Nach drei Monaten der außenpolitischen Panik soll diese Woche also Klarheit bringen. Will der neue US-Präsident Donald Trump tatsächlich die Nato zerstören – oder jedenfalls so viel Zweifel an der Bündnistreue sähen, dass kein russischer Präsident die westliche Allianz mehr ernst nehmen muss? Gleich drei von Trumps wichtigsten Kabinettsmitgliedern werden dieser Tage zu dieser Frage vernommen: Rex Tillerson beim G20-Außenministertreffen heute in Bonn, James Mattis beim Nato-Verteidigungsministertreffen, das schon gestern in Brüssel stattfand, und Vizepräsident Mike Pence bei der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende.
Dass die Trump-Regierung die Nato grundlegend schwächen will, dafür gibt es im Moment allerdings nur ein Indiz, und noch dazu ein ziemlich schwaches. Das heißt jedoch nicht, dass diese Schwächung nicht trotzdem eintreten wird – und zwar als Folge eines anderen, sehr gewollten Angriffs, nämlich dem auf Europa. Nach allem, was wir bisher wissen, unterscheidet Trump deutlich zwischen der Nato und der EU, und dieser Unterschied lässt sich auf einen Buchstaben verkürzen. Das graue Brüssel sieht Trump bloß als schlechten Deal. Das blaue Brüssel dagegen betrachtet er als völlig falsches Ideal.
Zunächst zur Nato: Das eine Wort, das der Community der Transatlantiker seit Wochen den Schlaf raubt, lautet "obsolet". Mit dieser englischen Vokabel hatte Donald Trump in einem Interview mit der Bild und der Londoner Times die Nato bezeichnet.
Daraus, und aus der persönlichen Nähe von etwa Außenminister Tillerson zu Wladimir Putin, könnte man nun das anstehende Ende des Westens ableiten: Wenn die Nato überflüssig ist, dann heißt das wohl, dass die Einflusssphären in Europa wieder zur Disposition stehen, dass Trump bereit ist, mit der Möchtegernweltmacht Russland einen geopolitischen New Deal zu schließen, der Putin einen Teil des Kontinents überlässt. "Ein neues Jalta", nannte der Außenpolitikexperte Ulrich Speck diese epochale Gefahr.
Das Ende des Westens fällt aus
Andererseits kann das Wort "obsolet" auf Englisch so wenig bedeuten wie "altmodisch" oder "überholt". In Trumps Muttersprache hat der Begriff nicht zwangsläufig die harsche Bedeutung, die er auf Deutsch hat, also etwa "vollkommen überflüssig". Der Kontext des Interviews spricht dafür, dass Trump vor allem sagen wollte, die Nato sei stark renovierungsbedürftig. Denn wenige Absätze später nannte er das Bündnis "very important".
In diese Richtung gehen auch die Äußerungen von Verteidigungsminister Mattis, die er quasi im Anflug auf das Nato-Hauptquartier in Brüssel machte. Er stellte klar, die Nato sei die "erfolgreichste Militärallianz der Geschichte", und: "Wir müssen sicherstellen, dass der transatlantische Bund stark bleibt."
Fast gleichzeitig verkündete Trumps Sprecher eine der wichtigsten Mitteilungen der bisherigen Präsidentschaft: Der US-Präsident erwarte, dass Russland die 2014 annektierte Halbinsel Krim an die Ukraine zurückgebe. Damit enttäuscht Trump die größte Hoffnung Putins ebenso wie die größten Sorgen seiner Gegner.
Die Trump-Regierung, kurzum, hat allem Anschein nach kein Problem mit dem Auftrag der Nato an sich, sie ist nur unzufrieden mit der Art der Lastenteilung. Genau das galt allerdings auch schon für die Obama-Regierung. Und diese Kritik ist völlig richtig. Es geht nicht, dass die USA vier Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben, während es in Deutschland nur 1,2 Prozent sind.
Viele Amerikaner fragen sich, warum die Europäer sich sechs Wochen bezahlten Urlaub, einen großzügigen Sozialstaat und kostenlose Unis leisten, während sie selbst sich deutlich härter für die Betriebskosten der freien Welt abarbeiten. Europa ist aus amerikanischer Sicht in der Nato das, was Griechenland aus deutscher Sicht im Euro ist. Ein neues Jalta fällt also aus.
Die EU als internationalistische Verirrung
Und trotzdem geht von dieser US-Regierung eine Gefahr für den Westen aus, eine Gefahr, die sie vielleicht selbst noch nicht durchschaut. Trumps Wahlerfolg stützte sich vor allem auf das Versprechen einer Kulturrevolution, auf die Niederringung eines linksliberalen, internationalistischen "Establishments", das aus seiner Sicht mindestens eine Generation lang das geistige Monopol in Regierungsgebäuden und Redaktionsstuben ausübte. Dieses aus seiner Sicht falsche ideologische Bewusstsein will der Trumpismus nicht nur in Amerika beseitigen. Und die Feindchiffre, die in den Vereinigten Staaten "Washington" lautet, lautet für Europa "Brüssel".
Aus Trumps Sicht hält die EU die europäischen Nationen klein, statt sie "great" sein zu lassen. Deshalb unterstützt er den Brexit ("It's going to be a wonderful thing"), schlug Nigel Farage als britischen Botschafter in den USA vor, ließ Marine Le Pen im Trump Tower empfangen und nominierte mit Ted Malloch einen Mann als EU-Botschafter in Brüssel, der sagt, er habe auf einem früheren Posten mitgeholfen, die Sowjetunion zu Fall zu bringen, und: "Vielleicht gibt es noch eine Union, die ein wenig Zähmung gebrauchen kann."
Außerdem setzt Trump EU-Ländern Anreize, den Euro zu verlassen. Er drohte Deutschland Strafzölle mit der Begründung an, der schwache Euro verbillige deutsche Exporte künstlich. Im Umkehrschluss heißt das: Wer auf den währungsmanipulativen Trick der Euromitgliedschaft verzichtet, hat von ihm keine Handelshemmnisse zu befürchten.
Anti-EU-Kräfte könnten durch Trump stärker werden
Weil sie ihm als Inbegriff einer internationalistischen Verirrung gilt, hat Trump für die EU nur Verachtung übrig. Die Hoffnung, dass Europas Einzelstaaten angesichts dieses Drucks umso mehr Zusammenhalt demonstrieren, ist ziemlich optimistisch. Wahrscheinlicher ist im Gegenteil, dass die Anti-EU-Kräfte ermutigt und stärker werden, weil sie in Trump einen mächtigen Schutzpatron für ein "Europa der Vaterländer" gefunden haben.
Damit stellt sich die Frage nach der Bündnistreue über einen kleinen Umweg: Warum sollte Trump im Ernstfall sicherheitspolitisch für ein Gebilde eintreten, das er hasst? Warum sollte er sich zum Beistand für eine EU verpflichtet fühlen, die er am liebsten zerstört sähe? Natürlich, er könnte einzelne, womöglich von der EU unabhängige Nationen beschützen wollen. Aber würde er von solch freien Nationen nicht zuerst erwarten, dass sie sich selbst verteidigen – oder dass sie individuelle Nichtangriffspakte schließen, einen französisch-russischen zum Beispiel?
Historisch hätte es ohne den Schutz durch die Nato keine EU gegeben. Die geschichtliche Abwicklung beider Bündnisse könnte in umgekehrter Weise ablaufen, nicht heute, nicht morgen, aber tendenziell. Denn: Wenn es kein vereintes Europa mehr zu schützen gibt, keinen großen Absatzmarkt und keinen Partner im Ideal, wozu dann noch die Nato? |
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