| | »Grindel leuchtet« zum Gedenken an die Opfer der Pogrome
Wenn am Donnerstag Kerzenlicht durchs Grindelviertel flackert, geht es um das Gedenken. Unter dem Motto »Grindel leuchtet« erinnern Anwohner zum 79. Jahrestag der Reichspogromnacht an die ermordeten Juden, die hier gelebt haben. Vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in ganz Deutschland Juden misshandelt, überfallen und getötet, wurden Tausende Synagogen, Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört; auch die Synagoge im Grindel, einst Zentrum des jüdischen Lebens in Hamburg, stand in Flammen. An all das und an die Opfer der NS-Zeit erinnern heute 5284 Stolpersteine in Hamburgs Straßen. Deren Messingplatten mit Namen und Lebensdaten der Verfolgten sollen übermorgen ab 16.30 Uhr mit Kerzen beleuchtet werden. Initiiert hat die Aktion vor fünf Jahren Fotograf Amos Schliack, der seit den 1980er-Jahren im Viertel lebt. »Die Stolpersteine sind Lötstellen, die das, was unter dem Pflaster liegt, die verbuddelte Vergangenheit, mit der Gegenwart verbinden«, erklärt er uns die Aktion; die Kerzen sollten diese Stolpersteine wieder ins Bewusstsein bringen. Auch die Menschen in anderen Stadtteilen, betont Schliack, seien herzlich aufgerufen, sich zu beteiligen und Kerzen vor Stolpersteinen anzuzünden. Die jährliche Mahnwache auf dem Carlebach-Platz findet übrigens bereits morgen statt, für Donnerstag hat dort die Joseph-Carlebach-Schule eine andere Aktion geplant. Welche? Da müssen Sie schon selbst vorbeikommen.
»Clowns sind eine sehr nützliche Sache«
Sie haben mit ihren Aktionen den Aktienwert des Chemieriesen Dow Chemical zum Absturz gebracht und Wählerstimmen als Handelsware propagiert. Heute erklären die amerikanischen Polit-Aktivisten The Yes Men auf Kampnagel, wie man Zukunft gestalten kann, manchmal auf sehr unorthodoxe Weise. Wir haben vorab mit Andy Bichlbaum und Mike Bonanno gesprochen. Elbvertiefung: Sie nennen sich Laughtivists, Lach-Aktivisten. Machen Sie es Ihren Gegner damit nicht sehr einfach, Sie simpel als Clowns zu diskreditieren? Andy Bichlbaum: Wir begrüßen es, wenn man uns als Clowns bezeichnet! Clowns sind eine sehr nützliche Sache. Unsere Gegner sind auch nicht unbedingt diejenigen, die wir ansprechen möchten. Mike Bonanno: Manchmal ist es aber schon unser Ziel, sie so richtig zu nerven. Wir haben auch Beweise, dass uns das bereits gelungen ist. Aus den Wikileaks haben wir erfahren, dass Dow Chemical jahrelang Detektive auf uns angesetzt hat, weil sie sich Sorgen um die öffentliche Meinung gemacht haben. Wir wussten also, dass wir ihnen lästig geworden sind und sie eine Menge Geld gekostet haben. EV: Wie erarbeiten Sie Ihre Projekte? Bonanno: Normalerweise arbeiten wir mit Organisationen zusammen, die bereits Kampagnen zu Umwelt- oder Menschenrechtsthemen am Laufen haben. Für gewöhnlich ist das Ziel, zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema zu lenken, beispielsweise vor einer wichtigen Abstimmung. EV: Manches, was Sie machen, tut beim Zuschauen beinahe weh. Wo ist bei Ihnen die Grenze? Bonanno: Wir hatten hier in Bonn gerade eine interessante Situation. Die Organisatoren der Crossroads-Konferenz hatten uns eingeladen. Wir sollten uns als Mitarbeiter von Donald Trumps Umweltschutzbehörde ausgeben. Als solche wollten wir etwas richtig Widerwärtiges tun. Wir wollten auf der Bühne einen Flüchtling auf einem Fahrrad den Strom für unseren Vortrag produzieren lassen. Die Organisatoren hatten jedoch solche Angst, als Rassisten dazustehen, dass sie ablehnten. Dabei war das genau der Punkt. Manche der einprägsamsten Dinge aus der Geschichte der Satire sind komplett ekelhaft. Wir haben dann trotzdem noch einiges untergebracht, das vielen Teilnehmern die Haare aufgestellt hat. EV: Manchmal bekommen Sie sogar Beifall für Ihre Ideen. Bonanno: Wir haben einmal ein goldenes Skelett vorgestellt, als Maskottchen für eine neue Software, die Risiken kalkuliert und berechnet, dass in wirtschaftlich schwachen Gegenden Tote eben günstiger wären. Wir haben also eine Idee, über die kapitalistische Systeme bereits nachgedacht haben, auf eine Weise präsentiert, die jeden normalen Menschen erbost hätte. Aber im Business-Kontext stimmen dir die Leute zu, schütteln dir die Hand, geben dir ihre Visitenkarte und wollen die Software für ihr Unternehmen kaufen. Beim ersten Mal waren wir noch absolut schockiert. EV: Hat sich Ihre Arbeit gewandelt, seit Donald Trump im Amt ist? Bonanno: Das ist eine gute Frage! Sie ist zu einem abrupten Stillstand gekommen. Wir versuchen ja, die Menschen dazu zu bringen, über Dinge nachzudenken, die gerade wichtig sind. Aber mit der neuen Situation in den USA gibt es im Prinzip nur ein Thema, über das man nachdenken muss. EV: Ist es schwieriger geworden zu provozieren, weil der derzeit immer noch amtierende US-Präsident die Latte schon so hoch gelegt hat? Bichlbaum: Es geht uns nicht darum, zu provozieren, sondern um politische Veränderung. Und da sehen wir gerade nicht, wie wir dazu beitragen können. Wir werden die Trump-Wähler nicht ansprechen können, und von unseren Leuten sieht ohnehin jeder, was abläuft. EV: Wie oft sind Sie bis jetzt verklagt worden? Bichlbaum: Erst einmal, und die Klage wurde fallen gelassen. EV: Und wie oft wurden Sie schon verprügelt? Bichlbaum: Noch nie, bis jetzt. Die Yes Men treten auf Einladung der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius im Rahmen des Bucerius Lab in Zusammenarbeit mit Save the World auf. Der Workshop ist bereits ausgebucht, für den Vortrag mit Diskussion (in englischer Sprache!) gibt es noch Tickets. |
|
|