Kiyaks Deutschstunde: Diesen Autor kann man nicht wegsperren

 
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Kiyaks Deutschstunde
23.02.2017
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Diesen Autor kann man nicht wegsperren
 
Deniz Yücel wird in der Türkei festgehalten. Aber was soll das bringen? Ich gebe keine Ruhe, solange mein Kollege, "Hate-Poetry"-Bruder und Freund nicht frei ist.
VON MELY KIYAK

Diese Deutschstunde ist normalerweise frei vom erzählendem Ich. Mein Kollege, der Türkei-Korrespondent der Welt und Autor Deniz Yücel ist in Istanbul in Polizeigewahrsam genommen worden. Und so werde ich heute von Deniz erzählen, erzählen müssen. Und vielleicht wird es doch noch eine politische Kolumne.

Ich habe Deniz Yücel zusammen mit anderen Kollegen im Januar 2012 kennengelernt. Gemeinsam mit Doris Akrap (taz), Ebru Tasdemir (taz), Yassin Musharbash (damals Spiegel Online heute DIE ZEIT) trafen wir uns im Berliner taz-Café, besprachen uns ein paar Minuten lang und gingen auf eine improvisierte Bühne. Der Plan: Wir lesen unsere Hass-Briefe vor und treten mit den abscheulichsten Perlen deutscher Verachtungsprosa in den Wettstreit miteinander. Derjenige, der den ekelhaftesten, sexistischsten, rassistischsten Brief vorliest, kommt eine Runde weiter. Das Publikum entscheidet. Doris war von Anfang an Applausometer, Worterteilerin und Hausmeisterin. Ebru saß im Hintergrund und versuchte, die Show technisch und logistisch zu meistern. Vor allem versuchte sie, nicht vom Barhocker zu fallen, weil sie sich vor Lachen bepisste. Ich hatte etwas Folklore mitgebracht, Glitzergirlanden und Pistazien, als gäbe es eine Beschneidung zu feiern, Yassin hatte wie Graf Zahl in jeder Manteltasche Rotwein und Deniz Pappkartons voller Briefe. Vor uns saß ein amüsierbereites Publikum, das zwischen Entsetzen und Lachkrämpfen hin- und hergeschüttelt wurde. Das war der Anfang von Hate Poetry, so begann das alles.

Sämtliche Briefe, die wir in unterschiedliche Kategorien einteilten und mit prächtigstem Dilettantismus ohne jegliches Gespür von Timing und Körperbeherrschung quietschend, zerscheppernd, in orgiastischem Lachdonner vortrugen, waren Briefe, die wir nur deshalb bekamen, weil wir als Journalisten arbeiteten. Jeder Hassbrief trug die immer gleiche Notiz: Hör auf zu schreiben. Du bist kein Journalist. Du bist ein Arschloch.

Schweigen kam für uns nie in Frage

So lernten wir uns kennen und begriffen, dass wir, so unterschiedlich wir waren, eines miteinander gemeinsam hatten. Die Leser hassten, was wir taten, weil wir sind, wer wir sind. Das unterschied uns von anderen Journalisten in diesem Land. Sie bekamen Hassbriefe ihrer politischen Ansichten, wir unserer Herkunft wegen. In unseren Briefen wimmelte es deshalb auch von Anmaßungen bezüglich unseres Blutes, unserer Mütter, unserer Gene. Immer spielten der vermeintliche Pass und die unterstellte Religionszugehörigkeit eine Rolle. Dabei traf nie irgendetwas wirklich zu. Bin ich tatsächlich Muslimin, Yassin ein Araber, Doris eine Deutsche und Deniz ein Kurde? Egal! Uns störte nicht, dass wir falsch eingeordnet wurden, uns störte, dass man meinte, diese Gruppen herabsetzen zu dürfen. In den Briefen wurde jedenfalls munter drauf los geschächtet, gefickt, vergast. Wir nahmen für uns in Anspruch, politische Kommentatoren zu sein, die genau wie alle anderen auch das politische Zeitgeschehen analysierten und einordneten. Manche von uns investigativ, andere als Reporter, wieder andere als Kolumnisten. Schweigen, den Beruf wechseln oder anders schreiben kam für niemanden von uns je in Frage.

Die Gruppe erweiterte sich, es kamen im Laufe der Jahre dazu Özlem Topçu (DIE ZEIT), Özlem Gezer (Der Spiegel), Hasnain Kazim (Der Spiegel) und Mohamed Amjahid (DIE ZEIT). Wir waren zu neunt und blieben es. Jahrelang tingelten wir durch prächtige Staatstheater genauso wie über abgeranzte Kabarettbühnen. In der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt hatten wir das Gefühl, dass wir kurz vor dem Rauswurf standen, weil wir den Laden zärtlich als "Nationalhugendubel" in unserer Begrüßung bezeichneten. Wir lernten das Land kennen, das unterschiedliche Publikum, im Süden, im Norden. Wir lernten, dass unser türkischsprachiges Publikum nicht genug davon bekam, wenn wir Briefe von Nazis vorlasen. Lasen wir Texte, die Bezug nahmen auf unsere Türkeiberichterstattung oder den Islam, waren die Reaktionen schon seltsamer. Einmal stand ein türkischer alter Herr auf, als Doris ein wichtiges Element unserer Bühnendeko, einen Moscheewecker anschmiss, und den scheppernden Gebetsruf aus der Plastikverschalung mit ihrem Mikro verstärkte. Der türkische Herr rief laut und deutlich in die wie immer schon Wochen zuvor ausverkaufte und völlig überfüllte Veranstaltung hinein: "Ich distanziere mich von diesem Witz!"

Da wir extrem exzellent im Zurückrufen sind, rief Doris oder Yassin, ich weiß es nicht mehr genau, zurück: "Wir nehmen Ihre Protestnote an und halten fest, dass sie sich von einem Wecker distanzieren."

Deniz war schon untergetaucht

Ein anderes Mal hängten wir ein großes Bild von Atatürk neben Abdullah Öcalans Poster (unsere Kulisse bestand aus unzähligen Alditüten mit politischen Devotonalien, mit denen wir stets die leere Bühne enterten und den Saal innerhalb von Minuten in einen geschmückten Palast voller Anspielungen auf aktuelle politische Diskurse verwandelten).

Wieder stand ein Herr auf und rief in rollendem R deutlich erregt: "Es gehört sich nicht, dass sie diesen Terroristen neben den größten politischen Führer der Türkei hängen." Diesmal war ich es, die zurückschmetterte: "Unser Gast hat Recht. Hängt sofort Atatürk ab!" Aus dem Saal kam es furztrocken zurück: "Das ist nicht witzig." Typ, linker Deutschtürke mit Ich-studiere-Germanistik-und-Sport-auf-Lehramt-Gestus, weil, bei Kemalismus-Gags hört der Bafög-finanzierte Spaß auf.

In Stuttgart hat Hate Poetry zu einer Kampagne gegen uns geführt. Wir seien türkeifeindlich. Wenn eine der Frauen auf der Bühne rauchte, stand garantiert ein türkischer Onkel auf und rief: "Stellen Sie sofort das Rauchen ein." Überhaupt das Rauchen und das Trinken, das wir uns mittlerweile in die Verträge hineinhandeln ließen, löste zuverlässig Ablehnung aus. In den Augen mancher hat so eine Show halal abzulaufen.

Fünf Jahre "Hate Poetry" fiel aus

Meine Lieblingsstelle war jedes Mal, wenn Deniz sich die Sturmhaube aufsetzte und ein radikalislamistisches Stirnband darüber und mit dem Finger auf die Suren tippend am Kopf entlang buchstabierend erklärte: "Hier steht was von Ayatollah Khomeni. Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden."

Die Reaktionen der Rechtsradikalen kamen zeitverzögert in Form von Briefen und Blogeinträgen. Manchmal haben sich die Rechtsextremen so über uns aufgeregt, dass sie Namen und Texte durcheinander brachten. Ich bekomme manchmal Briefe, wegen Özlem Topçus Artikeln in der ZEIT. Andere Briefe sind der Einfachheit halber gleich an uns als Gruppe adressiert: "Yütschel, Musharbash, Kiyak, Ihr Terrorbande mit Y im Namen!".

Vor einigen Wochen wollten wir fünf Jahre Hate Poetry feiern, aber wir haben das Jubiläum ausfallen lassen: Deniz war schon untergetaucht. Ich weiß nicht, was genau ihm vorgeworfen wird und welche Terrororganisation gemeint ist, deren Mitglied er sein soll. Die Vorstellung, dass sich Deniz irgendeiner Organisation unterordnen könnte, ist absurd.

Mit dem Minarett in die Schweiz

Für mich ist Hate Poetry deshalb etwas Besonderes, weil wir, die Secondos, zusammen sitzen und jahrelang miteinander Politspaß machen konnten. Hätten unsere Eltern genau wie wir gemeinsam an diesem Tisch sitzen können?

Unsere Eltern sind Türken, Marokkaner, Kroaten, Kurden, Pakistaner, Jordanier, Deutsche, Sunniten, Aleviten, Protestanten, Katholiken, Kommunisten, Kemalisten, Atheisten, Marxisten, allesamt Kunden von Aldi und AOK und vieles mehr. Wir reisten fünf Jahre lang von Ort zu Ort, sogar in die Schweiz fuhren wir, und Deniz brachte dafür extra ein riesiges Minarett aus Istanbul mit. Oh Mann, das erzähle ich noch schnell: Wir liefen mit dem Minarett, das zwei Meter hoch war, in einer Holzkiste durch Zürich, und wenn man uns fragte, wer wir sind mit unseren komischen Alditüten, dann sagten wir, das sei eine Prozession und im Sarg (wir tippten auf die Kiste) läge unser Bruder, der im Dschihad starb und nun im Paradies sei, ein Märtyrerhimmel so schön wie die Schweiz. Aha, sagten die Schweizer und kratzten die Kurve. 

Ach Türkei, Du lernst es nie!

Wir sahen uns nie privat, sondern immer nur bei Hate Poetry. Mohamed bettelte letztes Jahr, dass wir unbedingt einmal Original Kartoffelweihnachten feiern sollen und Yassin versprach, immer für uns zu kochen, aber wir bekamen außerhalb von Hate Poetry nie ein Treffen auf die Reihe. Immer war irgendwer gerade im Ausland oder arbeitete an einem Buch, Theaterstück oder etwas anderem. Wir machten stattdessen viele Veranstaltungen und konnten für einen Abend immer das miteinander sein, was da draußen kaum je zustande gebracht wurde. Wir waren etwas, was wir in unseren Gesellschaften nicht erlebten. Verschiedene Biografien, verschiedene Sprachen, verschiedene Kulturen, verschiedene Medienhäuser.

In der Türkei sind 1980 nach dem Militärputsch sämtliche Intellektuelle vertrieben oder vernichtet worden. Wir, deren Eltern aus der Türkei stammen, sind die erste Generation, die ethnien- und religionsübergreifend gerade eben anfing, zu verstehen, was da vor sich ging, und die gerade dabei war, miteinander Frieden zu schließen und eine neue Sprache für die alten Konflikte zu verwenden.

Hasnain begann Türkisch zu lernen, weil er als Korrespondent nach Istanbul zog. Er ist mittlerweile wieder rausgeflogen. Ich sah politische Zusammenhänge aus pakistanischer, marokkanischer Perspektive. Ich war verblüfft, was Deniz über die Osttürkei sah und entdeckte. Wenn Yassin über den IS berichtete, dann begriff ich viel über seine Arbeitsweise. Von Özlem Gezer lernte ich, dass ein lautes "Alda, was Schayse!", für den Kreislauf heilsamer ist, als eine Kolumne zu verfassen. Hate Poetry war immer ein Haufen Journalisten, die sich für die Welt interessieren. Es war immer aufregend, nervenaufreibend mit uns. Wenn wir eine Tournee beendeten oder einfach nur eine einzige Show, waren wir alle urlaubsreif. Morgens im Hotel frühstückten wir nur selten miteinander. Jeder musste schnell zum Flughafen oder in die Konferenz.

Die türkische Regierung will ein Signal senden

Deniz wird festgehalten. Und ich fühle mich als säße ich mit ihm fest. Aber das ist falsch. Die ihn dort festhalten, sitzen eigentlich im Gefängnis. Sie leben eingekerkert in Kategorien vergangener Zeiten mit mottenverstaubtem Vokabular. Sie leben in ihrem Bedeutungslabyrinth aus Blut, Fahne, Ehre. Nichts ist ihnen heilig. Nicht einmal ihre eigenen heiligen Schriften. Und deshalb ist das Stärkste, was man allen Nationalisten auf der ganzen Welt entgegnen kann: Gebt auf! Euer Gift erreicht uns nicht!!

Deniz ist der erste deutsche Journalist mit türkischem Pass, dem das in dieser Weise widerfährt. Die türkische Regierung will damit ein Signal an uns Journalisten senden. Nämlich: Hört auf zu schreiben. Man will mit Deniz' Festnahme Kollegen, Familie und Freunde treffen. Und ja, ich bin getroffen und betroffen. Ich lernte Deniz Vater in Frankfurt kennen. Er nahm mich zur Seite und sagte: "Passt aufeinander auf. Ihr seid toll. Aber passt auf." Auch mein Vater redet so. Die so sprechen, sind Väter, die noch eine andere Türkei in den Knochen haben. Deniz hat nur seine Arbeit getan. Wie geht aufpassen?

Ein Autor lebt weder am Schreibtisch noch auf einer Gefängnispritsche. Es sind die Texte, die leben und einen Autor zum Autor machen. Man kann einen Menschen einsperren, aber den Autor kriegt man nicht weggesperrt. Weshalb das Einsperren eines Journalisten die hilfloseste Maßnahme ist, die eine Regierung veranlassen kann. Die Ideen lassen sich nicht festhalten, die Gedanken nicht wegsperren. Schreiben ist schärfer als Waffen. Ach Türkei, Du lernst es nie!

Ich denke, dass man einen Geist wie Deniz' besser so schnell wie möglich frei lassen sollte, denn seine Kraft, seine Energie und sein Witz, seine klugen Bemerkungen, seine unbändige Menschenliebe und seine Abscheu gegenüber jeglichem Unrecht werden den Laden, egal ob Polizeirevier, Kerker oder das Scheißkulturzentrum in dieser hessischen Provinz, das ihm so auf die Nerven ging, innerhalb kürzester Zeit auf den Kopf stellen.

Man hat weniger Ärger mit ihm, wenn man ihm seine Freiheit gibt. Und man hat weniger Ärger mit mir, denn ich kann niemals Ruhe geben, solange mein Kollege, Hate-Poetry-Bruder und Freund Deniz Yücel nicht frei ist.

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