10 nach 8: Antje Schrupp über Feminismus

 
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27.11.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Lasst uns uneinig bleiben!
 
Drei Frauen, drei Meinungen über einen guten, richtigen Feminismus. Das Ziel ist klar, der Weg nicht. Deshalb dürfen wir Andersdenkende nicht als Antifeministen ablehnen.
VON ANTJE SCHRUPP

Wir sind für und gegen Sexarbeit. Für und gegen den Schutz der Familie. Für und gegen Quoten. Für und gegen Abtreibung. Für und gegen High Heels. Und das ist auch okay. © Karl Magnuson/unsplash.com
 
Wir sind für und gegen Sexarbeit. Für und gegen den Schutz der Familie. Für und gegen Quoten. Für und gegen Abtreibung. Für und gegen High Heels. Und das ist auch okay. © Karl Magnuson/unsplash.com
 
 

Wir leben in interessanten Zeiten. Zeiten, in denen geschlechtermäßig so gut wie alles durcheinandergerät. Feminismus ist heute einflussreicher und präsenter denn je. Es ist nicht mehr wie noch vor Kurzem schick, sich davon zu distanzieren, im Gegenteil: Willst du cool sein, musst du feministisch sein. Immer mehr Frauen arbeiten in den Redaktionen großer Medien. Sie schreiben jede Menge Texte, natürlich auch über Geschlechterverhältnisse und nicht immer vor dem Hintergrund feministischer Theorie und Praxis. In feministischen Debatten geht es heute zunehmend um die kleinen Dinge, um Alltagsfragen. Dass Vergewaltigung verboten gehört und Frauen gleiche Rechte haben, darüber gibt es nichts zu streiten, das versteht sich von selbst. Aber was ist es mit dummen Witzen oder mit der Bedeutung von Schminke

Darüber herrscht keine Einigkeit, auch nicht unter Frauen, und auch nicht unter Feministinnen. Als die Soziologin Barbara Kuchler kürzlich auf ZEIT ONLINE einen Text veröffentlichte, in dem sie die Ansicht vertrat, dass Frauen, die sich schminken, High Heels tragen oder sich anderweitig aufbrezeln, an der sexistischen Geschlechterordnung mitwirken, die dann zuweilen auch zu sexualisierter Gewalt führt, erntete sie heftige Kritik aus der feministischen Community: Absurd, Bullshit, idiotisch sei der Text. Er könnte "von einer stalinistischen Kulturoffizierin der 30er Jahre stammen". Kuchler verhöhne die Opfer sexualisierter Gewalt und habe die feministische Bewegung "um Jahrhunderte zurückgeworfen".

Sicherlich kann man gegen Kuchlers Text vieles einwenden, vor allem gegen die problematische Verknüpfung ihrer Schminke-Kritik mit der #MeToo-Debatte. Aber muss man ihr, der promovierten Soziologin, jegliche Kompetenz absprechen, sich zu dem Thema zu äußern?

Es ist nachvollziehbar, dass feministische Aktivistinnen den Impuls haben, sich von Positionen zu distanzieren, die "Feminismus" nur als Label nutzen oder sogar für ganz andere Zwecke instrumentalisieren. Sie machen damit nur dasselbe, was weltanschauliche Gruppierungen im Westen schon immer gemacht haben, nämlich bestimmte Positionen als häretisch zu definieren und ihre Anhängerinnen und Anhänger dann vor die Wahl zu stellen, entweder die offizielle Linie zu übernehmen oder als Verräterin ausgeschlossen zu werden. Diese Praxis entstammt der Inquisition, überlebte dann aber quietschfidel die Säkularisierung sowie sämtliche Revolutionen und wurde später über die Studentenbewegung leider auch an die Frauenbewegung weitergereicht. 

Es ist höchste Zeit, damit zu brechen, auch weil dieses Vorgehen dem Feminismus mehr schadet als anderen sozialen Bewegungen. Erstens verlieren wir dadurch originelle Köpfe – ich erinnere nur an Katharina Rutschky, die in den 1990er Jahren wegen ihrer These vom "Missbrauch mit dem Missbrauch" von anderen Feministinnen so angefeindet wurde, dass sie sich schließlich ironisch selbst als Antifeministin bezeichnete (und sich zugegebenermaßen dann mitunter auch so benahm). Allerdings: Vieles von dem, was sie in den 1990ern am Emma-Feminismus und der damaligen Gleichstellungspolitik kritisierte, ist inzwischen Allgemeingut, unter anderem ihre Ansicht – Achtung, Pointe – dass Schminke und feminine Kleidung kein Beleg für die Unfreiheit ihrer Trägerin seien.

Natürlich gibt es klaren Antifeminismus auch unter Frauen. Aber er ist selten. Dieses Etikett sollte eher jenen männerrechtlerischen und rechtsnationalistischen Positionen vorbehalten sein, die mit klarer politischer Agenda den Feminismus aktiv bekämpfen. Allen anderen gegenüber ist der Vorwurf unangebracht. Nicht einmal Frauen, die sich neuen Sichtweisen rundheraus verweigern, sind unbedingt Antifeministinnen. Vielleicht sind sie nur ein bisschen stur. Da kann einem jemand wie die Schauspielerin Nina Proll, die zurzeit in jedes erreichbare Mikrofon erzählt, wie doof sie die #MeToo-Kampagne findet, tausendmal lieber sein als eine, die feministische Aktionen bloß deshalb unterstützt, weil das zurzeit alle so machen. 

Nicht der Antifeminismus ist die größte Gefahr für die Freiheit der Frauen, sondern der Konformismus. Wenn wir Frauen, um die Gefahr des Konformismus zu bannen, in unseren Reihen ein paar "Antifeministinnen" ertragen müssen, dann ist das eben so. 

Die Fragen sind falsch gestellt

Zumal es stimmt, was die Historikerin Joan W. Scott einmal treffend so formuliert hat: "Wir haben nur Paradoxe anzubieten." Wir bewegen uns im Rahmen einer kulturellen Matrix, in der die Freiheit von Frauen strukturell nicht vorgesehen ist. In dieser Situation nach kohärenten feministischen Positionen zu suchen, ist sinnlos. Wir sind für und gegen Sexarbeit. Für und gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Für und gegen den Schutz der Familie. Für und gegen Quoten. Für und gegen Reproduktionstechnologien. Für und gegen Mikrokredite als Lösung für ehemals kolonialisierte Länder. Für und gegen Abtreibung. Für und gegen Schminken, für und gegen High Heels. Die Liste lässt sich endlos weiter führen. 

Keine dieser Fragen lässt sich so auflösen, dass die eine Seite recht hat und die andere unrecht, jedenfalls nicht, wenn man die Freiheit der Frauen zum Maßstab nimmt. Denn nach diesem Maßstab sind schon die Fragen falsch gestellt. Es gibt keine richtigen feministischen Positionen in einer falschen symbolischen Ordnung, ließe sich Adorno paraphrasieren. Und deshalb kann die Frauenbewegung auch nicht, wie andere soziale Bewegungen, in Parteien und Vereinen organisiert werden. Deshalb ist jedes feministische Manifest in kürzester Zeit schon wieder überholt. Zum Glück. Denn das Schlimmste, was dem Feminismus passieren kann, ist, dass er Orthodoxien ausbildet, anstatt seine Paradoxien anzuerkennen.

Manchmal gibt es für komplizierte Probleme einfache Lösungen. Ein wahres Wundermittel, um die Gefahr einer feministischen Orthodoxie zu durchbrechen, ist der Satz: "Da bin ich vollkommen anderer Meinung als du." Er ist ein Wundermittel, weil er einerseits Differenzen markiert, andererseits aber die Gegenposition nicht auslöscht. Sondern den Weg zu einem Konflikt eröffnet, bei dem vielleicht, wenn er erst mal ausgetragen ist, hinterher alle schlauer sind (und dann vermutlich neue Dinge zum Streiten finden). 

Eine andere schöne Übung ist das, was ich mal an der Uni in einem Seminar über hegelsche Dialektik gelernt habe: Wir mussten politische Texte kommentieren, ohne darüber zu urteilen, ob sie "wahr" oder "falsch" sind, ob wir mit ihnen übereinstimmen oder nicht. Sondern indem wir die Frage beantworteten: Was ist das Wahre daran? Und: Was ist das Falsche daran? 

Es gibt nur wenige Positionen, die im Rahmen einer ernsthaften feministischen Debatte vertreten werden, an denen sich überhaupt nichts Wahres oder überhaupt nichts Falsches finden lässt. Und so klein der Anteil des Wahren auch sein mag, es ist viel lohnender, die Aufmerksamkeit auf dieses Fünkchen Wahre zu richten, zumal, wenn es neue Aspekte enthält, anstatt ausschließlich das Falsche herauszustreichen und es vielleicht sogar noch zum Zweck seiner Skandalisierung größer zu machen, als es ist.

Als Feministinnen haben wir nur Paradoxien anzubieten. Weil wir selbst in dieser Kultur, die Jahrtausende lang patriarchal war, ein Paradox sind – freie Frauen. Unsere Stärke liegt in unserer Uneinigkeit. Unsere Differenzen sind der Proviant, von dem wir zehren. 

Antje Schrupp ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Publizistin. Sie beschäftigt sich vor allem mit der politischen Ideengeschichte von Frauen. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". 


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10 nach 8
 
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Wir denken, dass diese Stimmen divers sein sollten. Wir vertreten keine Ideologie und sind nicht einer Meinung. Aber wir halten Feminismus für wichtig, weil Gerechtigkeit in der Gesellschaft uns alle angeht. Wir möchten uns mit unseren LeserInnen austauschen. Und mit unseren Gastautorinnen. Auf dieser Seite sammeln wir alle Texte, die 10 nach 8 erscheinen.