Kiyaks Deutschstunde: Verlogenes Schauspiel

 
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Kiyaks Deutschstunde
09.11.2017
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Verlogenes Schauspiel
 
Eilmeldung: Koalitionsparteien erreichen erste Einigung – alles beim Alten belassen, weitermachen. Drei Wochen verhandeln sie schon über das ganz große Nichts.
VON MELY KIYAK

Die Sache mit dem Verbrennungsmotor ist so ein Beispiel. Die Koalitionäre sitzen beisammen und verhandeln, was sie in den kommenden vier Jahren politisch umsetzen möchten. Die Medien befinden sich in der Nähe der Parlamentarischen Gesellschaft, wo man sich häufiger zum Sondieren traf. Das ARD-Hauptstadtstudio liegt ohnehin vis-à-vis, das Berliner Büro von ZDF und Spiegel zehn Gehminuten entfernt. Eine Handvoll Restaurants befinden sich in diesem Radius, von dem man weiß, dass da immer ein paar Leute sitzen, die gerne plaudern. Wer sich schon eine Weile in dem Geschäft bewegt, weiß, wen man wo treffen kann, die Telefonnummern der Referenten von Spitzenpolitikern hat man ohnehin. Man ist also bestens präpariert, damit man keine einzige Entscheidung verpasst.
 
Seit bald drei Wochen geht das nun so. Die Medien filmen und begleiten, wie die Verhandlungsführer sich dem Gebäude nähern, es betreten oder verlassen. Wie sie vor die Kameras treten und Stimmungen verkünden. Jede Bewegung, jedes Zucken eines Augenlids, alles erlangt Bedeutung, denn es passiert ja nichts. Und dieses große Nichts gilt es einzuordnen, zu analysieren, zu drehen und zu wenden, wie ein Stück Fleisch in der Pfanne.
 
Dabei gäbe es viel zu entscheiden. Eine Sache wie der Dieselskandal ist eine durchaus freche Verarsche, die die Automobilindustrie ihren deutschen Kunden und der Politik aufgebürdet hat. Dass man mit Interesse verfolgen möchte, mit welchem Engagement die Grünen ihr Kernthema, nämlich den Umweltschutz, in den Koalitionsverhandlungen verteidigen, ist verständlich. Die zur Sektengröße geschrumpfte grüne Wählerschaft hat ja auch ein Recht auf Information. Sie will natürlich wissen, ob es sich beim grünen Koalitionspartner um Pittbulls oder Pudel handelt. Die Kamera also immer schon draufhalten auf den Mini-Kensington-Palast mit Winke-Winke-Balkon namens Parlamentarische Gesellschaft.
 
Schrecklich und anstrengend
 
Dann, erstes Ergebnis, wie gesagt, nach fast drei Wochen: Die Grünen jedenfalls halten an keinem Datum fest, weder beim Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor noch aus der Kohle. Kurz, die Umweltpartei verfolgt keine umweltpolitischen Ziele.
 
Es bedeutet, dass die gesamte Koalition auf die Riesen-Industrieverarsche mit einem großen Nichts reagiert.
 
Nun folgen erste Statements der Parteispitzen, dass man ungeachtet dessen an den "klimapolitischen Zielen" für 2030 und 2050 festhalten werde. Es soll schließlich nicht so aussehen, als ob den Parteien alles egal wäre. Ob irgendein Bürger aus dem Effeff diese Ziele benennen kann? Wahrscheinlich nein. Ist nicht schlimm, denn bis dahin sind es noch drei Bundestagswahlen und gefühlt 100 Landtagswahlen.
 
Jetzt aber "zügig" weiter zur nächsten "Einigung" und immer schön versichern, dass man einander überaus wohlgesonnen ist.
 
Vielleicht sollte man als Bürger den Druck aus der Sache nehmen und zurückspiegeln, dass man das Schauspiel als verlogen wahrnimmt. Wenn drei Leute heiraten, die vor der Hochzeit stritten, und anschließend versichern, dass die Liebesnächte zärtlich und aufregend sind, nimmt man die Eheleute nicht als seriös und aufrichtig wahr. Es wäre erwachsener, wenn jemand vor die Kamera träte und sagte, wie es ist. Nämlich schrecklich und anstrengend.
 
Lieber alles lassen, wie es ist?
 
Sich dabei filmen zu lassen, wie aus den Limousinen gestiegen und an die Mikrofone getreten wird, ist als Einladung an die Medien gedacht, Bilder und Botschaften zu senden, die konkrete Handlung suggerieren. Politiksimulation ist ein Begriff, den der Politikwissenschaftler Philip Manow für solche Darstellungsmomente verwendet. Dass man sich nicht darauf einigen konnte, zügig und streng die Industrie zum Tüfteln und Erfinden anzufeuern, ist eine solche Simulation.
 
Die Verhandlungsführer haben die Verhältnisse belassen wie sie sind. Man kann diesen Umstand gut finden oder nicht, das ist jedem selbst überlassen. Strategisch und aus Imagegründen wäre es besser gewesen, die erste gemeinsame Einigung über eine tatsächliche Veränderung zu beschließen. Nach dem Motto: Jetzt wird losgelegt und umgekrempelt!
 
Das vermeintlich großzügige Versprechen, bis Weihnachten eine handlungsfähige Regierung zustande zu bekommen, scheint kaum jemanden zu beunruhigen. Von der Bundestagswahl bis Weihnachten sind es drei Monate! Bis dahin befindet sich Deutschland in einem Zustand politischer Lethargie. Sondierung hin oder her, es handelt sich um Politikabwesenheit.
 
Einfach einsperren und abschirmen
 
Gedankenexperiment. Würden die Medien aufhören, jede kleinste Regung als Ereignis zu inszenieren, würden die Koalitionäre dann darüber reflektieren, wie steinern und uninspiriert sie wirken? Wenn man sie immer erst filmen würde, wenn sie das konkrete Vorhaben in einem Satz ausdrücken könnten, würden sie sich bestimmt anders Mühe geben, doch vor allem würden sie sich beeilen.
 
Seit Konrad Adenauer, also seit 1949, bestand jede Bundesregierung aus einer Koalition. Langsam müsste man den Dreh doch raushaben, die Verhandlungsphase so kurz wie möglich zu halten. Und vor allem alternativ zu denken. Politische Verhandlungsführer mit Format von außen holen, vielleicht ehemalige Minister oder charismatische Parteimitglieder. Nicht versuchen, eigene, sondern gemeinsame Konzepte auszuhandeln, um die blöde Frage, wer nachgab und wer nicht, damit unwichtig zu machen. In einigen Ländern gibt es die Tradition, dass man Entscheidungsträger so lange einsperrt, bis sie eine Einigung erzielen. Sie werden vorzüglich versorgt, aber haben keinen Kontakt zur Öffentlichkeit. Für Politiker wie Seehofer oder Lindner wäre das sicherlich die Höchststrafe.
 
Eine Opposition, die Druck und Eile aufbaut, sucht man dieser Tage übrigens vergebens. Die SPD ist schon wieder mit ihrem Lieblingshobby beschäftigt: hadern und um Posten streiten. Die CSU, die immer zwei Eigenschaften hat, nämlich Opposition bei gleichzeitiger Regierungsbeteiligung, ist damit beschäftigt, Seehofer abzusägen. Die Linke macht Nickerchen. Und die AfD? Wie steht eigentlich die AfD zum deutschen Verbrennungsmotor?
 
Versprochen: Bis Jahresende folgt wenigstens Teil zwei dieser Kolumne.


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