10 nach 8: Heike-Melba Fendel über die Berlinale

 
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08.02.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Teppich-Queen oder Feministin?
 
Kampf für Quote und gleiche Bezahlung. Oder in High Heels über den Roten Teppich. Die Berlinale wird zeigen: Die medialisierte Frau ist in zwei Teile zerbrochen.
VON HEIKE-MELBA FENDEL

Perfektes Styling ist Pflicht auf der Berlinale. © ODD ANDERSEN/AFP/Getty Images
 
Perfektes Styling ist Pflicht auf der Berlinale. © ODD ANDERSEN/AFP/Getty Images
 
 

Ab morgen ist es wieder so weit: Die Berlinale beginnt. Filmfreunde freuen sich aufs Binge-Watching in den Kinos der Stadt, Hotellerie und Gaststätten auf angereiste "Adabei"-Horden und die Medien auf allerlei Berichtenswertes. Auch in diesem Jahr werden Frauen einmal mehr im Zentrum der Berichterstattung stehen. Die Professionalisierung ihres Sichtbarkeits-Managements schreitet unaufhaltsam voran.

Da sind zum einen die umtriebigen Aktivistinnen von Pro Quote Regie. In prominenter Lage bauen sie am Potsdamer Platz ihre Kunststoff-Bubble auf, Zentrum für Begegnungen und Aktionen. Die Gäste und Unterstützer vor Ort sind so prominent wie zahlreich, eine Vielzahl an Diskussionen und Präsentationen thematisiert zudem einmal mehr das Dilemma der geringen Anzahl an Filmemacherinnen wie der stereotypen Geschlechterbilder und des Gender Pay Gaps auch am Set. Filmindustrie und Politik, allen voran Kulturstaatsministerin Grütters, bedauern das, geben Studien in Auftrag, geloben Besserung und bringen Änderungen auf den Weg: Mal schlappe 20% Regisseurinnenquote bei der von einer Frau geführten ARD-Degeto, mal forsche, vom Studio-Hamburg-Boss anvisierte 50%.

Bei den Aktivistinnen läuft es

Fortschritte, die nicht zuletzt erreicht wurden, weil Regisseurinnen aller Genres, von Soap bis Arthouse, dünkelfrei Seite an Seite um Teilhabe an Aufträgen und angemessenen Budgets kämpfen. Die Türen, vor allem für Regisseurinnen, stehen also weit offen. Jetzt müssten sie nur noch eingerannt werden. Denn, wie die Chefin der gut ausgestatten Filmförderung Medienboard Berlin Brandenburg Kirsten Niehuus auf Facebook verkündet: "Gerne würden wir als Förderer auch wieder Stoffe von deutschen Regisseurinnen unterstützen. In der 1. Sitzung lag uns jedoch kein höher budgetiertes Projekt einer deutschen Filmemacherin vor…". Wenn man nicht als Solidaritätsbremse auffallen will, ließe sich also zusammenfassend sagen: Läuft bei den Aktivistinnen.

Knapp 300 Meter Luftlinie von der Pro-Quote-Bubble entfernt läuft es auch in Sachen weiblicher Sichtbarkeit. Der großflächig verklebte rote Teppich bietet reichlich Platz, sich der Horde einiger Hundert Fotografen als Beute auszuliefern. Um ordentlich abgeschossen zu werden, bedarf es des Bedienens einiger Schlüsselreize: Die Schuhe müssen außerordentlich hoch sein – in Cannes wurde 2015 erbittert über eine High-Heel-Pflicht auf der Showtreppe zu den Galapremieren debattiert – die Garderobe offenherzig und überhaupt die ganze Frau gut gewartet. Also Hair & Make-up top, Maniküre und Pediküre nicht vergessen, denn trotz Schneetreibens und Temperaturen von 10 Grad unter Null trägt frau nicht nur die Haare, sondern auch die Schuhe offen.

100% Glamourquote

Wir kennen die hier entstehenden Bilder, denn sie sind emblematisch für Filmfestivals. Millionenfach gedruckt, hochgeladen und verlinkt inszenieren sie jenen Glamour, von dem weniger die gezeigten Filme als die sponsernden Unternehmen zehren. Das Produkt Frau wirbt für die Produkte der Sponsoren, die hier Partner heißen.

Das ist, wie man so sagt: "gelernt". Und niemand, der oder die sich nicht sofort als Spaßbremse disqualifizieren will, darf irgendein Problem darin sehen, dass seit knapp zwei Jahrzehnten auch hierzulande eine Schauspielerin als unbesetzbar gilt, die sich dem für den Auftritt auf dem Teppich nötigen Wartungszustand oder gar dem Teppich selbst verweigert, wo die Glamourquote bei 100% zu liegen hat. Von wegen: Augen auf bei der Berufswahl.

Vielleicht lohnt es sich aber doch, den einen Schritt zurückzugehen und sich anzuschauen, wie die sich zum Beispiel hier auf der Berlinale medialisierende Frau in zwei Teile zerbrochen ist: den souverän-feministischen und den projektionsgebunden-exhibitionistischen. Und wie die öffentliche Frau auch sonst allerorten versucht, im Rahmen einer gescheiterten Identitäts-Dialektik beides zu sein: Also das Model mit dem aktuellen It-Piece, dem "I'm a Feminist"-T-Shirt. Oder Julia Klöckner mit Diät-Tipps in der Gala.

Blink twice, if you need help.

Die Filmförderungsanstalt (FFA) lädt am kommenden Montag zur Diskussion "Unter der Gender-Lupe – die deutsche Filmbranche" am Pariser Platz. Wer vom Festivalzentrum am Potsdamer Platz dorthin läuft, kann sich unterwegs im L´Oréal-Kubus – durchsichtig auch er, wie die vis-à-vis gelegene Quoten-Bubble – kostenlos aufhübschen lassen. Um danach die gephotoshoppten "Markenbotschafterinnen" des Berlinale-Sponsors, in der Mehrzahl renommierte Schauspielerinnen, auf den entlang des Weges gestaffelten City Lights auf sich wirken zu lassen.

Vielleicht braucht es auf der Berlinale weder Studien noch Podien, um festzustellen, dass Frauen in den Medien allzu oft auf Äußerlichkeiten reduziert werden, dummes Zeug reden und beständig am Grad ihrer Fuckability gemessen werden.

Vielleicht stellen sich Aktivistinnen und Panelistinnen bei der morgigen Eröffnungsgala einfach mal sehr lange Zeit an den Roten Teppich und schauen auf Sandra Hüller, Martina Gedeck oder Nina Hoss – um nur drei über jeden Verdacht des Starlettums erhabene Großschauspielerinnen zu nennen. Und schauen zu, wie sie zwischen Starlets in Roben derselben Ausstatter, trainiert vom selben Personal Trainer, befragt von denselben investigativen Reportern – "Sie sehen bezaubernd aus, was tragen Sie?", "Sie sehen bezaubernd aus, wo ist denn Ihr Freund?", "Sie sehen bezaubernd aus, auf wen freuen Sie sich heute Abend besonders?" – dieselbe strahlende Miene zu einem Spiel machen, das böse zu nennen seltsamerweise keiner einfällt, die zuvor mittels Bechdel-Test TV- und Kinoprogramme als stereotyp zerlegt hat.

Solidarität und Großzügigkeit

Das doppelte Frauchen wurde von seinem Zwilling, dem inneren Widerspruch, getrennt. Ein Star sein und doch das Starlet zu geben, wäre ein solcher Widerspruch. Dummheit zu hassen und sich doch zur Handlangerin eines Dummheit reproduzierenden Boulevards zu machen, ein weiterer. Feministin zu sein und die Rote-Teppich-Rituale der eigenen Branche in den toten Winkel zu verschieben, ebenfalls. Und nicht zuletzt ist, sich herablassend über Starlets zu äußern, noch bescheuerter als deren PR-Rituale zu reproduzieren.

"Melania, blink twice, if you need help" stand auf einem in den sozialen Medien viel beachteten Schild, das eine Teilnehmerin bei den Women's Marches gegen Trump in die Höhe hielt. Ob Ironie oder ehrlicher Appell – die Idee wäre bestechend: Eine Frau, deren Nacktfotos gleich nach der Wahl ihres Mannes im Netz mit "HöHö"-Kommentaren versehen kursierten. Die alles, aber wirklich alles getan hat, um sich als selbstbestimmte Frau zu diskreditieren. Eine solche Frau erfährt eine Solidarität, um die sie niemanden gebeten hat.

Das wäre Ausdruck einer Qualität, von der die Wirklichkeit der in diesen Berlinale-Tagen inszenierten wie sich inszenierenden Frau, also der Teppich-Queen hier, der Feministin dort, sehr weit entfernt zu sein scheint: Großzügigkeit. Und Fähigkeit wie Bereitschaft, die eigene bubble mitsamt der in ihr verhandelten Partikularinteressen zu verlassen, hieße ja erst einmal nur den Blick zu weiten: Auf die eigenen Widersprüche wie auf die des sogenannten Showbusiness und all jenem, das es so unermüdlich wie unerbittlich als gelernt verkauft.


Meike-Melba Fendel ist Autorin und Inhaberin der Künstler- und Veranstaltungsagentur Barbarella Entertainment. Sie lebt in Köln und Berlin. Sie ist Mitglied der Redaktion von "10 nach 8".

Berlinale-Roman: Heike-Melba Fendel hat gerade den Roman 10 Tage im Februar veröffentlicht: Eine Frau wird verlassen. Aber nicht nur der Mann ist weg, es beginnt auch die Berlinale und damit eine Zeit, in der sich die Frau – eine Filmkritikerin – in dunkle Kinosäle setzen und in fremde Leben und Welten hineinfantasieren kann. Heike Melba Fendel nimmt den Leser mit ins glamouröse Cannes der achtziger Jahre, zu Interviews mit Jane Campion und zum Flirt mit Tim Robbins. Ihr neuer Roman 10 Tage im Februar erzählt von der unbedingten Liebe zum Film und dem bedingten Glück von Beziehungen und immer wieder über eigenwillige Freundschaften zwischen Frauen. (Blumenbar, 208 S., 18 €)

 

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