| | Tauben mögen Körner, die gibt's aber kaum in der Stadt. Zur Not nehmen sie eben mit Döner und alten Brötchen vorlieb. © Viktor Kern/unsplash.com |
Egal, ob Berlin, New York oder Tel Aviv – sie ist überall: die Taube. Und ich gebe es zu, ich kann sie nicht leiden. Sie kotet U-Bahn-Eingänge und Straßenecken zu, ist dreckig und kommt beim Frühstück im Straßencafé einfach immer zu dicht an den Teller gehüpft. Im Grunde ist sie ein hübsches Tier, runder Körper, schlanker Hals, Knopfaugen. Auch symbolisch hat die Taube was zu bieten: Sie verkörpert den Heiligen Geist, ist Sinnbild für Liebe, Treue und Frieden. Doch nützt ihr das alles im Alltag herzlich wenig. Auf meiner täglichen Joggingstrecke geht es über eine Brücke und jedes Mal, wenn ich dort vorbeikomme, sitzen da unglaublich viele Tauben. Dann heißt es Augen zu und durch – und bloß nicht einatmen, man will sich ja nichts einfangen. Letztens fand ich es so eklig, dass ich spontan die Richtung wechselte und einen anderen Weg nahm. In diesem Moment fragte ich mich: Woher kommt eigentlich meine Aversion gegen das Tier?
Tatsächlich hat mir meine Mutter von klein auf eingebläut, dass ich mich vor der Taube in Acht nehmen sollte. Sie selbst hat eine regelrechte Phobie. Fallen die ersten dicken Regentropfen, fasst sie sich ängstlich ins Haar, um sicherzugehen, dass es kein schleimiger Taubenkot ist. Über die Jahre habe ich ihre Abneigung internalisiert.
Und wir zwei sind nicht die einzigen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Mafo.de aus dem Jahr 2016 findet jeder Fünfte in Deutschland Tauben abstoßend. Frauen häufiger als Männer und die Jüngeren sowieso. Als ich kürzlich ein paar Freunde fragte, was sie von der Taube halten, rümpften fast alle angewidert die Nase. Eine Freundin trällerte Georg Kreislers Tauben vergiften im Park.
Das Problem, das wir mit Tauben haben: Es sind zu viele. In Berlin, der Stadt, in der ich lebe, sind es nach letzten Berechnungen um die 10.000 – ähnlich, wie in München, Hamburg oder Stuttgart. Weltweit sind es laut Experten an die 500 Millionen. Abermillionen Vögel also, die nicht mit hübschem bunten Federkleid auffallen, sondern das Graue in der Stadt widerspiegeln – und was grau ist, assoziieren wir automatisch mit Schmutz und Krankheit.
Tatsächlich ist die Taube weit mehr als ein lästiges Straßentier, das uns beim Joggen im Weg ist und Straßen vollkotet. Vielmehr zeigt sich an ihr, was passiert, wenn der Mensch sich in das Leben und die Fortpflanzung von Tieren einmischt. Denn dass sich Tauben in Städten derart vermehren, liegt nicht nur daran, dass sie von Natur aus anpassungsfähig und intelligent sind. Es ist vor allem die Schuld von uns Menschen: Wir selbst haben den Vogel über Jahrhunderte hinweg domestiziert. Die alten Ägypter haben damit angefangen, als sie Taubenkot zum Düngen nutzten. Die Römer hielten den Vogel dann vor allem, um ihn als Delikatesse zu verzehren – genau wie später die Österreicher. In Wien sollen Ende des 19. Jahrhunderts noch an die 750.000 Tauben pro Jahr im Bräter gelandet sein.
Unsere Straßentauben sind damit im Grunde nichts anderes als verwilderte Nutz- und Haustiere, die über Jahrhunderte darauf getrimmt wurden, Fleisch, Eier und Kot zu produzieren – und zwar ganzjährig. Heute sind Tauben bereits mit drei Monaten geschlechtsreif und haben bis zu sieben Bruten pro Jahr. Früher hätten wir uns über die Gebärfreudigkeit und große Anzahl der Tauben gefreut, jetzt empfinden wir sie als Problem. Die Zeiten ändern sich.
Unter der großen Taubenpopulation leiden die Tiere selbst am meisten: Eigentlich sind sie Körnerfresser, in den heutigen Städten ist Getreide jedoch rar und die Vögel sind zu Allesfressern konvertiert. Dass ihnen die vielen pappigen Brötchen, Dönerreste und Kuchenkrümel, die sie auf der Straße und im Mülleimer finden, nicht bekommen, zeigt ihr Kot, diese meist weißlich und grüne Flüssigkeit, die auch meine Mutter mal in den Haaren hatte. Wären die Tauben artgerecht ernährt, hätten sie dunklen und festen Stuhl. Aber durch Mangelernährung sind sie anfällig für Krankheiten und Parasiten, die weniger für den Menschen als für den Taubennachwuchs problematisch sind: Zwischen 80 und 90 Prozent der Jungtiere sterben im Nest.
Dass wir von dem "Massensterben" nichts mitbekommen, liegt daran, dass Tauben ihre Nester meist in Dachstiegen, Gebäudenischen, Gesimsen, Türmen, Brücken oder Bahnhofshallen bauen. Stirbt ein Vogeljunges, verwest es im Nest, ohne dass wir es bemerken. Die Tiere leben in Slums.
Das Tier zieht im Vergleich zu uns also definitiv den Kürzeren, und große Gefahr geht von ihm auch nicht aus: Eine Übertragung von Krankheitserregern durch freilebende Tauben auf den Menschen ist zwar möglich, aber unwahrscheinlich, wir schmieren uns ihren Kot schließlich nicht aufs Brot. Der Kontakt zu Haustieren birgt deutlich größere Gefahren. Auch die massenhafte Vermehrung des Vogels wäre in den Griff zu kriegen. Experten raten zum Beispiel zu betreuten Taubenschlägen, in denen die Eier der Tiere durch Gipsattrappen ersetzt werden. Auf diese Weise bekäme die Taube einen festen Schlafplatz, Futter, das ihr auch bekommt, und sie müsste nicht zusehen, wie ihre Jungen vor ihr sterben.
Vermutlich will nun nicht gleich jeder Taubenschützer werden. Wir müssen sie ja auch nicht lieben oder als neues Haustier adoptieren. Aber vielleicht denken wir beim nächsten Igitt-Moment daran, dass es dem Tier oft nicht gut geht, dass der Döner nicht sein Leibgericht ist und dass auch wir eine Mitschuld daran tragen, dass die Taube sich derart in unseren Städten ausbreiten konnte. Mal sehen, ob mir das bei meiner nächsten Joggingrunde gelingt.
Stella Hombach hat Kulturwissenschaften studiert und arbeitet als Redakteurin für das Onlinemagazin "Ihre Gesundheitsprofis" in Berlin. Nebenbei schreibt sie auch für Medien wie "Spiegel Online" oder den österreichischen "Standard". Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
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