Kiyaks Deutschstunde: Herzensansprache ist nicht das Problem

 
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Kiyaks Deutschstunde
15.02.2017
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Herzensansprache ist nicht das Problem
 
Ist Martin Schulz ein Populist, wie Julia Klöckner suggeriert? Diese Bezeichnung wird gerade so inflationär verwendet, dass eine Begriffsklärung sinnvoll erscheint.
VON MELY KIYAK

Populist ist die derzeit populärste Beschimpfung im politischen Geschäft. Kreuz und quer ruft man sie einander zu, ohne dabei genau zu wissen, was eigentlich damit gemeint ist. Kaum einer kennt sich in der Populismusforschung aus, weiß um die politischen und soziologischen Grundlagen dieses Begriffes. Wer über das Volk und seine Sprecher forscht, landet irgendwann bei Platon und Aristoteles, die sich vor 2400 Jahren mit der Frage beschäftigten, wer sprechen und wählen, wer vertreten und wer bestimmen, wie verhandelt werden darf.

Festzuhalten ist, dass der Begriff Populist, so wie wir ihn heute verwenden, als Diskreditierung dient, und dem Gegner abspricht, ein ernstzunehmendes politisches Konzept zu verfolgen.

Julia Klöckner, die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, sagte dem SWR über den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz: "Die Herzen ansprechen – bei Frau Petry oder Frau Wagenknecht würde man es Populismus nennen, denn genau diese Sprache hat Herr Schulz auch. Wenn es konkret wird, ist er im Ungefähren unterwegs."

Abgesehen davon, dass Herzensansprache kein Euphemismus für Populismus ist – hat denn Julia Klöckner konkrete Vorschläge? Die Aussage dient ohnehin vielmehr dazu, die SPD in die Nähe zweier Parteien zu rücken, die in Klöckners Weltbild wohl die beiden Enden des rechten und linken Spektrums markieren. Mit anderen Worten, die SPD ist jetzt am Rand zu verorten und nicht mehr in der Mitte.

Übrigens: Man nimmt der AfD das Stigma des Extremen, indem man sie konsequent in einem Atemzug mit anderen Parteien nennt. Man relativiert ihr Alleinstellungsmerkmal, nämlich ihre rechtsextremen Tendenzen. Wenn zwischen Martin Schulz und Frauke Petry nur noch Gemeinsamkeiten bestehen, nämlich in Form des Populismus, dann sagt man zwischen den Zeilen, dass man das völkische Weltbild der AfD in keiner Weise als herausragende Eigenschaft erwähnenswert fände. Aber das nur nebenbei.

Auch folgende Bemerkung ist lediglich als Randnotiz gemeint: Julia Klöckner hat mit dem von ihr beschriebenen Merkmal des Populismus, nämlich dem unkonkreten Reden, ihre Wahl zur Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahr vermasselt. Ihr Wahlprogramm hieß Plan A2 und hatte keinerlei konkrete politische Inhalte, sondern diente nur als gestelzter Distanzierungsversuch zu Angela Merkels Weigerung, eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen zu definieren. Sie legte sich dann noch aus Gründen des Zeitgeistes für ein Burkaverbot ins Zeug, verglich die Vollverschleierung mit Exhibitionismus und erklärte religiös praktizierende Frauen damit en passant zu sexuell Gestörten.

Wer ist denn eigentlich das Volk?

Und jetzt zum Populismus. Populismus speist sich aus konstruierten Kategorien des Volkswillens. Niemand weiß, was das Volk will. Man weiß ja nicht einmal, wer das Volk ist. Zählen zum Volk auch Flüchtlinge? Auch diejenigen ohne Wahlstimme? 

Der Populismus hat einige Merkmale. Eines davon: Er hinterfragt erst einmal die Problemstellung als solche. Die übrigen Parteien diskutieren ihre Themen, Wohnungsbau, Gesundheitsversorgung, Energiepolitik, Rentenversorgung. Der Populist stößt dazu und kritisiert die Streitfrage. Seiner Meinung nach stellt sich nicht die Frage nach Gesundheit, Rente und Wohnung, sondern die Frage nach den Ausländern. Ohne Ausländer keine Probleme mit der Gesundheit, in der Renten- und Wohnungsfrage. Der Populist formuliert also eine eigene Agenda, nach der künftig zu handeln sei. Es muss nicht immer der Ausländer sein. Es kann auch die Kirche sein oder die Konzerne.

Dabei bedient sich der Populist jener Teile der Gesellschaft, die unzufrieden sind. Er gibt vor, sie zu verstehen und redet ihnen ein, dass die Machthaber die wahren Problemverursacher (Ausländer, Kirche, Konzerne) verschweigen, gar mit ihnen unter einer Decke stecken.

Der Populist stellt auch gern die Frage nach dem legitimen Sprecher. Er behauptet nämlich immer, dass er die Massen hinter sich habe. Der Populist geriert sich dabei als Butler des Volkes, der bloß offenbare, was schon lange gärt. Dabei beruht alles auf bloßer Behauptung. "Aus den Massen schöpfen, den Massen propagieren" war beispielsweise Maos Devise für eine kommunistische Volksrepublik China. War das Volk tatsächlich mit Millionen Toten einverstanden? Sind Millionen Deutsche wirklich für die Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan? Will das Volk künftig keine Muslime im Land haben?

Es gibt gar kein Establishment

Was das Volk will, weiß niemand, denn dazu müsste man es in jeder einzelnen Angelegenheit immerzu befragen. Das geht natürlich nicht. In einer Legislaturperiode werden mehr als 500 Gesetze auf Bundesebene verabschiedet. Deswegen gibt es die repräsentative Demokratie, die dem antiken Vorbild des Demos übrigens recht nahe kommt, wenn man die Zusammensetzung des Wahlvolks einmal beiseite lässt. Wer behauptet, das Volk oder die Mehrheit zu repräsentieren, oder gar das Volk zu sein, hat die Demokratie nicht wirklich verstanden.

Ebenfalls wichtig ist der Aspekt der Herabwürdigung des Establishments im Populismus. Vorzugsweise in Demokratien wie in Deutschland gibt es genau genommen kein Establishment. Die Gesellschaft agiert auf der Vereinbarung, dass Repräsentanten des Volkes ein zeitlich begrenztes Mandat bekommen, um die Interessen ihrer Gruppe zu vertreten. Im Gegensatz zu Amerika kann in Deutschland jeder Wahlberechtigte unabhängig von Vermögen oder Beruf die Politik seiner Kommune oder seines Bundeslandes mitbestimmen. Es gibt kein Diedaoben, denn die da handeln, haben ein Mandat, das man ihnen jederzeit entziehen kann durch Wahlen. Und es ist genau dieses System, das dem Populisten die Mitsprache ermöglicht. Das heißt, er nutzt die vorhandenen Strukturen, profitiert von ihnen und diffamiert sie gleichzeitig.

Populismus ist kein Programm

Um nochmal Julia Klöckners Definition zu bemühen: Die in den vergangenen Wochen so inflationäre Verwendung des Begriffes Populismus ist selbst völlig unkonkret. Populismus ist kein politisches Programm, sondern allenfalls eine Kommunikationsstrategie. Wenn die AfD redet, handelt es sich meist um den guten alten Faschismus mit seinem nationalistischen Verständnis vom Volk. Das Programm ist das Problem, nicht die rhetorischen Mittel, derer es sich bedient, um "in die Massen hinein zu propagieren".

Wenn Martin Schulz nach Ansicht von Klöckner im Ungefähren bleibt, dann kann das alles Mögliche sein. Natürlich ist es seltsam, wenn er politische Probleme benennt, als habe er eben erst seine Buchhandlung abgeschlossen, um in die Politik zu wechseln und und sei nicht schon seit 22 Jahren Berufspolitiker. Das ist allenfalls verrückt oder grotesk. Selbst sein Drang, unbedingt geliebt zu werden und seine unbändige Lust, in die Menge zu winken, machen ihn nicht zum Populisten.

Sahra Wagenknecht wiederum ist schwierig zu beurteilen. Wenn eine in der Flüchtlingsfrage exakt wie die AfD redet, wie nennt man das dann? Und es betrifft nicht nur sie, sondern viele Politiker quer durch alle Parteien.

Jedenfalls leidet unsere Gegenwart nicht vorrangig unter dem Populismus, obwohl er unangenehm ist und immer ein Affront gegen den Verstand. Wir leiden unter den politischen Gesellschaftsbildern, die der Populismus zutage bringt, mit denen er eine Bevölkerung spaltet und ihre Demokratie zermürbt.

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