10 nach 8: Sabine Scholl über Österreich

 
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08.11.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Die Rechten auf dem Lande
 
In vielen ländlichen Regionen Österreichs lebt Nazi-Denken weiter. Dort wurde die FPÖ gewählt, obwohl sie der Bevölkerung ganz falsche Versprechungen gemacht hat.
VON SABINE SCHOLL

Die Welt ist schon fremd genug, bitte nicht noch mehr davon. Ein Landwirt bei der Arbeit, im Hintergrund der Rettenbach-Gletscher in Österreich © Christian Bruna/dpa
 
Die Welt ist schon fremd genug, bitte nicht noch mehr davon. Ein Landwirt bei der Arbeit, im Hintergrund der Rettenbach-Gletscher in Österreich © Christian Bruna/dpa
 
 

Nicht jedem, der aus der Stadt fliehen möchte, steht das Landleben offen. Eine Freundin gestand mir kürzlich, dass sie es nicht wage, ins Umland Berlins zu ziehen, weil sie nicht mit täglicher Ausgrenzung leben könne. Sie ist durch ihre Hautfarbe als Andere erkennbar. Dass sie hochgebildet und beruflich erfolgreich ist, ist für die Diskriminierer möglicherweise ein weiterer Kritikpunkt.

Nach der Wahl in Österreich betrachte ich auf der Grafik die blau gefärbten Bezirke mit rechten Mehrheiten und präge mir Gegenden ein, die frei davon sind. Sogar mir, die ich auf dem Land aufgewachsen bin, schlägt in ländlichen Regionen oft Misstrauen entgegen und ich kann mir deshalb nicht vorstellen, dort zu wohnen. Ich mag die Landschaft, will aber nicht mit Argwohn betrachtet werden.

Diese Stimmung, in der fremd bereits eine unbekannte Autonummer sein konnte, wurde mir von klein auf eingeimpft. Aussonderungen waren offenbar immer schon ein beliebter Zeitvertreib. Sie dienen dazu, einWir-Gefühl hervorzurufen, das ohne Andere nicht funktioniert. Möglicherweise werden so uneingestandene Triebe und Ängste kanalisiert, weil Ordnung stets geschaffen wird, indem man Andere als nicht-passend erklärt.

In vielen ländlichen Regionen Österreichs haben länger als anderswo katholisches und unreflektiert – weil nicht genug geahndet – fortlebendes Nazi-Denken die Norm gesetzt. Das Ausgrenzen aufgrund geringster Abweichungen ist mir seit daher vertraut. Ungehörig waren ausländisch klingende Akzente; die sexuelle Freizügigkeit kinderreicher Familien; der Verrat, der mit höherer Bildung verbunden wurde; das unpolierte Auto; die Artikulationsprobleme von Behinderten; die Flausen von Aufstieg und Bessersein; klassische Musik; unterlassene Prügel für ungehorsame Kinder; gekaufte Marmelade statt selbst gemachter und so weiter. Mittlerweile ist Aussonderung eine Taktik rechter Parteien und durch ihre Wahlerfolge legitimiert. In einem Klima der Feindschaft dürfen Frustrationen neuerlich auf Sündenböcken abgeladen werden. Aktuell sind das die Flüchtlinge, da sie die bedrohliche Seite der Globalisierung verkörpern.

Für die Rechten haben in Österreich vor allem männliche Erstwähler gestimmt. Jene, die entweder keinen Zugang zur Bildung finden oder ihn nicht wollen. Weil sie meinen, sich nicht anstrengen zu müssen in einem komplexen Weltzusammenhang, da sie ohnehin per Zufall über eine wertvolle Essenz verfügen: nämlich einheimisch und weiß zu sein. Damit wären alle sozialen und ökonomischen Probleme auf einen Schlag gelöst. Sogar der defekteste Weiße ist demnach mehr wert als der Gebildete anderer Herkunft. Mit dem Trick einer Ethnisierung von sozialen Problemen wird der Rückzug auf das Unser, das Kontrolle verheißt, zum Heilsversprechen.

Natürlich sollte in strukturschwache Regionen mehr investiert werden und das ist tatsächlich ein Versäumnis bisheriger Regierungen. Doch selbst wenn globale Vorgänge gestoppt würden, wären ländliche Gebiete nicht automatisch bessergestellt. Aber eine Politik der Feindschaft bringt eben Stimmen und Macht.

Wer das Wahlprogramm der Freiheitlichen Partei liest, kann feststellen, dass im Grunde allen alles Erdenkliche zugesichert wird. Die Programmpunkte sind Beschwörungen, in denen möglichst oft die Zauberworte Wir und Unser gesetzt werden, um das Gruppengefühl zu fördern. Die antidemokratischen Absichten ihrer Vertreter, die sie in Reden und in hetzerischen Facebook-Foren herausschreien, sind auf der Website der Freiheitlichen sorgfältig verhüllt. Und wie genau die totale Umstrukturierung zur Zufriedenheit aller durchgeführt würde, wird nirgends erklärt.

Eine Gesellschaft aus braven Inländern?

Folgte man diesen Versprechen eines abgekoppelten Gemeinwesens ohne störende Außenseiter und Ausländer, würde der Krämer im Dorf seinen Laden wiedereröffnen und dort mindestens 14 Stunden arbeiten. Die Großmärkte an den Ortseinfahrten würden geschlossen. Die klassische Landwirtschaft kehrte zurück. Der Bauer arbeitete 18 Stunden am Tag, einheimische Knechte würden eingestellt. Beim Fleischer zahlten die Kunden dreimal so viel für inländisches Fleisch. Man tauschte Dienstleistungen gegen Naturalien. Der Bäcker müsste für einen Hungerlohn um zwei Uhr früh beginnen. Alle Arbeiten würden von Einheimischen verrichtet. Frauen kochten aufwendiger, bräuchten länger zum Einkaufen, und hätten für einen Job ohnehin keine Zeit. Alte Menschen würden von Familienangehörigen versorgt. Man benötigte keine Pflegerinnen aus Tschechien mehr. Computer würden abgeschafft. Zurück zur händischen Arbeit und zu Maschinen ohne digitale Technik. Alte Industrien würden wieder eingeführt. Bergwerke schürften wieder, jeder einzelne Nagel würde im Lande gepresst. Österreicher kauften österreichische Produkte. Gingen in die Kirche. Fremdsprachen wären unnötig. Schadhafte Ausländer würden zurückgeschickt und ihre Stelle nähmen brave Inländer ein.

Dass das Unbehagen aber weniger an lokalen als an globalen Vorgängen liegt, von denen die Landbewohner sehr wohl profitieren, wird von keiner der rechten Parteien je erwähnt. Wozu auch. Das zu verschweigen ist das Geheimnis, auf dem ihr Erfolg beruht.

Glücklicherweise habe ich, die ich zwischen Ausgegrenzten aufgewachsen bin, auch anderes erleben können als Hass. Mein Vater fand immer Zeit, sich mit den in der Nähe untergebrachten geistig und körperlich Behinderten zu unterhalten. Meine Tanten ließen sich von der traditionell gekleideten Türkin Häkeltechniken erklären. Die Familie meiner Cousine sorgte selbstverständlich für deren vier Töchter, die sie mit einem dunkelhäutigen DJ aus Barbados bekommen hatte.

Wenn es mächtige Sprecher gibt, die mächtige Erzählungen über Ausgrenzung verbreiten, müssen wir andere maßgebende Geschichten dagegensetzen. Indem wir zum Beispiel Geschichte als jahrhundertelange Abfolge von Migration und Integration beschreiben, wie der Historiker Philipp Thers in seiner Studie Die Außenseiter. Und es gilt, diejenigen zu erreichen, die sich bei ihrer Wahlentscheidung nicht ganz sicher waren und aus Verlegenheit oder auch Unwissenheit oder auch Bequemlichkeit die Rechten und ihre verführerischen Versprechen wählten.

Sabine Scholl beschäftigt sich in ihren Essays, zum Beispiel in "Nicht ganz dicht" mit transnationalen Prozessen; in literarischen Werken beschreibt sie das Zusammentreffen verschiedener Sprachen und Kulturen. Ihr neuer Roman "Die Gesetze des Dschungels" schildert die Geschichte einer Familie zwischen Österreich, London, Sri Lanka und basiert auf wahren Gegebenheiten. Das Buch erscheint im Frühjahr 2018. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". 


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