Knapp einen Monat nach den US-Kongresswahlen sind fast alle Stimmen gezählt und die Rennen entschieden. Das Ergebnis weist in zwei Richtungen: Den Demokraten gelang es, nach vielen Jahren wieder die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu gewinnen, sogar eine ziemlich deutliche. Und die Republikaner konnten ihre Mehrheit im Senat halten, sogar weiter ausbauen. Was aber bedeutet dieses Resultat für die Demokraten und ihre Chancen, bei der Präsidentschaftswahl 2020 Donald Trump zu entmachten?
Bei aller Vorsicht lassen sich vier Lehren ziehen. Die erste: Wollen die Demokraten siegen, muss ihr Präsidentschaftskandidat oder ihre Präsidentschaftskandidatin auch für jene Wähler attraktiv sein, die landläufig Amerikas weiße blue-collar workers genannt werden. Das sind jene Menschen, die kein College besucht, sondern gleich nach dem Schulabschluss einen Beruf erlernt haben. Oft bezeichnet man sie vereinfacht als Amerikas weiße Arbeiterschaft, obwohl etliche im herkömmlichen Sinn keine Arbeiter sind.
Die blue-collar workers bildeten einst das Rückgrat der Demokratischen Partei. Doch das ist lange her. Große Teile hadern mit dem demografischen Wandel ihres Landes und den damit einhergehenden ökonomischen, sozialen und kulturellen Veränderungen. Die meisten blue-collar workers machen heute bei den Republikanern ihr Kreuz.
Doch aufgeben dürfen die Demokraten diese Wählerschaft nicht. Nach wie vor machen weiße Amerikaner weit mehr von ihrem Stimmrecht Gebrauch als Angehörige von Minderheiten, als die Schwarzen, die Latinos, die Asiaten. Knapp zwei Drittel der weißen Wähler sind blue-collar workers, in den Staaten des Mittleren Westens und im Süden sind sie oft die entscheidende Kraft.
2016 stimmten die weißen blue-collar workers mit überwältigender Mehrheit für Donald Trump. Er war ihr Favorit – und ist es immer noch, vor allem bei den Männern dieser Gruppe. Doch jetzt, bei den Kongresswahlen, den sogenannten Midterms, bröckelte dieser Rückhalt in Staaten wie Pennsylvania, Wisconsin und Michigan. In anderen Regionen hingegen hielt er und konnte mitunter sogar ausgebaut werden.
Die zweite Lehre: Im Süden Amerikas könnten die Demokraten künftig zu neuer Blüte gelangen, doch gegenwärtig müssen sie ihre Mehrheiten nach wie vor im Mittleren Westen suchen.
Bei diesen Kongresswahlen probierte die Demokratische Partei im Süden eine neue Strategie aus. In einigen Bundesstaaten, vor allem in jenen mit einem hohen Anteil an Schwarzen und Latinos, setzte sie auf progressive und auf afroamerikanische Bewerber für politische Ämter. Ihre Hoffnung: Eine Koalition aus Minderheiten und liberalen weißen Städtern und Vorstädtern in den rasant wachsenden Metropolen könnte stark genug sein, um Demokraten eine Mehrheit zu verschaffen.
In Arizona klappte es, dort gewann eine liberale Demokratin den Senatorensitz, den zuvor ein Republikaner innehatte. Fast wäre die Rechnung auch in anderen Staaten aufgegangen. Um ein Haar wäre ein schwarzer Demokrat Gouverneur von Florida, eine schwarze Demokratin Gouverneurin von Georgia und ein liberaler weißer Demokrat Senator von Texas geworden. Es fehlten ihnen nur wenige Punkte zum Sieg. Für Amerikas konservativen Süden waren diese Resultate in der Tat eine Sensation.
Dennoch gingen die Demokraten am Ende, wenn auch nur ganz knapp, als Zweite durchs Ziel. Das lag vor allem daran, dass die drei Bewerber aus Florida, Texas und Georgia zu wenige Stimmen aus der weißen Wählerschaft erhielten, vor allem aus den Kreisen der blue-collar workers. Diese weißen Wähler haben gerade im Süden noch immer ein Problem damit, für einen Schwarzen zu stimmen, was sich soeben auch noch einmal in einer Nachwahl in Mississippi bestätigte. Dort bewarb sich für das Senatorenamt in Washington ein hoffnungsvoller schwarzer Demokrat, aber unterlag am Ende einer weißen Republikanerin, obwohl diese mit rassistischen Äußerungen im Wahlkampf großen Unmut erregt hatte.
Sozialdemokratische Botschaft
Doch auch weiße Demokraten haben im Süden nach wie vor ein Problem mit der weißen Wählerschaft, insbesondere mit den blue-collar workers. So stimmten in Texas zwar über 70 Prozent der Minderheiten für den liberalen weißen Senatskandidaten Beto O'Rourke, aber nur 25 Prozent der weißen Wähler.
Für die Präsidentschaftswahl 2020 gilt darum: Kein demokratischer Präsidentschaftskandidat wird in absehbarer Zukunft eine Mehrheit der weißen blue-collar workers gewinnen können. Aber wer ins Weiße Haus einziehen will, muss Pi mal Daumen 40 Prozent dieser Wählerschaft auf seine Seite ziehen und ansonsten die Verluste bei weißen Amerikanern mit den Stimmen der Minderheiten wettmachen. Barack Obama hat dies zweimal geschafft. Die Kongresswahlen haben soeben gezeigt, dass es auch anderen Demokraten gelingen kann, vor allem im Mittleren Westen.
Die dritte Erkenntis: Immer wieder wird behauptet, die Demokraten müssten 2020 einen politisch gemäßigten, wenn nicht gar eher konservativen Präsidentschaftskandidaten aufstellen. Doch die Midterms haben gezeigt, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Demokrat in seinem Innersten eher konservativ oder liberal ist, sondern, dass er die richtige politische Botschaft verkündet. Und diese Botschaft muss eine eher sozialdemokratische sein, denn damit lässt sich auch bei Trump-Wählern, bei den weißen blue-collar workers, punkten.
Egal ob ein Kandidat schwarz oder weiß, ein Asiate oder Latino, heterosexuell, homosexuell oder bisexuell ist: Erfolgreich sind jene Demokraten, die nicht Identitätspolitik in den Vordergrund rücken, sondern eine bessere Gesundheitsversorgung, die Sicherheit der Renten, mehr Geld für staatliche Schulen, den Schutz vor einer unfairen chinesischen Handelspolitik und vor Lohndumping durch illegale Einwanderer.
Den richtigen Kandidatenmix
Rückten Demokraten diese Themen ins Zentrum, könnten sie sich nebenbei auch für das Recht auf Abtreibung, für die gleichgeschlechtliche Ehe und für eine dritte Toilette für Transgendermenschen starkmachen, für sogenannte linke Themen, die sonst vor allem konservative weiße blue-collar workers eher verschrecken.
Die vierte Lehre: 2016 stimmten zum Beispiel Wisconsin und Michigan, zwei wichtige Staaten des Mittleren Westens, für Trump – und auch die Gouverneure dort waren bislang Republikaner. Jetzt gewannen die Gouverneurswahlen dort weiße Demokraten, die sich jeweils mit einem schwarzen Stellvertreter bewarben. Und die siegreichen politischen Paarungen bestanden außerdem aus jeweils einem Mann und einer Frau.
In dem sich demografisch, sozial und kulturell rasant wandelnden Amerika kommt es – insbesondere für Demokraten – mehr denn je auf den richtigen Kandidatenmix an. Die Demokratische Partei findet ihre Wähler vor allem unter Frauen und jungen Menschen, unter Minderheiten, Städtern und Vorstädtern, unter jenen mit einem Collegeabschluss. Ihr Wählerreservoir ist – theoretisch – größer als das der Republikaner. Aber es ist eben auch diverser, vielschichtiger und schillernder – und darum schwerer zusammenzubringen und zusammenzuhalten.