Support für Frankfurt | 3½ Fragen an Christian von Coelln | Gastkommentar Thomas Kathöfer: Echte Kooperation | Wissenschaft als Beruf, reloaded

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
über Monate haben wir auf unsere ZEIT Konferenz Hochschule & Bildung zum Thema „Wie politisch ist die Wissenschaft?“ hingefiebert – jetzt liegt sie schon wieder hinter uns. Danke an alle, die am vergangenen Donnerstag vor Ort waren, die mitdiskutiert und -überlegt haben. Das war wunderbar! Wer nicht dabei war, kann sich auf Twitter unter dem hashtag #zkhb einen Eindruck verschaffen. Nach dem Höhepunkt kommt die Mühe der Ebene, ein schnöder Montag... Nun denn, auf geht’s. Anregung versprechen 3½ Fragen an Christian von Coelln von der Uni Köln. Und Thomas Kathöfer von der AiF plädiert flammend für Kooperationen mit der Wirtschaft auf Augenhöhe, im Gastkommentar.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Hallo wach!
Es ist – gähn – Montagmorgen, Sie sitzen gerade wochenendmüde im Zug oder versuchen halbherzig, sich zum Arbeiten aufzuraffen? Wir haben da was für Sie. Eine Klickstrecke, die Sie daran erinnert, wie wunderbar die Welt der Wissenschaft ist. In Tianjon, China, hat nämlich gerade eine irrwitzig schöne Bibliothek eröffnet, an deren Visionalität man sich kaum sattsehen kann. Bei SpOn können Sie sich durch die Fotos klicken und Ihre Gehirnzellen auf Betriebstemperatur bringen und das Lesen feiern!
  
 
 
Support für Frankfurter Cluster
Zu den obersten Zielen der Exzellenzinitiative bzw. -strategie gehörte es, die deutsche Forschung international sichtbar zu machen. Dass das offenbar geglückt ist, zeigt sich jetzt an einem Letter of Support, der uns aus den USA erreicht hat und auf dem sich illustre Namen der Scientific Community finden: Seyla Benhaib, Wendy Brown, Nancy Fraser, Didier Eribon, Étienne Balibar, und auch Jürgen Habermas, Christoph Möllers, Julian Nida-Rümelin, Hartmut Rosa – insgesamt 77 Personen. Sie alle haben das Wettbewerbsverfahren offenbar genau beobachtet und zeigen sich bestürzt darüber, dass das Exzellenzcluster „Normative Ordnungen“ der Universität Frankfurt schon in der Vorauswahl für die nächste ExStra-Runde rausgeflogen ist. Natürlich kritisiere man nicht die Integrität der DFG, schreiben die Initiatoren Seyla Benhabib (Yale) und Charles Larmoe (Brown): „But we believe that Normative Orders has truly excelled in fulfilling the intellectual goals at which the German excellence initiative has been aiming. It would be a terrible loss to the international scholarly community, not only in the USA but in a great many countries around the world, if the work of the Cluster were to be discontinued. We want to express our sincere hope that the political authorities in Hessen as well as other institutions of support for research in Germany will do their utmost to assure the continuity of this extremely successful Cluster.“ Hier findet sich der Brief
  
 
 
Verfassungsuntreue
„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“, heißt es bekanntlich in Artikel 5, Absatz 3 des Deutschen Grundgesetzes. So weit so gut und wichtig – nicht zu vergessen aber sodann der nachfolgende Satz: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Hat der Thomas Rauscher, Professor für ausländisches und europäisches Privat- und Verfahrensrecht an der Uni Leipzig, diese verletzt? Vergangene Jahr stand er bereits wegen seiner rechtspopulistischen Tweets in der Kritik (wir berichteten damals in der ZEIT) – jetzt legte er nach. Den rechtsnationalistischen Aufmarsch in Polen kommentierte er mit den Worten, ein „weißes Europa brüderlicher Nationen“ sei für ihn „ein wunderbares Ziel!“. Und tags darauf schrieb er: „Wir schulden den Afrikaner und Arabern nichts. Sie haben ihre Kontinente durch Korruption, Schlendrian, ungehemmte Vermehrung und Stammes- und Religionskriege zerstört und nehmen uns nun weg, was wir mit Fleiß aufgebaut haben.“ Die Universitätsleitung verurteilte die Äußerungen und gab bekannt: „Wir werden nun Untersuchungen einleiten und dienstrechtliche Schritte gegen Herrn Prof. Rauscher prüfen.“ (Tagesspiegel; Leipziger Volkszeitung; SpOn
  
 
 
Antiakademismus
Ein Begriff, der uns im CHANCEN-Ressort – dank der Kulturwissenschaftler Hanna Engelmeier und Philipp Felsch – gedanklich durch die letzten Monate begleitet hat: Antiakademismus. Die stabilisierende Funktion von Kritik und Selbstkritik der Universität ist nämlich eine historische Konstante. Wir erinnern nochmal an Engelmeiers Beitrag aus der ZEIT 13/2017 und empfehlen für einen Ohrensesselabend die Lektüre des neuen Bandes der Zeitschrift Mittelweg 36. Wer nur Zeit für einen kurzen, aber reichhaltigen Wrap-Up hat, lese diesen Beitrag aus dem Tagesspiegel
  
 
 
Disruption des Hochschulfeldes?
Was in der freien Wirtschaft notwendige Veränderungsprozesse anstößt, die vielbeschworene Disruption nämlich, könnte im großen Stil auch den amerikanischen Unis widerfahren. Das jedenfalls sagt Clayton Christensen, Professor an der Harvard Business School: „In his recent book, 'The Innovative University,' Christensen and co-author Henry Eyring analyze the future of traditional universities, and conclude that online education will become a more cost-effective way for students to receive an education, effectively undermining the business models of traditional institutions and running them out of business“, schreibt CNBC. Demzufolge würde etwa die Hälfte der 4000 US-Hochschulen in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren pleite gehen. Besonders interessant allerdings ist die Schlussfolgerung, die Christensen zieht: „'Maybe the most important thing that we add value to our students is the ability to change their lives,' he explained. 'It's not clear that that can be disrupted.'“
  
   
 
 
   
 
   
   
 
Die Zahl
 
 
   
8193

Anzahl deutscher Studierender in China im Jahr 2014. Im Jahr zuvor waren es fast 2000 Studierende weniger.
 
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Prof. Dr. Christian von Coelln

Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Köln 
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Ist eine gute alte: Auch im Zeitalter der Massenuniversität und fortschreitender Spezialisierung bleibt das Humboldtsche Bildungsideal aktuell: Humboldt wollte Menschen und nicht funktionierende Arbeitnehmer bilden. Bildung um ihrer selbst und nicht um eines bestimmten Zweckes willen, lautet sein Vermächtnis. Dass die „Bildungsrepublik“ inzwischen weitgehend von Politikern und Persönlichkeiten gestaltet wird, die den Begriff Bildung entsorgt und mit ihm nur noch wenig anzufangen wissen, dürfen Wissenschaftler nicht achselzuckend hinnehmen. Den Verfechtern einer Bildung ohne Bildungsideal dürfen sie das Feld nicht überlassen.

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
In Wirtschaft und Industrie, wo der Erfolg in Zahlen messbar ist, werden die größten Erfolge erzielt, wenn die Hierarchien möglichst flach gehalten werden und dem Einzelnen eine größtmögliche Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit zugestanden wird. Das ist ein Befund, der sich – mutatis mutandis – auf die Universitäten und die Hochschullehrer übertragen lässt, die für ihre wissenschaftliche Arbeit keinen Jahresabschluss kennen. Die anhaltende Tendenz, trotz anderslautender höchstrichterlicher Rechtsprechung die personelle Autonomie der Wissenschaftler zu schwächen und die institutionelle Autonomie der Hochschule, vertreten durch ihre Leitungsorgane, zu stärken, bleibt kritikwürdig. Eine streng hierarchische Organisation der Universität geht zulasten der Freiheit, die Grundlage jeder Form von Kreativität ist. Sie mindert die intrinsische Motivation der Wissenschaftler, denen es zu verdanken ist, dass die Universität ungeachtet ihrer chronischen Unterfinanzierung international vorweisbare Ergebnisse hervorbringt.

Lektüre muss sein. Welche?
Zur morgendlichen „Pflichtlektüre“ gehören für mich weiterhin Zeitungen. Vor allem auf die „FAZ“ will ich nicht verzichten. Neben der Bewältigung wissenschaftlicher Fachliteratur bleibt oftmals leider zu wenig Zeit für anderes. Von etlichen Studenten würde ich mir wünschen, dass sie öfter den Duden zur Hand nähmen.

Und sonst so?
Gibt es keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Die Institution der deutschen Universität erweist sich erfreulicherweise als erstaunlich zählebig.
   
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Gastkommentar
 
 
   
   
von Thomas Kathöfer
   
   
   
Kooperation statt Auftragsforschung
Im vergangenen Sommer wurde Dr. acad. Sommer an eben dieser Stelle – im ZEIT CHANCEN Brief vom 12. Juni 2017 – von einer jungen Forscherin oder einem jungen Forscher nach Rat gefragt: Ihr/ihm war von einem Unternehmer ein gemeinsames Projekt inklusive Projektfinanzierung angeboten wurden. Die Wissenschaftlerin oder der Wissenschaftler war interessiert, aber skeptisch.
Liebe Fragestellerin, lieber Fragesteller, lassen Sie mich heute Ihr Dr. acad. Sommer sein! Nach meiner Antwort sollte Ihre Skepsis verflogen sein und Sie sollten darauf brennen, FuE-Kooperationen mit mittelständischen Unternehmen einzugehen, denn Sie profitieren davon in vielerlei Hinsicht.
Das Wirtschaftsministerium beispielsweise hat eine breite Palette von Forschungsförderprogrammen für Mittelständler in Kooperation mit Wissenschaftlern im Angebot. Denn viele kleine und mittlere Unternehmen verfügen nicht über eine eigene Forschungsabteilung – und auch nicht über das Geld, Forschung in Auftrag zu geben. Sie suchen vielmehr echte Kooperationspartner, mit denen sie gleichberechtigt zusammenarbeiten können. Sie als Wissenschaftler veröffentlichen später die Projektergebnisse so selbstverständlich wie in jedem anderen drittmittelfinanzierten Projekt. Und werden dabei sogar vom Unternehmen unterstützt. Es geht hier also nicht um Auftragsforschung, sondern um echte Kooperationen von Experten aus unterschiedlichen Bereichen.
In der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) beispielsweise forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler partnerschaftlich mit Unternehmen zu Fragestellungen, die für ganze Branchen von Interesse sind. Sowohl die Konzeption als auch die Durchführung des Forschungsvorhabens erfolgen dabei in engem gegenseitigen Austausch und „auf Augenhöhe“ – also eine Win-win-Situation für alle Beteiligten mit einem übergeordneten Ziel. Forschungsthemen werden gemeinschaftlich bottom up identifiziert, die Projektergebnisse gehören allen und müssen publiziert werden, wie üblich bei öffentlich finanzierten Projekten. Genug Zeit zum Forschen haben Sie auch: Die Projektlaufzeiten liegen bei durchschnittlich drei Jahren, häufig gefolgt von weiteren Projekten, die auf den erzielten Ergebnissen aufbauen, denn im Regelfall hat man sich kennen und schätzen gelernt.
Ihnen als Wissenschaftler ist die volle Unterstützung seitens des Unternehmers durch die Bereitstellung seines fachlichen Know-hows und seiner Produktionsstätten sicher – und zwar unentgeltlich. Materielle Förderung: Geld, erhält nur der Wissenschaftler, der Unternehmer erhält keinen Cent. Trotzdem nehmen jährlich an die 15.000 mittelständische Unternehmen an IGF-Projekten teil, wechseln hunderte Absolventen, die in IGF-Projekte eingebunden waren, im Anschluss in die Industrie. Das ist Transfer zwischen Forschung und Wirtschaft at it's best, Nachwuchsförderung inklusive.
Hört sich zu gut an, um wahr zu sein? Ist es aber. Probieren Sie es aus! Wahrscheinlich arbeitet der eine oder andere Kollege im Nachbarbüro/-labor längst in einem IGF-Projekt; fragen Sie doch mal nach.
Viele Grüße, Ihr Thomas Kathöfer

Dr. Thomas Kathöfer ist Hauptgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF)
   
   
Sind Sie anderer Meinung? Dann schreiben Sie an: chancen-brief@zeit.de
– oder twittern Sie unter #ChancenBrief
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
   
Nicht so schüchtern Kinder sind neugierig, Eltern verunsichert, Lehrer peinlich berührt: Was sollen Schüler über Sex, Porno und Partnerschaft wissen? Der Streit um die Sexualkunde

Wen wie lieben? Protokolle von Katrin Hörnlein Und die Lawine ging ab Andreas Stoch, ehemaliger Kultusminister von Baden-Württemberg, erzählt, warum er wegen eines Bildungsplans als Sexminister beschimpft wurde Die beste Lehre Preise für Unis und Fachhochschulen Er kann begeistern Hans-Hennig von Grünberg ist Hochschulmanager des Jahres 2017. Vorstellungen, was reformiert gehört, hat er genügend

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Ein Schmankerl von unserer Hochschul-Konferenz: das von Mai Thi Nguyen-Kim exklusiv für DIE ZEIT produzierte Video "Wissenschaft als Beruf, reloaded", anlässlich des hundertjährigen Jubiläums von Max Webers berühmten Vortrag.

Quelle: (c) Mai Thi Nguyen-Kim ​/ The Secret Life of Scientists
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Eine beschwingte Woche wünscht Ihnen

Ihr CHANCEN-Team

PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an –  unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
 
 
   
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