Fünf vor 8:00: Frieden schaffen mit Putins Waffen? - Die Morgenkolumne heute von Matthias Naß

 
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 FÜNF VOR 8:00
04.01.2017
 
 
 
 


 
Frieden schaffen mit Putins Waffen?
 
Erst Bomben auf Aleppo, dann Verhandlungen über Syriens Zukunft: Russland, die Türkei und der Iran führen die westliche Diplomatie vor. Mit welchen Chancen auf Erfolg? 
VON MATTHIAS NASS

Militärisch, lautete fast sechs Jahre lang das Mantra der westlichen Diplomatie, ist der Krieg in Syrien nicht zu gewinnen. Es kann nur eine politische Lösung geben. Der Satz bleibt richtig, auch wenn Wladimir Putin gerade das Gegenteil zu beweisen scheint.

Die russische Luftwaffe hat gemeinsam mit den Flugzeugen und Helikoptern Baschar-al Assads den Osten Aleppos in Grund und Boden bombardiert. Doch nur wenige Tage darauf verabredeten Assad und mehrere Rebellengruppen eine Waffenruhe, die für ganz Syrien gelten soll. Garantiemächte der Vereinbarung sind Russland, die Türkei und der Iran. Vergangenen Freitag um null Uhr trat die Feuerpause in Kraft.

Man muss sich die Tragweite dieses Geschehens vor Augen führen. Als sich kurz vor Weihnachten der russische, der türkische und der iranische Außenminister in Moskau trafen, war einer nicht dabei, der in den vergangenen Jahren bis zur Erschöpfung um eine friedliche Lösung für Syrien gerungen hat: US-Außenminister John Kerry. Die Vereinigten Staaten waren nicht einmal konsultiert worden.

Nicht eingeladen war auch Staffan de Mistura, Chefunterhändler der Vereinten Nationen, der gerade zu einer neuen Runde der Friedensgespräche für den 8. Februar nach Genf eingeladen hatte. Stattdessen kündigten Putin und sein Außenminister Sergej Lawrow Friedensverhandlungen in der kasachischen Hauptstadt Astana für Mitte Januar an.

Geradezu genüsslich zeigt der Kreml den Amerikanern die Grenzen ihrer Macht auf. "Inmitten eines schwierigen Machtübergangs in Washington hat Mr. Putin die Vereinigten Staaten wirkungsvoll marginalisiert und sich in die Position des beherrschenden internationalen Spielers in Syrien manövriert", kommentiert die New York Times mit grimmiger Anerkennung.

Dies sind bittere Tage für die westliche Diplomatie. Und trotzdem muss sie, müssen wir alle, der "Moskauer Erklärung" jeden Erfolg wünschen. Es ist ja nicht auszuschließen, dass die drei selbst ernannten Garantiemächte eine Formel finden, die den Weg zum Frieden ebnet.

Russen, Türken und Iraner scheinen sich über informelle Einflusszonen in Syrien verständigt zu haben. So könnten sie ihre unterschiedlichen, einander zum Teil direkt widersprechenden Interessen im Lande miteinander in Einklang bringen. Auch sind sie offenbar übereingekommen, dass Assad bis zur nächsten Präsidentschaftswahl im Amt bleiben kann, um dann durch einen anderen Vertreter des Regimes abgelöst zu werden.

Die Vereinten Nationen versuchen, gute Miene zum russisch-türkisch-iranischen Machtspiel zu machen. Der Sicherheitsrat verabschiedete am Silvestertag eine Resolution, in der die Feuerpause unterstützt und das geplante Treffen in Astana als "wichtiger Schritt" hin zu den Genfer Verhandlungen begrüßt wird. Diplomaten müssen so etwas können.

In Wahrheit ist die Skepsis groß, ob den drei Regierungen gelingt, was alle anderen sechs Jahre lang nicht geschafft haben. Schon stellen die ersten Rebellengruppen ihre Teilnahme an den Friedensverhandlungen wieder infrage, weil das Assad-Regime die Waffenruhe nicht einhalte. Andere Gruppen, wie die islamistische Dschabhat Fatah al-Scham, der syrische Ableger von Al-Kaida, oder die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) waren von den Gesprächen ohnehin ausgeschlossen – die einen auf russischen, die anderen auf türkischen Wunsch.

Ohne Amerika wird der IS nicht zu besiegen sein

Vor allem aber bleiben die Spannungen zwischen den drei "Garantiemächten" selbst. So haben Teherans Revolutionsgarden gemeinsam mit schiitischen Milizen aus dem Irak und mit der libanesischen Hisbollah die Assad-Herrschaft mit aller Brutalität verteidigt. Der Iran wird den so errungenen Einfluss in Syrien zu wahren wissen, ganz egal welche Kompromisse Moskau und Ankara bei der Verteilung der Macht verlangen werden.

Dann sind da noch die Golfstaaten Saudi-Arabien und Katar, die nicht einfach tatenlos zuschauen werden, wie die von ihnen unterstützten Rebellengruppen von Assads Militär mit russisch-iranischer Unterstützung und türkischer Duldung ausgelöscht werden.

Und schließlich ist auch der Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) noch lange nicht gewonnen. Und der wird von einer internationalen Koalition geführt, an deren Spitze nach wie vor die Vereinigten Staaten stehen. Ohne Amerika wird der IS nicht zu besiegen sein.

Hier nun macht der bevorstehende Machtwechsel in Washington neue Allianzen denkbar. Donald Trump hat, erstens, dem Kampf gegen den IS in seiner Außen- und Sicherheitspolitik oberste Priorität eingeräumt; er will, zweitens, das Verhältnis zu Moskau verbessern. Syrien könnte zum Testfall werden, welche "Deals" zwischen Amerika und Russland möglich sind.

Aber auch wenn die Autokraten Putin und Erdoğan mit Trump einen Partner bekommen, der schierer Machtpolitik mehr abgewinnt als demokratischer Selbstbestimmung, Frieden kann man nicht herbeischießen, es gibt ihn nicht ohne ein Mindestmaß an Gerechtigkeit und Menschlichkeit.

Beide aber, die Menschlichkeit und die Gerechtigkeit, sind in Aleppo gestorben. Deshalb die Skepsis, ob sich mit Putins Waffen Frieden schaffen lässt.


 
WEITERFÜHRENDE LINKS
NEW YORK TIMES  Russia, Iran and Turkey meet for Syria talks, excluding U.S.
FAZ  Nach dem Kuhhandel von Aleppo
NPR  Syrian Rebel Factions Say They're Freezing Participation In Peace Talks



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