Eure Gefühle sind mir schnuppe Der "Breitbart"-Journalist Milo Yiannopoulos steht für das fatale politische Prinzip unter Trump: Beleidigung und Mackerposen. Empörung allein ist kein Mittel dagegen. VON PAULA-IRENE VILLA |
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| | Milo Yiannopoulos, Posterboy der Alt-Right-Bewegung und Ziehsohn von Steve Bannon © Drew Angerer/Getty Images |
Wir müssen uns der unbequemen Erkenntnis stellen: Trump wurde nicht trotz, sondern wegen seiner pussy grabs gewählt. Der neue Stil, der mit ihm Einzug ins Weiße Haus hält, seine polternde Brachialität, das offensive Lügen und Beleidigen, die Mackerposen, die offensive Verachtung der demokratischen Spielregeln, erweist sich als erfolgreich, nicht nur in den USA, sondern auf der Weltbühne und zunehmend auch in Europa. Wie kann das sein? Wie lässt sich das erklären? Was macht die Akteure dieser ultranationalistischen, antidemokratischen, rassistischen und rechtsextremen Bewegung so attraktiv? Wie schaffen sie es, den demokratischen Diskurs so zu verändern?
Milo Yiannopoulos, der Breitbart-Journalist und Posterboy der Alt-Right-Bewegung, tourt seit 2015 durch die Universitäten der USA. Das Motto der Tour ist typisch provokant: "Dangerous Faggot" – "gefährliche Schwuchtel". Die irritierenden Auftritte dieses "Zeremonienmeisters des Hasses" sind in mehrerer Hinsicht maximal widersprüchlich: Milo inszeniert sich ostentativ als schwuler "bottom", der Sex mit "großen schwarzen Männern" bevorzugt. Bei seinen Vorträgen trägt er allerlei Klunker oder tritt gleich in drag auf.
Und doch ist er der Liebling einer offensiv homophoben und sexistischen Blase, die gender trouble ansonsten nur als Zielscheibe von Spott, Verachtung oder Trollattacken erträgt. Er ist ein weißer Nationalist, hat aber einen Namen, der außerhalb Griechenlands so migrantisch klingt wie sein Akzent in den USA britisch. In dem auch antisemitischen Kontext der Alt-Right kokettiert er mit seiner angeblich jüdischen Herkunft. Immer, ob auf der Bühne, in Interviews, im Fernsehen oder in eigenen Texten, hetzt Yiannopoulos im zynisch-ironischen Tonfall gegen Frauen, gegen Feminist_innen, gegen Liberale und Linke, gegen Schwule und transgender people, gegen Eliten und Black Lives Matter.
Entpolitisierungscomedyshow
Wir sollten Yiannopoulos unbedingt ernst nehmen. Der Ziehsohn von Steve Bannon, dem ehemaligen Chef von Breitbart News und Einflüsterer von Donald Trump, ist das popkulturelle Gesicht der Ultrarechten in den USA, er gibt den angry young white men Sichtbarkeit und Geltung, ohne jedoch selbst angry zu sein. Er scheint überhaupt keine Emotionen zu haben – von ironischem Zynismus und arroganter Schadenfreude mal abgesehen. Genau diese Coolness ist die zentrale performative Pointe seiner erfolgreichen politischen Entpolitisierungscomedyshow.
In einem Interview mit dem britischen Channel 4 vom letzten November, das zurzeit wieder in den Social Media zirkuliert, nimmt ihn eine energische und hartnäckige Journalistin ins Kreuzverhör. Ihr geht es vor allem darum, ihn zu beschämen; sie fragt ihn, wie er sich denn fühle und ob ihm gar nicht unbehaglich zumute sei, wenn er systematisch Menschen und Gruppen beleidige und beschimpfe, und sie lässt ihn ihre eigene Empörung deutlich spüren. "I don't care about your feelings", entgegnet Yiannopoulus mehrfach und vehement. Er besteht darauf, dass verletzte Gefühle und emotionale Befindlichkeiten ihm völlig egal seien. Eben die politische und kulturelle Vorherrschaft der Gefühligkeit wolle er brechen, genau gegen diese Empfindsamkeit seien seine absichtlich provokanten Einlassungen gerichtet.
"I don't care about your feelings." Dieser Satz scheint mir entscheidend zum Verständnis des (selbstverständlich selbst verschuldeten) politischen Erdrutsches, der die USA erfasst hat und auch Europa, auch Deutschland droht.
Positionaler Fundamentalismus
In dem Interview agiert Yiannopoulos mit einer Ambivalenz, die sich als höchst anschlussfähig erweist: Einerseits ist ja auf perverse Weise durchaus etwas dran an der Behauptung, dass die "Idee der verletzten Gefühle eine Art wertvolle Währung" im politischen Markt geworden sei. In öffentlichen Debatten erleben wir immer wieder einen positionalen Fundamentalismus, die primitive Essentialisierung und Verabsolutierung von sozialen Positionen: Weil jemand weiß ist, soll er dieses oder jenes nicht dürfen. Weil jemand schwul ist, hat er angeblich so oder so zu sein. Weil es thailändisches Essen nur in Thailand, jamaikanische Musik nur in Jamaika, argentinischen Tango nur in Argentinien geben darf, kann das Essen oder die Musik nicht aus München oder Kyoto sein.
Diese kulturelle oder positionale, bisweilen schlicht biologistische Verdinglichung betreibt das Geschäft des Essentialismus in kritisch-links-grün. Sie verweigert sich der Analyse des komplexen Zusammenhangs zwischen ökonomischem, sozialem, körperlichem oder kulturellem Sein und argumentativem, politischem, ethischem, ästhetischem Bewusstsein. Dieser positionale Fundamentalismus taugt als Politiksurrogat. Statt sich argumentativ auseinanderzusetzen, zieht er sich auf emotionalisierte Reaktionen zurück und beruft sich auf das richtige Gefühl. Man wirft zum Beispiel anderen Mikrorassismus und cultural appropriation vor, doch statt diese Vorwürfe argumentativ zu begründen, werden sie mit der Evidenz der eigenen Empörung und Entrüstung, dem Ärger und der Verachtung begründet.
"Wir wurden zu lange von denen dominiert"
Andererseits, und das ist alles andere als zufällig, verweigert Yiannopoulos selbst jegliche faktenbasierte, evidenzgestützte, komplexe und empirisch fundierte politische Analyse. Er ignoriert ostentativ, dass die politischen Proteste und Affekte, über die er sich mokiert, ja durchaus eine Rationalität haben und durch soziale Tatsachen überhaupt erst hervorgebracht wurden. Rape culture, vergeschlechtlichte Lohnungleichheiten, Rassismus, Gewalt gegen transgeschlechtliche Menschen und so weiter sind ja keine subjektiven Erfindungen. Sie lassen sich vielmehr nachweisen, man kann faktengestützt über sie diskutieren. Genau das leugnet er und lässt stattdessen Feminist_innen, Gerechtigkeitskrieger_innen, Black Lives Matter wie Jammerlappen aussehen, die grundlos heulen und es nur auf die Taschentücher ihrer Mitmenschen abgesehen haben, um sich die Schmolltränen und Rotznasen zu wischen. In ultrakonservativen Milieus heißen sie snowflakes, Schneeflocken: Übersensibelchen, letztlich nicht lebensfähige Weichlinge, die es nötig haben, an Unis sogenannte safe spaces zu reklamieren oder in Social Media lächerliche Triggerwarnungen für potenziell traumatisierenden Inhalt einzufordern. "Wir wurden", so die Kernaussage Yiannopoulos', "zu lange von denen dominiert."
Von der Schneeflocken-Karikatur ist es nur ein kleiner, scheinbar folgerichtiger Schritt zur totalen Diskreditierung jedes Gefühls und jeder Anteilnahme, die die Politiken von Trump und Bannon kennzeichnen: I don't care, wie es Dir geht, ist mir schnuppe. Und? Warum auch nicht? Warum sollten wir im politischen Raum überhaupt auf Gefühle Rücksicht nehmen?
Keine Esoterik, sondern gelebter Humanismus
Es geht hier ja nicht nur um gutes Benehmen oder Höflichkeit. Symptomatisch und beängstigend an Milo Yiannopoulos' Attitüde ist der Mangel an Empathie, aus dem auch noch Kapital geschlagen wird. Scham, Missachtung, Schmerz, Ohnmacht, Wut, Empörung, Angst und Sorge gehören zu unserer conditio humana, sie sind universal. Und darin verdienen sie Anerkennung. To care about a feeling ermöglicht, sich affizieren zu lassen von einer Befindlichkeit, auch wenn sie mir nicht unmittelbar nachvollziehbar ist. Mich mit der Kränkung oder Empörung von Anderen zu beschäftigen, weist mich als Mensch aus, da ich im Anderen das Menschliche erkenne, dem ich in der Differenz – ich fühle etwas anderes, womöglich aufgrund differenter sozialer Positionierung – verbunden, mit dem ich verstrickt bin. Das ist keine wohlfeile religiöse Esoterik, sondern gelebter Humanismus im Kontext pluralistischer Demokratie. Im demokratischen Sinne politisch relevant ist das Affiziertwerden von Affekten allerdings nur, wenn daraus auch eine Auseinandersetzung mit den Positionen des Anderen folgt. Indem ich die Positionen des Anderen wahrnehme, befrage ich mich selbst und überprüfe meine eigenen: Warum empört mich ein Argument? Was genau nervt an jener Position?
Die Auseinandersetzung zu verweigern und den Anderen schlicht zur Heulsuse zu machen, ist das Erfolgsrezept der Trumpisten und ihrer europäischen Pendants. Das "I don't care about your feelings" verweist auf den zynischen Kern des Neoliberalismus, als Programm der radikalen Individualisierung im Dienste der Profitmaximierung. Dieses Programm bringt gerade auch ästhetisch und kulturell vielfältige Begleiterscheinungen hervor, die durchaus lustvoll sein und wichtige Freiheitsgewinne erzeugen können: Das sieht man an den tatsächlichen Machtgewinnen von Gruppen wie den "Karrierefrauen" oder den "schwulen Politikern", die früher ausgeschlossen waren.
Verrat an der politischen Auseinandersetzung
Doch erzwingt das neoliberalistische Programm auch den Verlust von Solidarität, die ihrerseits auf Mit-Gefühl angewiesen wäre. Ebenso verliert es die "Gesellschaft", wie Margaret Thatcher 1987 wunderbar pointiert formulierte. Sie kennt nur noch, auf gut Sozialdemokratisch, lauter isolierte Ich-AGs, die wiederum, um ihre Isolierung zu überwinden, auf herbeifantasierte Gemeinschaften wie die Nation und das Volk angewiesen sind. Hier greift der Populismus ein: Nicht Gesellschaft als moderne versachlichte Komplexität mitsamt ihrer langkettigen Arbeitsteilung, ihrer unübersichtlichen Gleichzeitigkeit von Systemen und schier uferlosen globalen Verwicklungen ist der Horizont, sondern die Verschmelzung von radikalisiertem Individualismus mit essentialisierten Gemeinschaften.
In dieser gegenwärtigen Gemengelage, bei der die möglichst coole, souveräne popkulturelle Performance zentral ist, sollten wir jetzt die politische Auseinandersetzung neu erfinden. Die bildungsbürgerliche, an Pluralismus geschulte und kosmopolitisch ausgerichtete, entnervte, versnobte Verachtung gegenüber den Stärkeposen der pussy-grabber und Beleidiger darf sich nicht mehr im Empörismus erschöpfen. Auch wenn Empörung verständlich ist, vor dem Hintergrund des bislang geltenden Konsenses, der persönliche Diffamierungen, Beleidigungen und das Lächerlichmachen von Inklusions- und Sichtbarkeitsforderungen im politischen Raum ächtet. Gerade für diejenigen Gruppen, die erst jüngst zu "Subjekten von Gewicht" geworden sind (und das sind in der Moderne eigentlich alle jenseits des idealisierten weißen heterosexuellen erwerbsfähigen Mannes), war dieser Konsens eine kaum zu überschätzende Errungenschaft.
Doch der Empörismus greift nicht (mehr). Er ist Ausdruck einer Leichtsinnigkeit derjenigen, die sich nach langen politischen Kämpfen auf einen zivilisierenden Konsens von Inklusion und Pluralismus verlassen können wollen, ja müssen. Nicht nur die Diffamierung von Affekten, sondern auch ihre Verabsolutierung betreibt nun den Verrat an der politischen Auseinandersetzung. Gerade in komplizierten Zeiten brauchen wir die Empathie für andere Positionen, aus der sich die argumentative Auseinandersetzung ergibt, notwendiger denn je.
Paula-Irene Villa ist Professorin für Soziologie und Gender Studies an der LMU München und unter anderem im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Sie forscht und lehrt zu Biopolitik, Sozialtheorien, Care/Fürsorge, Popkultur. Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
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