Die Europäische Union hat drei tüchtige Diplomaten dazugewonnen: Der eine trägt einen weißen Schnauzbart, der andere ist lang, dünn und von einem beigen Schal umschlungen, der dritte ist eher unscheinbar. Es sind Spitzenmanager von VW, Daimler und BMW, die am Dienstag nach Washington reisten zu Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump und seinen Wirtschaftsberatern. Offiziell wollten sie über Investitionen und Arbeitsplätze in Amerika sprechen. Inoffiziell ging es natürlich darum, die Autozölle abzuwenden, mit denen Trump gedroht hatte.
Unerhört fanden das viele. Das seien schließlich Manager, keine Politiker. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte: "Handelsfragen werden von der Europäischen Kommission für alle Mitgliedsstaaten einstimmig entschieden." Ihr Sprecher konkretisierte: "Die Verantwortung für die Handelspolitik liegt bei der Europäischen Kommission, nicht bei den nationalen Regierungen und schon gar nicht bei den Automobilunternehmen."
Das saß. Das stimmt ja auch. Keiner der drei Manager kann für die EU offiziell verhandeln. Und es stimmt auch wieder nicht. Denn es geht bei den Autozöllen natürlich nicht zuallererst gegen die EU, sondern zuerst gegen sie: die deutschen Autokonzerne. Zudem steht hinter der Kritik die Vorstellung, dass Firmen wie VW, BMW und Daimler überhaupt klar einem Land klar zuzuordnen sind. Dass sie deutsche Konzerne sind, die sich dann bitteschön an die zuständige deutsche – und europäische – Regierung wenden, wenn sie anderswo Probleme haben. Damit diese Regierung dann für sie verhandele.
Eine altertümliche Vorstellung. Denn das stimmt längst nicht mehr. VW, BMW, Daimler sind lang nicht mehr so deutsch wie einst. Und viel globaler, als es viele in Europa wahrnehmen wollen. Das zeigt sich an zwei Fragen besonders anschaulich.
Erstens: Wem gehören sie?
An VW hält das Land Niedersachsen zwar immer noch knapp 12 Prozent und indirekt sind die Familien Porsche und Piech beteiligt. Doch 14,6 Prozent gehören dem Staatsfonds von Katar. Und knapp ein Viertel des Konzerns kontrollieren institutionelle Anleger aus dem Ausland. Daimler gehört zu knapp zehn Prozent einem chinesischen Investor und zu knapp sieben Prozent dem Staatsfonds von Kuwait. Dazu kommen eine Überkreuzbeteiligung mit Renault-Nissan sowie jede Menge weitere ausländische Investoren: 31 Prozent der Anteilseigner sind Deutsche, knapp 19 Prozent US-Amerikaner. BMW ist zwar noch deutscher, aber auch hier stammen 38 Prozent der institutionellen Investoren aus Amerika.
Zweitens: Wo verkaufen sie?
Volkswagen hat im Jahr 2017 mehr Autos in Asien abgesetzt als in Europa. Der Konzern hat sogar mehr Autos allein in China verkauft als in ganz Europa: mehr als vier Millionen Fahrzeuge. In Deutschland waren es 1,1 Millionen, in den Vereinigten Staaten immerhin gut halb so viele. Auch nach Europa sind die Bande nicht so eng, wie man denken würde: VW verkauft mehr in Brasilien als in Spanien. Für Daimler hingegen ist der US-amerikanische Markt sehr wichtig. 2017 hat der Konzern mehr Mercedes-Autos in den USA verkauft als in Deutschland, in China beinahe das Doppelte. Bei BMW sieht es ähnlich aus, die USA und China sind wichtige Märkte.
Die deutsche Autoindustrie ist längst globalisiert. Sie verkauft überall auf der Welt und gehört Anlegern aus aller Welt. Sie hat Werke in aller Welt und auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Es waren demnach keine europäischen Diplomaten, die Trump da bei sich empfangen hat, sondern Globalisten. Sie haben keine Fürsprecher in der nationalen Politik, weil sie nicht national sind, sondern global. Höchstens eine überstaatliche Organisation wie die Welthandelsorganisation könnte ihre vielfältigen Interessen vertreten. Doch Trump mag die WHO nicht. Er mag auch die Globalisten nicht. Er hat sie öffentlich zu seinen Feinden erklärt und den Protektionismus wiedererweckt.
Es ist nicht nur verständlich, dass die Autobosse in dieser Lage die Diplomatie für ihr Geschäftsmodell lieber selbst erledigen. Es ist auch richtig so.
Angela Merkel oder Jean-Claude Juncker können das gar nicht, sie sollten es auch nicht können. Sie müssen bei solchen Verhandlungen zuerst an Deutschland und an Europa denken, an Regeln und Gerechtigkeit, nicht an transnationale Konzerninteressen. Vor allem aber haben Merkel und Juncker nicht das anzubieten, was Trump wirklich interessiert: Industriearbeitsplätze. Die Konzerne hingegen wissen, wie flexibel und wie fix sie darin sind, diese zu schaffen. Nach dem Treffen sprachen die Autobosse schon von Investitionen und Kooperationen.
Für Deutschland ist das einerseits gefährlich. Schließlich sind bei aller Globalisierung die meisten Mitarbeiter von VW, BMW und Daimler heute noch immer in Deutschland beschäftigt.
Doch eine Verlegung nach Amerika kennt schon aus Kostengründen klare Grenzen. Zwei Dinge haben die Autobosse deshalb hoffentlich in aller Freundlichkeit klargestellt: Donald Trump soll nicht träumen. Das niedergegangene Detroit werden sie nicht wieder erwecken können. Und Donald Trump soll sie nicht für wehrlos halten. Sollten die Zölle doch kommen, gibt es einen entscheidenden Vorteil eines globalen Konzerns: Er sucht sein Glück anderswo. Es wäre höchst unangenehm, aber natürlich geht es notfalls auch mit deutlich weniger Amerika.