10 nach 8: Julya Rabinowich über Österreich

 
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24.11.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Die dunkle Seite des Mondes
 
Österreichs Rechtsdrall nach der Wahl lässt schaudern: Die soziale Mindestsicherung soll gesenkt, Kinderbetreuungskosten erhöht werden. Die Zukunft führt ins Gestern.
VON JULYA RABINOWICH

ÖVP-Parteiobmann Sebastian Kurz © Hans-Peter Bader/Reuters
 
ÖVP-Parteiobmann Sebastian Kurz © Hans-Peter Bader/Reuters
 
 

Die gute Nachricht zuerst: Es formiert sich langsam, aber doch ein Widerstand der Zivilgesellschaft. Bei der Lichterkette, die gegen Rechtsextreme in Regierungsämtern protestierte, waren Tausende Menschen in der Innenstadt Wiens unterwegs. Und nun die schlechte. Johann Gudenus, Vandalia-Burschenschaftler und Heinz Christian Straches Vize, postete dazu auf seiner Facebook-Seite: "Die linken Leuchten marschieren". Darunter fand sich folgender Beitrag über lange Zeit ungelöscht:

 "jetzt einmal mit dem LKW durch durch."  (sic.)

Nicht, dass dieses Szenario unbekannt wäre. Immerhin nutzten einige Terroristen Lastwägen, um Menschen zu töten, und irgendwo im Menschenhassenden schließt sich der Kreis wieder: In Amerika wurde eine junge, friedlich demonstrierende Frau, Heather Heyer, von einem Alt-Right-Anhänger mit einem Auto getötet. Jetzt ermittelt jedenfalls der Verfassungsschutz. Das Gefühl verdichtet sich, dass der Verfassungsschutz noch unfassbar viel zu ermitteln bekommen wird. Aus diesem Gefühl heraus formt sich die Frage, wem denn das Innenministerium nun bald unterstehen wird. Heinz-Christian Strache von der FPÖ fordert das Innenministerium als Koalitionsbedingung. Alle weiteren Fragen, die sich daraufhin im Bewusstsein regen, haben einen unschönen Beigeschmack.

Stinkefinger-Selfie

Sebastian Kurz ließ verlauten, die Verhandlungen mit der FPÖ verliefen sehr gut. Sebastian Kurz, die so schön spiegelnde perfekte Projektionsfläche, ein wenig wie der Mond, dessen dunkle Seite nicht sichtbar wird, zögert offenbar nicht, ausgerechnet mit jener Partei zu verhandeln,  die von rechtsextremen Burschenschaftlern unterwandert ist. Und er verweigert jede andere Koalitionsform genauso vehement wie die Minderheitenregierung, die ihm die SPÖ anbietet.

In den Verhandlungsrunden, sogenannten Clustern, sitzen Burschenschaftler mit extremsten Ausformungen. Ein Herr, dessen Foto mit strammem Hitlergruß durch die Medien geisterte, wurde von der FPÖ für den Bundesrat nominiert, aufgrund des medialen Drucks aber wieder zurückgezogen. Der Leider-doch-nicht-Bundesrat mit dem Leider-doch-Hitlergruß ist noch die beste Nachricht zu den hinter verschlossenen Türen und großer Geheimhaltung stattfindenden Verhandlungen. Ein Politikerinnen-Stinkefinger-Selfie geistert bis jetzt in den österreichischen Boulevardmedien herum. Eine Schlagzeile dazu lautete: "Stinkefinger-Grüne kassiert 23.000 Euro". Die Empörung war groß. Auf die Schlagzeile "Hitlergruß-Blauer gerade noch verhindert" können die Leser hingegen lange warten.   

Eine halbierte Gurke

Die christlich-soziale Partei schweigt und genießt. Die gerade vor sich hin köchelnde Suppe werden sowieso andere auslöffeln müssen, da kann man sich zurücklehnen und entspannen. Es gibt Posten und Macht zu verteilen. An wen scheint weniger wichtig, das straffe weiße Hemd ist aber auf jeden Fall näher als der Rock jener Frauen, die nun jetzt schon den Gratis-Kindergarten gestrichen bekommen. Kindergärten auf dem Land droht nun eine Schließungswelle wegen der durch höhere Kosten verursachten Abmeldungen. Damit könnten auch jene Frauen zurück an den Herd gedrängt werden, die erfolgreich sind und das benötigte Geld durchaus hätten – aber leider keine Vorortbetreuung. Und wenn sie keine Betreuung haben, dann sollen sie halt unmögliche Umwege fahren, wenn sie etwas anderes als das Küche-Kinder-Kirche-Programm wollen, das diese ganz neue Türkis-Partei mit ihrem ganz neuen Türkis-Stil offenbar umsetzen möchte. Nicht umsonst war das Frauenprogramm des Sebastian Kurz gerade einmal zwei Absätze lang und bestand aus nichtssagenden Schlagwörtern. Dafür hatte man aber als Illustration immerhin einen Stöckelschuh, eine Babyflasche, einen Laptop, einen Lippenstift und eine halbierte Gurke eingesetzt. Was halt die moderne Frau von heute so ausmacht.

Die halbierte Gurke könnte durchaus ein Symbol für Kastrationsängste sein. Das würde einiges erklären. Aber so freudianisch-analytisch müssen wir gar nicht werden. Nach der Wahl wird nun sowieso sichtbar, was angedacht, aber nicht ausgesprochen wurde: An ihren Taten werde man sie erkennen.

Was erwartet uns nun? Ein kleines Potpourri des Nachwahlösterreich zeigt Dinge, die man sich vor zwei Jahren noch nicht vorstellen konnte. Wer hätte bloß gedacht, dass der berühmt-berüchtigte Spruch des glücklosen Präsidentenkandidaten Norbert Hofer (selbst Mitglied einer Burschenschaft, die Österreich nicht als eigenständiges Land anerkennt) – "Sie werden sich noch wundern, was alles gehen wird" – so unglaublich aktuell bleiben würde!

Einschnitte in freie Künste sind zu erwarten

Drei Tage nach der Wahl wurde der Autor und Historiker Doron Rabinovici von einer Ex-ÖVP-Bezirksrätin und eifrigen Wahlhelferin von Sebastian Kurz in diversen Social-Media-Kanälen als Brunnenvergifter bezeichnet, ein klassischer, antisemitischer Code. Folgen innerhalb der Partei: öffentlich keine.

Sebastian Kurz hat knapp nach der Wahl versucht, Medien so weit in ihrer unabhängigen Berichterstattung einzuschränken, dass er ihnen nur bearbeitete Fotos seines eigenen Fotografen anbot und keine unabhängigen Fotografen zuließ. Die angebotenen Fotos zeigten den bisherigen Kanzler Christian Kern in scheinbar demütiger Verbeugung vor dem Wahlsieger – aber nicht, weil er das wirklich tat, sondern weil das Bild dahingehend perspektivisch manipuliert wurde.

Bei der ersten Nationalratssitzung nach der schicksalsweisenden Wahl marschierte die FPÖ übrigens nicht mehr mit der Kornblume im Knopfloch auf, die ein Erkennungszeichen der in Österreich illegalen Nationalsozialisten gewesen ist. Die Kornblume wurde von dem Edelweiß aus ihrem natürlichen Habitat auf freiheitlichen Brustkörben verdrängt. Wer nun glaubt, darin ein Zeichen der Besserung zu erkennen, muss leider eines Besseren belehrt werden. Das Edelweiß ist nicht nur Abzeichen von Alpinvereinen und Bundesheer, sondern war auch jenes einer brutalen Wehrmachtseinheit, der 1. Gebirgsdivision, die Hitler seine "Gardedivision" nannte und die für Kriegsverbrechen schlimmster Sorte verantwortlich war. Das gibt ein Odeur ab, das doch ziemlich abgestanden anmutet.

Subvention als neue Zensur

Nachdem es die linken Parteien entweder dezimiert oder gänzlich versprengt hat, steht Österreich nun mit einigem Rechtsdrall da – es ist beinahe so, als hätten fast 50 Prozent die AfD gewählt. Einschnitte ins Sozialsystem werden nun angedacht, die Mindestsicherung soll zur Mindestsicherung light, zur Nichtmindestsicherung, aka Abgleiten in tiefe Armut, gemacht werden.

Der Wind wird kalt, der einem ins Gesicht bläst, aber wir dürfen uns nicht verhüllen. Das Innenministerium hat eine Hotline eingerichtet, damit sich das Volk untertänig bei Beamten erkundigen kann, wann es kalt genug ist für einen hochgezogenen Schal, damit es – auch wenn es stürmt – keine Strafen hagelt. Die Hotline hatte offenbar Privathandynummern angegeben, die nach kurzer Zeit wieder offline waren. Die Österreicher sind zwar in Mehrheit nachgiebig, aber auch gern zu miesen Scherzchen wider die Obrigkeit aufgelegt, solange sie anonym bleiben.

Einschnitte in freie Künste sind zu erwarten. Im Gespräch sind ein Heimatschutzministerium und die Abschaffung des Kunstministeriums. Wie die Förderung der Kultur und Kunst nun aussehen könnte, lässt eine Posse unter dem Motto "Subvention ist die neue Zensur" erkennen.        

Es wird gerade verhandelt, wohin die Reise geht. Ein Zukunftsministerium wurde angedacht, das von Ewiggestrigen geführt werden könnte. Man könnte es auch  "Zurück-in-die-Zukunft-Ministerium" taufen. 

Julya Rabinowich wurde 1970 in St. Petersburg geboren und lebt seit 1977 in Wien. Sie ist Autorin, Bildende Künstlerin, Simultandolmetscherin und Kolumnistin. Ihr Jugendbuchdebut "Dazwischen: Ich" erschien 2016 im Hanser Verlag. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". 


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