Fünf vor 8:00: Ach, Europa? Ach, Berlin! - Die Morgenkolumne heute von Petra Pinzler

 
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FÜNF VOR 8:00
30.11.2017
 
 
 
   
 
Ach, Europa? Ach, Berlin!
 
Die EU hat viele Mängel. Die Glyphosat-Entscheidung zeigt aber, dass eine moderne Umwelt- und Landwirtschaftspolitik immer öfter in Berlin verhindert wird.
VON PETRA PINZLER
 
   
 
 
   
 
   
Über Europa kann man manchmal verzweifeln. Bei der Entscheidung zum Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosat ist das so. Denn natürlich ist der erste Impuls darauf, dass die EU es um weitere fünf Jahre zugelassen hat, ein klares Neeeein! Mit dieser EU werden wir den Einstieg in eine Landwirtschaft, die die Natur nicht nur als auszubeutende Ressource nutzt und immer mehr zerstört, nie schaffen! Diese EU bleibt immer der Tanker, der die Großbauern füttert und den kleinen das Leben schwer macht! Die im Zweifel die Gewinne der Chemieindustrie wichtiger findet als das Überleben der Schmetterlinge!
 
Das spontane Urteil klingt gut. Doch nach ein bisschen Nachdenken, Nachhören und Nachlesen ist die Sache dann nicht mehr so eindeutig. Und die Ausrufezeichen werden zu Fragezeichen. Denn es zeigt sich: Im Grunde hat sich die EU oder zumindest das EU-Parlament in diesem Fall gar nicht so schlecht geschlagen.
 
Monatelang hat es sich mit der Frage "Glyphosat ja oder nein?" auseinandergesetzt. Ohne EU-Abgeordnete, die von einer aktiven europäischen Gesellschaft, von engagierten Bürgern und Initiativen getrieben wurden, hätte es wahrscheinlich längst nicht so viele Diskussionen über die Gefahren gegeben, die von dem Gift ausgehen – und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und anderen Mitgliedsstaaten. Ohne diese EU hätte wahrscheinlich das deutsche Landwirtschaftsministerium längst still, leise und ohne große Auflagen entschieden: grünes Licht. Und die Ministerien in anderen Ländern auch. Schließlich war der Druck der Bauernlobby und der Chemieindustrie enorm.
 
Um nicht missverstanden zu werden: Die europäische Entscheidung ist in der Sache verkehrt. Denn selbst wenn Glyphosat beim Menschen wahrscheinlich keinen Krebs erregt (zumindest legt das eine Vielzahl von Studien nahe), wird der Stoff damit ja nicht automatisch ungefährlich. Er bleibt schädlich, denn er sorgt dafür, dass Pflanzen sterben. Das ist ja gerade der Sinn. Wenn aber Pflanzen großflächig mit Gift getötet werden, dann verteilt sich das Gift auch dort, wo es nicht hingehört. Es zerstört die Nahrungsgrundlage für Tiere. Und damit die biologische Vielfalt.
 
Mühsame Kompromisse
 
Wenn es also bald in Deutschland noch weniger summt und zwitschert, dann hat das natürlich mit Glyphosat und anderen Giften zu tun, die viel zu viel auf den Felder verspritzt werden. Das muss verboten werden und zwar je schneller, desto besser.
 
Der Grund, warum man die EU-Entscheidung falsch, den Prozess aber trotzdem richtig finden kann, ist folgender: In einem Gebilde, in dem so viele Einzelinteressen gebündelt werden müssen, ist klar: Das geht nur durch Kompromisse, selbst wenn die nicht immer toll sind. Durch eine langsame Annäherung. Und durch komplizierte Verfahren. Durch gegenseitiges Lernen und dadurch, dass man es beim ersten Mal vielleicht falsch und danach erst richtig macht. Einfach und schnell entscheiden Diktaturen. Demokratien sind kompliziert und langsam – am Ende aber besser für Menschen und Natur. Die EU-Umweltpolitik zeigt das an vielen Beispielen. Und ihre Bilanz ist oft besser als ihr Ruf. Aus einem einfachen Grund: Wenn in Brüssel erst einmal Umweltrichtlinien verabschiedet sind (fast immer mit der Zustimmung der Bundesregierung), dann kämpft die EU-Kommission auch dafür (anders als die Bundesregierung).
 
Beispiel Trinkwasser: Seit Jahren schon fordert die EU-Kommission die Bundesregierung immer wieder auf, endlich für sauberes Trinkwasser zu sorgen und die Nitratbelastung so reduzieren, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Doch die Bundesregierung tat zuletzt so wenig dafür, dass Brüssel sie in diesem Jahr vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt hat. Mit dem einen Ziel: Deutschland soll endlich die eigenen Gesetze durchsetzen.
 
Beispiel Luft: Die EU-Kommission hat immer wieder gefordert, dass in den deutschen Städten die Grenzwerte für Luftschadstoffe eingehalten werden. Doch die Bundesregierung interessiert das so wenig, dass die Behörde Deutschland wahrscheinlich Anfang Dezember bei Europäischen Gerichtshof verklagen wird. Man muss sich das noch einmal vor Augen halten: Die deutsche Bundesregierung wird von der EU-Kommission verklagt, weil sie sich nachweislich nicht genug um die Gesundheit ihrer Bürger kümmert. Schon irre!
 
Nicht mehr Geld für Biobauern
 
Und selbst dort, wo es nicht um Gesetze, sondern um Geld geht, war Brüssel zuletzt umweltfreundlicher als Berlin: Im laufenden Agrarhaushalt (über den grundsätzlich alle sieben Jahre entschieden wird) wollte die EU-Kommission eine stärkere Förderung der biologischen Landwirtschaft. Das deutsche Landwirtschaftsministerium blockierte – erfolgreich.
 
Nicht zuletzt spielte nicht Brüssel, sondern Berlin bei der Zulassung von Glyphosat den Schurken. Dass das Gift weiter zugelassen wird, verantwortet der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt. Ohne ihn Deutschland hätte es in Brüssel im Rat der Regierungen keine Mehrheit für das Gift gegeben.
 
Die Umweltbilanz der EU? Die der Bundesregierung ist eindeutig schlechter. 
   
 
 
   
   
 
 
   
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