So bitter kann es kommen, wenn man sich derart misstraut und beharkt wie die vier Partner einer möglichen
Jamaika-Koalition: 52 Prozent der Deutschen lehnen ein solches Regierungsbündnis aus Unionsparteien, FDP und Grünen inzwischen ab, nur noch 45 Prozent finden es gut. Vor anderthalb Monaten, kurz nach der Wahl, war es umgekehrt: 57 Prozent waren dafür, nur 40 Prozent dagegen.
Auch wenn alle Verhandlungspartner eine Einigung bis zu diesem Donnerstag, dem Stichdatum, immer noch für möglich halten: Gerade für eine Jamaika-Koalition ist dieser Stimmungsumschwung fatal. Denn ein solches bislang noch nie dagewesenes und unter normalen Umständen auch eher unwahrscheinliches Bündnis muss seine Kraft und seinen Rückhalt vor allem aus zweierlei schöpfen: aus einer allgemeinen Aufbruchshoffnung und der Neugier auf das Ungewöhnliche.
Doch der gegenseitige Argwohn und der mangelnde Enthusiasmus der vier Parteien drohen sogar bei den letzten Gutwilligen jede Lust auf ein solches buntes politisches Wagnis zu zerstören. Plötzlich wirkt Jamaika farblos, ohne jeden Schwung und mehr wie ein graues Zwangsbündnis, das sich anscheinend nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen kann.
Das Problem sind nicht die scharfen politischen Gegensätze. Über die Frage, wie humanitär eine gemeinsame Flüchtlings- und Einwanderungspolitik sein soll und wie viel Platz sie auch dem Familiennachzug einräumt, müssen die vier potentiellen Partner heftig streiten können. Ebenso darüber, wie sie sich das künftige Europa vorstellen und mit welchen Mitteln und in welchem zeitlichen Rahmen sie die im Pariser Abkommen beschlossenen Klimaschutzziele erreichen wollen.
Die Konflikte nicht schönreden Politischer Streit muss sein, er fand in den vergangenen Jahren viel zu selten statt. Zu Recht wurde beklagt, dass Kanzlerin Merkel Dispute ständig schön- oder kleinredet. Dass sie immer alles zu einer großen Konsenssoße verrühren will.
Das Problem ist nicht der Streit, sondern die Art und Weise, wie er geführt wird. Dass die Verhandlungspartner übereinander herfallen statt herauszustreichen, dass in der Zusammenführung und Überbrückung inhaltlicher Gegensätze nicht nur ein besonderer Reiz, sondern auch neue Lösungsansätze liegen könnten.
Was tun gegen Verhaltensstarre? Der Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner hat das bisherige Ergebnis der Sondierungen auf den Punkt gebracht: "verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre".
Natürlich braucht jeder Verhandlungsführer den Rückhalt seiner Partei. Die Unterstützung seiner Basis gewinnt man nur, wenn man die Überzeugungen und Ziele, für die man gewählt wurde, nicht bei den Sondierungsgesprächen an der Garderobe abgibt. Doch statt einen kreativen Streit um Inhalte zu führen, dominieren Dominanz- und Imponiergehabe. Jeder will demonstrieren, dass er den anderen notfalls in die Knie zwingen kann.
Hinderlich ist bei den Sondierungen außerdem, dass die vier Parteien sich an sehr unterschiedlichen Fixpunkten orientieren. Vor allem die CDU hat ein ureigenes Interesse am Zustandekommen von Jamaika, denn für Merkel ist es die letzte Chance, Kanzlerin zu bleiben. Auch die Grünen würden nach zwölf Jahren Opposition gerne mal wieder mitregieren, allerdings nicht zu jedem Preis.
Für die
FDP hingegen käme eine Regierungsbeteiligung eigentlich zu früh. Weil sie zwischen 2009 und 2013 in einer Regierungskoalition mit den Unionsparteien kein einziges liberales Versprechen durchsetzen konnte, flog sie vor vier Jahren zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte bei einer Bundestagswahl aus dem Parlament.
Der Minderwertigkeitskomplex der FDP Diese Schmach wollen die Liberalen nicht noch einmal erleben. Sie würden sich darum lieber erst einmal in der Opposition sortieren und in den nächsten vier Jahren Statur gewinnen. Außerdem verfügt die FDP nur über wenige Leute im Bundestag mit Regierungs-und Parlamentserfahrung. Sie befürchten darum, von den anderen Jamaika-Partnern an die Wand gespielt zu werden. Diesen Minderwertigkeitskomplex überspielen sie gern mit beißender Überheblichkeit.
Die
CSU ist nach ihrem desaströsen Ergebnis bei der Bundestagswahl völlig von der Rolle. Sie weiß von allen am wenigsten, was sie wollen soll. Im nächsten Jahr müssen die Christsozialen Landtagswahlen bestehen, darum quält sie die Frage: Was wird ihr bei den bayerischen Wählern eher schaden – ein Ja oder ein Nein zu Jamaika?
Eine Regierung aus vier derart unterschiedlichen Parteien zu bilden, ist eine Höllenaufgabe. Entscheidend ist darum, wie mit den Kontroversen umgegangen wird. Eine Grundregel der Konfliktlösung lautet: Zunächst einmal müssen alle Beteiligten sowohl ihr eigenes Potenzial als auch das Potenzial der anderen entdecken und gegenseitig anerkennen. Erst dann kann man in einem zweiten Schritt zu einer für alle Gewinn bringenden Lösung kommen.
In der Praxis gibt es dafür meist einen Anleiter oder eine Anleiterin, einen geschulten Mediator, der Anstöße gibt, ermutigt und dabei das große Ganze nicht aus den Augen verliert. Ob Angela Merkel das kann – und dafür noch die Kraft hat?