Alle zwei Jahre vergibt die Nationalgalerie, Berlins große Sammlung für moderne Kunst, einen renommierten Nachwuchspreis. Er ist undotiert, der Preisträger bekommt stattdessen eine Ausstellung. In diesem Jahr bestand die Liste der Nominierten aus vier Künstlerinnen. Oder, um etwas konventioneller und üblicher zu beginnen: "Gleich vier Frauen nominiert!" Oder: "Geballte Frauenpower!" Es ist ja üblich geworden, ständig auf Herkunft, Religion und Geschlecht hinzuweisen. Jeder, der so etwas ohne inneren Widerstand hinschreiben kann, wird natürlich behaupten, dass es als Kompliment, Würdigung und Respektsbekundung gedacht sei. Brauchen Künstlerinnen aber eine besondere Würdigung für ihr Geschlecht oder ihre Herkunft, wenn ihre offensichtliche Leistung ihre Kunst ist? Genau das, also die Herumreiterei auf Herkunft und Geschlecht, bereitete den Nominierten Sol Calero, Iman Issa, Jumana Manna und Agnieszka Polska – die den Preis schließlich am 20. Oktober bekamen – ziemliches Unbehagen. In einem offenen Brief wandten sie sich vergangene Woche an die Öffentlichkeit. Sie formulierten ihren Widerwillen gegen die "selbstgefällige Verwendung von Vielfalt als Instrument der Öffentlichkeitsarbeit", die einzig dazu diene, "systematische Ungleichbehandlungen auf allen Ebenen des Kunstbetriebes zu verschleiern". Weiterhin waren die vier Frauen unzufrieden damit, dass es zu keinem Zeitpunkt dieser sehr wichtigen Preisverleihung um ihr künstlerisches Schaffen ging. Potzblitz, wir sind so links! Wenn eine Preisverleihung um das Geschlecht und die Herkunft des Künstlers kreist, nicht aber um die Kunst, dann lässt das nur einen Schluss zu. Nämlich, dass es zu keinem Zeitpunkt um das Anliegen des Künstlers, aber um das Anliegen des Gastgebers geht. Dieser Vorgang ist übrigens total austauschbar, mit Hunderten Veranstaltungen im Kulturbetrieb. Sobald jemand eine Frau ist und oder einen Migrationshintergrund hat und der Veranstalter das erwähnt, weiß man, es geht dem Gastgeber darum, dass er mit der Einladung, Ehrung oder Auszeichnung einen "positiven gesellschaftspolitischen Beitrag" leisten möchte. Jeder Künstler, dem so etwas widerfährt, ist gezwungen entsetzt oder enttäuscht, dabei zuzusehen, wie aus einer Auszeichnung ein Integrationspokal wird. Worüber man sich eben noch freute, wird vor aller Augen zu einem Willkommensbambi oder einer Gebärmuttermedaille degradiert. Der Einladende, der darauf hinweist, dass er gerade eine Frau aus Kenia oder einen schwulen Schwarzen ehrt und nicht einen herausragenden Regisseur oder eine raffinierte Lyrikerin, zeichnet im Grunde genommen sich und seinen Inklusionswillen aus. Er will damit sagen: Potzblitz, wir sind so linksliberal, wir machen nicht einmal mehr Halt vor schwulen Lesben und weißen Schwarzen! Das Fatale daran ist natürlich, dass die so Genannten nie einen ethnischen, religiösen oder geschlechtlichen Unterschied zwischen sich und den unetikettierten Künstlern sahen, bis, ja, bis ... Parallel zur Sexismusdebatte Nach so einer Veranstaltung, in der Eigenschaften wie Frau- oder Judesein auf ein Podest gehoben werden, ist es in der Öffentlichkeit nie mehr möglich, etwas anderes zu sein. Nämlich Künstlerin. Und nicht "Künstlerin mit persischen Eltern", um mal einen anderen Klassiker der Etikettierung zu nennen. Eine erwachsene Frau als "Tochter von Eltern aus Hier-und-da" vorzustellen, ist maximal chauvinistisch. Wird aber in jeder Talkshow so gehandhabt. Erwachsene deutsche Männer mit deutschen Eltern haben Berufe. Erwachsene deutsche Frauen mit ausländischen Eltern bleiben Töchter. Der Brief der vier Nominierten für den Preis der Nationalgalerie blieb eine in der Kunstwelt nur mäßig beachtete, in der breiten Medienwelt nahezu völlig ignorierte Begebenheit. Die Ausrichter des Preises reagierten übrigens sehr nobel. Man hieß die Kritik willkommen, wolle die angesprochenen Aspekte ernst nehmen und die Fragen offen diskutieren, kurz: Man lässt sich die ganze Sache noch einmal durch den Kopf gehen. Das Ganze ereignete sich übrigens parallel zur Sexismusdebatte der vergangenen Wochen. Dass es als Künstlerin oder Kulturschaffende in Deutschland grundsätzlich nicht möglich sein kann, genauso behandelt und beurteilt zu werden wie ein superdeutscher Mann, ist allein deshalb unmöglich, weil sich Teile der Öffentlichkeit weigern, überkommene Rollen- und Wertevorstellungen hinter sich zu lassen. Dass man sich einfach nur für die Kunst einer Frau interessiert, ohne ständig mitzuerzählen, ob sie Kinder hat, verheiratet ist oder zugereist, ist intellektuell nicht die schwerste Aufgabe der Welt. Dann schaut man in die Zeitungen und Mediatheken und stolpert als allererstes über Hinweise auf Geschlecht und Herkunft von Frauen, die wie Legehenneneier gekennzeichnet werden. Vor einigen Wochen wurde die deutsche Künstlerin Hito Steyerl von der britischen ArtReview auf Platz 1 der 100 wichtigsten internationalen Künstler gewählt. Das ist eine sagenhaft schöne Nachricht, dass diese Aufsehen erregende Künstlerin mit bahnbrechenden und erschütternden Arbeiten wahrgenommen wird. Wie die Meldung in der FAZ begann? "Frauenpower aus Deutschland: Eine internationale Jury wählte die in München geborene deutsch-japanische Künstlerin ..." Die Süddeutsche fing ähnlich an: "Als erste Frau hat das Kunstmagazin ArtReview ..." So ähnlich verhielt es sich in allen deutschen Zeitungen. Der Guardian schrieb einen langen Artikel über sie, den "german artist". Die Worte woman, japan oder first woman kamen in keiner Zeile vor. Der Text handelte ausschließlich von ihrer Arbeit.
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