Fünf vor 8:00: Auch wir können handeln - Die Morgenkolumne heute von Theo Sommer

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.
 
 
 
   
 
 
 
FÜNF VOR 8:00
28.11.2017
 
 
 
   
 
Auch wir können handeln
 
Der Bürgerkrieg im Jemen ist eine humanitäre Katastrophe. Deutschland sollte darauf reagieren – und sämtliche Rüstungsexporte an die Kriegspartei Saudi-Arabien stoppen.
VON THEO SOMMER
 
   
 
 
   
 
   
Die Welt ist voller Tod und Elend. In Myanmar haben die Militärs eine halbe Million muslimische Rohingyas in die Flucht nach Bangladesch geschlagen. In Syrien, wo seit sechs Jahren Bürgerkrieg herrscht, sind 12 Millionen Menschen entwurzelt, die Hälfte im eigenen Land, über fünf Millionen sind ins Ausland geflohen; die Vereinten Nationen rechnen mit 400.000 Kriegstoten. In Ostafrika sind siebzehn Millionen Menschen vom Hungertod bedroht, davon allein 6,5 Millionen Unterernährte im Südsudan, wo ein Bürgerkrieg vielen von ihnen die Heimat genommen hat. 
 
Elend also, wohin wir blicken. Am schlimmsten jedoch sieht es im Jemen aus – jenem Landstrich, den die alten Römer Arabia felix nannten: glückliches, fruchtbares, grünes Arabien. Heute ist es die Hölle.
 
Seit 2011 herrscht dort Bürgerkrieg zwischen den schiitischen Huthis und der sunnitischen Mehrheit. Alle Vermittlungsversuche der Vereinten Nationen und der Golf-Emirate scheiterten. Im September 2014 zogen sich die Huthis – von den Saudis als Handlanger des Iran hingestellt – aus den Verhandlungen zurück, stürzten den Präsidenten Hadis und besetzten den nordwestlichen Landesteil samt der Hauptstadt Sanaa. Darauf griffen die Saudis, unterstützt von den Vereinigten Arabischen Emiraten, militärisch in den Konflikt ein, um den Status quo ante wiederherzustellen. Es wurde ein ungemein blutiger Krieg.
 
Die Saudis verlegten sich vor allem auf einen erbarmungslosen Bombenkrieg. Ihre Luftwaffe bombardierte unterschiedslos Rebellen-Einheiten, Wohnviertel, Hotels, Trauerfeiern, Hospitäler und Fabriken; Kollateralschäden seien eben unvermeidlich, sagte der saudische UN-Botschafter. Seit Donald Trump im Amt ist, bomben auch die Amerikaner kräftig mit, fliegen Drohnenangriffe oder schicken ihre Navy Seals. Die Briten sind ebenfalls beteiligt.
 
Doch im Krieg gibt es keine Unschuld: Die Huthis bilden Kindersoldaten aus und feuern Raketen auf saudisches Gebiet. Einen ihrer Angriffe auf den Flughafen von Riad beantworteten die Saudis mit 29 "Luftschlägen" vor allem gegen Sanaa (die Rakete wurde von einer Patriot abgeschossen; der Iran bestritt, dass er der Lieferant war). Außerdem blockierte Saudi-Arabien alle Häfen, Flughäfen und Straßen, über die Nachschub in das Gebiet der Rebellen gelangen konnte.
 
Das Ergebnis ist zum Schaudern. Von den 26 Millionen Jemeniten haben drei Millionen ihre Heimat verloren. Zehntausend Menschen sind ums Leben gekommen, 42.000 wurden verletzt. Über zwei Millionen Kinder sind unterernährt. Schon ohne Krieg musste der Jemen 85 Prozent seines Bedarfs an Lebensmitteln und Medikamenten einführen; nun sind sieben Millionen Menschen komplett auf das Hilfsprogramm der World Food Organization angewiesen. Aber die saudische Blockade macht eine ausreichende Versorgung mit Hilfsgütern unmöglich. Die Vorräte reichen nur noch für vier Wochen.
 
Nach den Bomben kam die Cholera
 
Zu allem Elend kommt jetzt ein weiteres hinzu: Nach den Bomben kam die Cholera. Da viele Klärwerke und Elektrizitätswerke zerstört sind, haben 14 Millionen Menschen kein sauberes Trinkwasser. Seit April haben sich nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation 900.000 Jemeniten mit Cholera angesteckt, mehr als zweitausend sind bereits daran gestorben. Wenn sich die Lage nicht bald ändert, wird es noch viel mehr Tote geben.
 
Was also tun?
 
Die Bundesregierung hat in diesem Jahr bereits 120 Millionen Euro für die Jemen-Hilfe zur Verfügung gestellt. Auch spenden die Deutschen in vorweihnachtlicher Mildtätigkeit wie immer viel. Doch nützen alle Hilfsgelder, alle Gaben nichts, wenn die Versorgungswege gesperrt bleiben. Zuallererst muss denn die Blockade aller Flug- und Seehäfen gestoppt werden. 
 
Als Nächstes müssen dann aber die Saudis dazu gebracht werden, ihren Bombenkrieg einzustellen. Das können weder Deutschland allein noch die Europäische Union erreichen. Die deutsche Regierung sollte allerdings sämtliche Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien stornieren – mindestens bis keine Bomben mehr fallen. Im Übrigen jedoch sollte auch die Übergangsregierung um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sich in Washington mit Nachdruck bemühen, Donald Trump von seiner einseitigen Unterstützung der saudischen Politik abzubringen.
 
"Ich habe großes Vertrauen in König Salman und den Kronprinzen Saudi-Arabiens; sie wissen, was sie tun", hat Trump neulich getwittert. Er hat Riad in den unnötigen Zwist mit Qatar gejagt. Statt zum Ausgleich mit dem Iran zu raten, stärkt er den Saudis in ihrer Konfrontationspolitik den Rücken. In den Stellvertreterkriegen, die sie von Syrien, im Libanon und im Jemen mit dem Iran führen, stellt er sich – anders als sein leider ziemlich einflussloser Außenminister Tillerson – leichtfertigerweise auf die Seite Riads. Damit schürt er aus blindem Iranhass einen Religionskrieg. Dabei wäre es doch so wichtig, zwischen Sunni und Shia einen Religionsfrieden zustande zu bringen.
 
In unserer Welt voller Tod und Elend ist es wohl unmöglich, alles Übel zu beseitigen. Aber wenigstens sollte man es nicht noch unterstützen.
   
 
   
ANZEIGE
 
 
 
 
Nur für Newsletter-Abonnenten
 
   
 
   
SERIE
 
 
 
 
FÜNF VOR 8:00
Die Morgenkolumne auf ZEIT ONLINE
 
 
Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.