Freitext: Norbert Niemann: Mischt euch ein!

 
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23.02.2017
 
 
 
 
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Mischt euch ein!
 
 
Die Oscarnacht kann eine Bühne für politische Statements werden. Das sollte sie auch. Künstler tragen die Verantwortung, der Gesellschaft Impulse zu geben.
VON NORBERT NIEMANN

 
Meryl Streep bei der Verleihung der Golden Globes © Paul Drinkwater/NBC Universal/Getty Images
 
Bei der diesjährigen Oscarverleihung geht es nicht nur um die Vergabe der Preise. Mit Spannung erwartet wird auch der Moment, wenn die Prämierten ans Mikrofon treten. Geben sie, neben den Dankesworten, auch ein politisches Statement ab? Sollten sie das überhaupt? Die Frage, ob Künstler sich ins politische Tagesgeschäft einmischen sollten, wird seit jeher diskutiert. Tragen sie gar die Verantwortung dafür? Wir haben diese Frage dem Schriftsteller Norbert Niemann und der Schriftstellerin Lucy Fricke gestellt, die sie in einem Pro und Kontra diskutieren.
 

Öffentliche politische Stellungnahmen in der Form, wie sie nicht erst heute, sondern seit Jahrzehnten immer mehr gängige Praxis geworden sind, bereiten mir schon lange Unbehagen. Vor bald zwanzig Jahren fing ich an, diese Praxis – gleichfalls öffentlich – zu kritisieren. Es ging mir dabei allerdings nie darum, die Rolle der Schriftsteller und Künstler als öffentliche Intellektuelle grundsätzlich infrage zu stellen. Im Gegenteil wollte ich stets ihre nach meiner Überzeugung essenzielle Bedeutung für jede offene Gesellschaft verteidigen. Denn meine Kritik zielte gerade auf jene Mechanismen und Automatismen der politischen Meinungsbildung und des Verhaltens, die das öffentliche Argumentieren, nicht zuletzt auch das selbstkritische Nachdenken, zugunsten einer Anstiftung zur rein emotionalen Solidarisierung mit bestimmten Positionen – und seien sie noch so richtig und begrüßenswert – an den Rand drängten.

Die Verbreitung öffentlicher Stellungnahmen ist an sich noch kein Ausweis für die demokratische Partizipation an politischen Prozessen. Das lässt sich derzeit besonders gut beobachten an den kollektiv getragenen digitalen Botschaften des Hasses, der Wut und der Verachtung in den sogenannten sozialen Medien. In einer zunehmend medialisierten Gesellschaft erfüllen die Schaffung und Ausweitung von Erregungsherden die immer maßgeblichere Funktion, Stimmungen zu erzeugen und damit die allgemeine Aufmerksamkeit in die eine oder andere Richtung zu lenken. Von der Politik als Propagandainstrument missbraucht, von den Bürgern als zentrale Ausdrucksform „politischer Haltung“ verinnerlicht, vertieft der wechselseitige Schlagabtausch von Reizwörtern, demagogischen Verzerrungen und denunziatorischen Zuschreibungen die Gräben zwischen den Menschen immer weiter. Hetze ging immer schon den unterschiedlichen Formen von Gewaltentladung voraus.

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