| Trinkfreude und ihre (neuen) Grenzen
Schnell in den Kiosk, Limo oder Bierchen zischen – im Sommer eine super Idee. Weniger super ist allerdings, dass Tausende andere in der Stadt genauso denken. Das hat Folgen: Anwohner klagen über umherschweifende und cornernde Schluckspechte, die Vorgärten und Hauseingänge mit Toiletten verwechseln. Und Gastronomen klagen über diejenigen, die das Klosett zwar noch identifizieren können, jedoch den Club oder die Kneipe nur noch mit diesem Ziel aufsuchen – und zur kostengünstigen Verpflegung wieder Kurs nehmen auf den nächsten Kiosk. Auf dem Kiez und in der Schanze wird das Freiluftfeiern zum Problem, deshalb will Bezirksamtsleiter Falko Droßmann in Hamburg-Mitte nun Lösungen schaffen. Eine Gesetzesänderung soll her, oder gleich zwei: Im Gaststättengesetz könnte etwa verfügt werden, dass auch Läden, die Alkohol nur flaschenweise verkaufen, eine Gaststättenkonzession brauchen – womit Kiosk und Bar einander angeglichen würden. Und das Ladenschlussgesetz, das auch Supermärkte und Ähnliches betrifft, könnte ein befristetes und örtlich begrenztes Alkoholverkaufsverbot regeln, wie Bezirksamtssprecherin Sorina Weiland erklärt. »Manche kennen das noch: Früher, als man um 22 Uhr an die Tankstelle ging, gab es da kein Bier mehr.« Natürlich ist das Ganze nicht so einfach, wie es klingt. Gesetze ändert kein Bezirkschef, sondern das ist Bürgerschaftssache – wenn sich ein Abgeordneter des Themas erbarmt und einen Antrag stellt. Das Gerücht, Droßmann wolle sich zum Fototermin auf einen Kiosk stellen, um seine Entschlossenheit zu untermauern, blieb übrigens bislang ein Gerücht.
»Meine Figur bekommt immer wieder Gewalt ab«
Zwölf Stunden Seelenschmerz, Demütigung und Gewalt: Das erleben die Besucher – besser: Teilnehmer – des Theaterprojekts »Das halbe Leid« so direkt, als sei es echt. Die Produktion des Ensembles SIGNA für das Schauspielhaus soll das Leid erfahrbar machen und Empathie fördern. Für die Teilnehmer ist morgens alles überstanden. Die Darsteller durchlaufen die Grenzerfahrung Nacht für Nacht. Wie es ihr damit geht, erzählt die Schauspielerin Sonja Pikart im Interview. Elbvertiefung: »Das halbe Leid« läuft oft mehrere Nächte in Folge – wie halten Sie das aus? Sonja Pikart: Nicht so gut, wie ich dachte. Es ist schon sehr hart, was man der eigenen Seele für Signale schickt. Wir spielen zwölf Stunden, dann haben wir zwölf Stunden frei. In dieser Zeit schläft man – das heißt, wir sehen dann nie die Sonne. Aber wir sind ein gutes Team und fangen uns gegenseitig gut auf – auch wenn wir nur wenige Stunden am Tag außerhalb der Rolle miteinander verbringen. EV: Ihre Figur Pamela wird körperlich angegriffen und gedemütigt. Gab es vor der Produktion Übungen, um sich psychisch zu wappnen? Pikart: Nein. Ich glaube, das ist gar nicht möglich. Natürlich weiß man vorher, dass es nicht einfach wird. Aber dann kommt die Realität dazu und erzählt einem noch mal eine andere Geschichte. Es gibt kein Skript, wir improvisieren und reagieren auf alles. Was diese Arbeit bedeutet, merkt man erst, wenn man sie macht. EV: Zurück zum Stück: Pamela wurde von ihrem Vater misshandelt, ihre Mutter haute ab, als sie drei war. Sie hat nie geschafft, sich aus dem Elend zu befreien … Pikart: Also findet sie sich ab mit ihrer Situation. Sie lebt sehr in der Gegenwart und denkt wenig über Vergangenheit oder Zukunft nach. Das liegt auch an ihrer Psychose. Pamela fürchtet ständig, sie werde abgehört oder jemand nehme ihr etwas weg. Deshalb glaubt sie, sie dürfe ihre eigenen Gedanken gar nicht denken. Für mich, die ich geistig gesund bin, ist das eine schlimme Vorstellung. EV: Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet? Pikart: Ich habe sehr viel zu Psychosen und zu Obdachlosigkeit recherchiert. Aber das reicht nicht, man muss an sich selbst herangehen. Bei den Proben haben wir uns deshalb auch gefragt: Was ist mein Leid im Leben? Damit muss man sich auseinandersetzen, wenn man so etwas spielen will. EV: Das ist eine sehr intensive Vorbereitung. Welche Momente im Stück haben Sie besonders getroffen? Pikart: Meine Figur bekommt immer wieder Gewalt ab. Trotzdem hält sie an dem Glauben fest, dass Menschen sich ernsthaft entschuldigen und auch mal etwas Gutes tun. Das hat mich sehr beschäftigt, weil ich dachte: Das verrät viel über unsere Gesellschaft, dass die gutmütigen Menschen oft ganz unten landen, wo ständig nach ihnen getreten wird. EV: Die Teilnehmer des Stücks erleben alles aus nächster Nähe mit. Welche Wirkung hat das? Pikart: Die meisten lassen sich darauf ein. Das hätte ich vorher nicht erwartet. Viele machen die Nächte mit uns durch, zeigen sich solidarisch und trösten uns. Aber es gibt auch immer wieder welche, denen das alles zu viel ist. Einige brechen dann ab. Manche machen sich auch über uns lustig. Das ist für uns als Darsteller sehr anstrengend. Man versteht ja, dass das nur die Unsicherheit ist, aber trotzdem muss man damit umgehen. EV: Wie verändert das Stück Sie selbst? Pikart: Ich kann an Obdachlosen nicht mehr einfach so vorbeigehen. Oft heißt es: Der ist ja selber schuld. Aber geht es denn überhaupt um Schuld? Nicht jeder Mensch ist zu jedem Zeitpunkt so stark, dass er immer die richtigen Entscheidungen trifft.
Hoch, höher, Holz
Hamburg wird wieder einen Rekord reicher: Am Baakenhafen in der HafenCity soll Deutschlands höchstes Holzhaus entstehen. Bislang sieht die neue Bauordnung bei Holzhäusern nur fünf bis sieben Geschosse vor, Stichwort Brandschutz, und selbst das hat die Bürgerschaft noch nicht abgesegnet. Die »Wildspitze« soll nun sogar 18 Stockwerke emporragen – sofern die Baubehörde den Entwurf im Baugenehmigungsverfahren durchgehen lässt. Als Prestigeobjekt zählt der Bau trotzdem, nicht nur aufgrund der schieren Höhe: Holz gilt als Baustoff der Zukunft, weil nachwachsend. Zudem lassen sich die Holzbauteile vorfertigen und flugs montieren – das spare Kohlendioxidemissionen, verkündeten die Planer und Bauherren, unter ihnen neben der Hamburger Garbe Immobilien-Projekte GmbH und den Hamburger Architekten Störmer Murphy and Partners auch die Deutsche Wildtierstiftung. »Mit der ›Wildspitze‹ bringen wir die Natur und ihre Wildtiere in die Stadt«, kündigte deren Vorstand Fritz Vahrenholt an. Keiler am Kai also und Wolfsrudel im Lohsepark? Nein. In den Obergeschossen des Holztowers ist auch kein Insektenhotel geplant, sondern die Stiftungsbüros. Aber weiter unten sollen eine multimediale Wildtierausstellung und Deutschlands erstes Naturfilmkino entstehen. Zwischendrin: Wohnungsbau, ein Drittel öffentlich gefördert. Beispielhaft also für das moderne Quartier Elbbrücken – und eine Bereicherung für ganz Hamburg, wie HafenCity-Geschäftsführer Jürgen Bruns-Berentelg findet. Nun gilt es – neben anderen baurechtlichen Details – nur noch sicherzustellen, dass die gläserne Fassadenhaut genügt und nicht eines Tages die Hütte brennt. | |
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