Und so kommen wir zum wichtigsten Gebot der glücklich Alleinerziehenden von heute, die das Dorf nicht vergessen hat, das es laut Sprichwort braucht, um ein Kind großzuziehen. Was nützt am Ende der Prinz in Gedanken, wenn es Helden und Freunde gibt, die als Babysitter einspringen.
Caroline Rosales, geboren 1982 in Bonn, arbeitet als Redakteurin der FUNKE Mediengruppe. Zudem ist sie Autorin von zwei Sachbüchern. Im Jahr 2012 gründete sie den Blog Stadtlandmama.de, der bis heute zu den größten Elternblogs in Deutschland zählt. Sie lebt mit ihren zwei Kindern in Berlin und ist Gastautorin von "10 nach 8". Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
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Frauen schreiben jetzt auch abends. Montags, mittwochs, freitags. Immer um 10 nach 8. Wir, die Redaktion von 10 nach 8, sind ein vielseitiges und wandelbares Autorinnen-Kollektiv. Wir finden, dass unsere Gesellschaft mehr weibliche Stimmen in der Öffentlichkeit braucht.
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