Freitext: Thomas von Steinaecker: Kein gutes Gefühl

 
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28.02.2017
 
 
 
 
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Kein gutes Gefühl
 
 
Künstliche Intelligenz ist vielen suspekt. Künstliche Empfindung gilt sogar als bedrohlich. Warum bloß? Unsere Gefühle sind längst so programmiert wie die von Maschinen.
VON THOMAS VON STEINAECKER

 
© Kim Kyung Hoon/Reuters
 
Im Sommer 2013 erlitt meine Großtante Gerda einen Schlaganfall. Sie überlebte. Allerdings blieb ihre gesamte linke Körperhälfte gelähmt. Ihr Sprachvermögen beschränkte sich in dieser Zeit auf einige unartikulierte Laute, die keiner verstand. Trotzdem versicherten die Ärzte, dass „ihre Persönlichkeit“ oder, wie mein Großvater mir am Telefon sagte, „die Gerda“ weiter vorhanden sei beziehungsweise, wieder O-Ton mein Großvater, „da drin“ sei, womit er ihren Körper meinte. Ich kannte Tante Gerda eigentlich kaum. Meine Beziehung zu ihr gründete vor allem auf Schwarz-Weiß-Fotos in den Alben meines Großvaters. Meine Lieblingsbilder waren jene, die sie während des Zweiten Weltkriegs als sehr attraktive und ein wenig unnahbar wirkende Frau mit gewagtem Bubihaarschnitt zeigten. Aus Gründen, über die in der Familie nie gesprochen wurde, hatte sie nie geheiratet. Als Kind hatte ich sie ein-, zweimal in Zürich besucht. Ich erinnerte mich an ihren etwas seltsamen Akzent und daran, wie sie mich, obwohl ich sie bis dahin meines Wissens nie getroffen hatte, zum Abschied länger als eigentlich üblich umarmte und mich „Buberl“ nannte, was mir sehr peinlich war.

Im Winter 2013 fuhr ich mit meiner Familie zu Tante Gerda ins Krankenhaus. Sie machte Fortschritte, aber die Situation verlangte allen viel Geduld ab. Während des Besuchs machte ich mich auf die Suche nach einem Kaffeeautomaten. Dabei kam ich an einem Saal vorbei, in den man durch eine Glaswand sehen konnte. In viel zu großen Sesseln saßen sehr alte Menschen, die seltsam klein darin aussahen. Offenkundig unterhielten sie sich gerade, einige lachten, es herrschte eine entspannte und fröhliche Atmosphäre, die einen deutlichen Kontrast zu der Stimmung im restlichen Gebäude darstellte.

Ich blieb stehen – und war irritiert. Die Alten unterhielten sich nicht miteinander, sondern sprachen auf die langen weißen Gegenstände ein, die einige von ihnen in den Händen hielten und die sich bewegten. Es waren Robben. Sie wedelten mit ihrer Schwanzflosse und kullerten mit den Augen. Es handelte sich, wie ich später erfuhr, um einen Raum für Demenzkranke. Die fast einen halben Meter langen Robben waren Roboter, die durch Sensoren auf den Klang der Stimmen reagierten. Sie hießen Paros. Ursprünglich waren sie in Japan entwickelt worden, kamen aber in den vergangenen Jahren verstärkt auch in Deutschland zum Einsatz und zwar mit erstaunlichen Erfolgen bei der Patientenbehandlung. Tatsächlich fand ich die Paros instinktiv niedlich und verspürte den starken Wunsch, ihnen auch übers flauschige Fell zu streicheln, damit sie mir freudig zunickten. Den Gedanken, dass es kaum einen Unterschied zwischen dem Inneren der Roboter und dem des Kaffeeautomaten gab, verdrängte ich sofort wieder und aß einen Schokoriegel.


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