Sonderausgabe zu den Wissenschaftspakten

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
so viel Dramatik kennt man sonst eher aus Brüssel, wenn die 28 Staats- und Regierungschefs mal wieder über Nacht Europa retten müssen. Am Freitag stand mit den Entscheidungen zu den drei großen Wissenschaftspakten in Berlin die künftige Bund-Länder-Finanzierung für Hochschulen und Forschungsinstitute auf dem Spiel. Bis zuletzt war das Ende des Verhandlungskrimis offen, ein Scheitern sehr wohl möglich. Jetzt ist die Kuh vom Eis: Die Milliarden von Euros für die Wissenschaft fließen weiter. Worauf sich die Politik geeinigt hat, wer davon am stärksten profitiert, wie die Wissenschaft das findet und worum es jetzt gehen muss, erfahren Sie nachfolgend (Das ist Wichtig; Standpunkt), und im c.t. sehen Sie seltene Bilder: Minister mit nächtlichem Gewinnerlächeln und einen Staatssekretär im Dechiffrier-Einsatz.   
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Drei Pakte für die Wissenschaft
Nach gut einem Jahr zäher Verhandlungen haben sich Bund und Länder in der Nacht zum Freitag auf ein 160-Milliarden-Euro-Paket für die Wissenschaft verständigt. Bis zum Jahr 2030 werden alle drei Wissenschaftspakte langfristig fortgeführt. Zwei von ihnen, der Hochschulpakt und der Qualitätspakt Lehre, werden komplett auf Dauer gestellt, in entscheidenden Punkten inhaltlich neu ausgerichtet – und firmieren dementsprechend unter neuem Namen.
 
Pakt 1: Aus dem Hochschulpakt wird ab 2021 der „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“. Anders als sein Vorgänger zielt er nicht auf den Aufbau neuer Studienplätze, die Milliarden sollen die Qualität von Studium und Lehre an Hochschulen verbessern. Dafür geben Bund und Länder zusammen zwischen 2021 und 2023 jährlich 3,76 Milliarden Euro und ab 2024 dann 4,1 Milliarden Euro aus. Die Finanzierung teilen sich Bund und Länder je zur Hälfte.  
 
Pakt 2:  Da die Hochschulen die politisch gewollten Qualitätsverbesserungen in der Lehre künftig also über die Milliarden aus dem „Zukunftsvertrag“ finanzieren sollen, wird der Nachfolger des Qualitätspakts Lehre ab 2021 für „Innovation in der Hochschullehre“ zuständig sein. 110 Millionen Euro stellt der Bund dafür jährlich bereit, die Länder steigen ab 2024 mit jährlich 40 Millionen Euro in die Finanzierung des Fördertopfs ein. Organisiert werden soll die wettbewerbliche Zuschussvergabe über eine Trägereinrichtung, die selbstständig, aber unter dem Dach einer bestehenden Wissenschaftsorganisation agieren soll.
 
Pakt 3: Summiert sich das Finanz-Volumen dieser ersten beiden Vereinbarungen für Studium und Lehre an Hochschulen bis zum Jahr 2030 auf 41 Milliarden Euro, stellen Bund und Länder im gleichen Zeitraum rund 120 Milliarden für die vier großen außeruniversitären Wissenschaftsorganisationen (Helmholtz, Max-Planck, Leibniz, Fraunhofer) und die DFG bereit. Deren Budgets werden bis 2025 um jährlich 3 Prozent steigen. Anders als seine Vorgänger wird der neue Pakt für Forschung und Innovation mit Zielvereinbarungen und einem „wissenschaftsadäquaten Controlling“ begleitet.
 
Informationen zu den Paktbeschlüssen aus erster Hand finden sich auf den Seiten der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz und des Bundesforschungsministeriums.
 
Einen Überblick über das nationale Medienecho bietet die folgende Link-Auswahl: Tagesschau, Handelsblatt, Tagesspiegel, FAZ, taz, ZEIT Online, Spiegel Online, Wiarda-Blog
  
 
 
Der Kompromiss Gewinner und Verlierer
In ihrer langen Nacht der Wissenschaftsfinanzierung haben Forschungs- und Bildungspolitiker in direkter Rückkopplung mit der Finanzpolitik einen Kompromiss gefunden, der sich vor allem dadurch auszeichnet: Es gibt sehr viele Gewinner und keine wirklich eindeutigen Verlierer. Die größte Schnitte machen die Helmholtz-Gemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft und die DFG – mit einer Budgetgarantie bis 2030 und einem jährlichen Etat-Plus von 3 Prozent. Das ist ein klares Bekenntnis für die Forschung. Die Lehre bekommt ab 2024 zwar auch mehr Geld über den Zukunftsvertrag, allerdings nicht so viel wie erhofft und nach heutiger Beschlusslage eben auch nur einmalig. Dass die Lehre in der Wissenschaft die zweite Geige spielt, belegt der Fördertopf „Innovation in der Hochschullehre“. Statt der ursprünglich 200 Millionen Euro enthält er lediglich 150 Millionen Euro. Der politische Kampf um bessere Studien- und Lehrbedingungen geht weiter und verlagert sich nach dem Kompromiss in die Ziel-Verhandlungen, die die Länder mit den Hochschulen führen. Gleiches gilt für das Ringen von Gewerkschaften und Mittelbau-Initiativen für eine Entfristungsoffensive in der Wissenschaft. Sie sind dem ersehnten Ziel nach planbareren Beschäftigungsverhältnissen nicht nähergekommen. Ein bisschen mehr Sicherheit hat nach dem Kompromiss dagegen Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. Die zuletzt selbst in der eigenen Partei unter Druck geratene CDU-Politikerin hat sich mit dem Verhandlungsabschluss Luft verschafft und ist damit die politische Gewinnerin Nummer 1.
  
 
 
Die Reaktionen – viel Lob und vereinzelte Kritik
So viel Lob ist selten. Nahezu unisono begrüßen die Wissenschaftsorganisationen die Berliner Paktentscheidungen. Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft und aktuelle Sprecher der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, Matthias Kleiner, bedankte sich via Pressemitteilung gar „von Herzen bei allen Mitgliedern der GWK“ und „ganz persönlich“ bei Bundesministerin Anja Karliczek und der GWK-Vorsitzenden, Bremens Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt. Von der HRK über den DAAD und den Wissenschaftsrat bis hin zum Stifterverband – sie alle bewerten die Einigung rundweg positiv. Umso auffälliger die wenigen kritischen Stimmen: Sie kommen von der GEW, der Jungen Akademie und dem Deutschen Hochschulverband. Während DHV-Chef Bernhard Kempen die Absage der Politik an einen jährlichen 3-Prozent-Aufwuchs auch bei der Bund-Länder-Hochschulfinanzierung für „enttäuschend“ hält, vermissen Christian Hof (Junge Akademie) und Andreas Keller (GEW) verbindliche Beschlüsse zu strukturellen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft.
  
   
   
   
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Die Zahl
 
 
   
 
   
 15.000
Unterschriften gegen den sogenannten „Befristungswahn“ und für „faire Arbeitsbedingungen“ in der Wissenschaft haben Vertreter der Gewerkschaften GEW und ver.di zusammen mit dem Netzwerk Gute Arbeit in der Wissenschaft der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz zum Start der Paktberatung übergeben. Begleitet wurde die Übergabe mit einer Protestaktion. Unter dem Motto „Wir haben nichts zu verlieren außer unseren Kettenverträgen!“ versammelten sich Wissenschaftler mit ihren Arbeitsverträgen in der Hand vor dem Bundesforschungsministerium (siehe c.t.). 
   
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Standpunkt
 
 
   
von Christine Prußky
   
 
   
Durchbruch
160 Milliarden Euro reservieren Bund und Länder bis zum Jahr 2030 in ihren Haushalten für die drei Wissenschaftspakte. Diese Summe und die damit verbundene Planungssicherheit für die Wissenschaft ist groß genug, um im europäischen Ausland eine gute Figur zu machen. Solch ein Signal ist wichtig im internationalen Wettbewerb. Doch so glänzend der Paktkompromiss auch ist, es gibt manche Schmuddelecke.
Dazu gehört das dramatisch schlechte Betreuungsverhältnis in den Hochschulen. Es zu verbessern, hat der Wissenschaftsrat schon mehrfach angemahnt. Steter Quell der Kritik ist die Personalpolitik, die Hochschulen und außeruniversitäre Institute als eine Frucht der Wissenschaftsautonomie selbst gestalten dürfen. Die Paktbeschlüsse geben ihnen nun die Planungssicherheit, die nötig ist, um als Arbeitgeber attraktiver zu werden. Andererseits erlauben die Vereinbarungen auch der Politik, den Hebel anzusetzen. Noch vor den Paktbeschlüssen am vergangenen Freitag hat die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von den Außeruniversitären Forschungeinrichtungen „Selbstverpflichtungen“ verlangt, die sie im Gegenzug zu den Pakt-Milliarden ab 2021 einhalten sollen. „So intensiv und ausführlich wie selten“ hätten sich die Außeruniversitären in den Gesprächen abgestimmt, sagt Helmholtz-Präsident Otmar Wiestler. Der Fokus bei Helmholtz:  eine „sehr konsequente Personalentwicklung“, die sich auch und gerade an junge Forscher richte. Nicht enthalten in der Helmholtz-Selbstverpflichtung ist dagegen eine Zielquote zur Entfristung.
So etwas auszuhalten und zu respektieren, gehört zur Wissenschaftsautonomie. Das Bekenntnis dazu haben Bund und Länder am Freitag mit ihren Beschlüssen erneut bekräftigt. Und nicht nur das: Sie widerstanden auch der Versuchung von Detailsteuerung. Das ist bemerkenswert, aber in Deutschland keine Sensation. Der hochschulpolitische Kracher der Paktentscheidung liegt darin: Der Bund steigt dauerhaft in die Grundfinanzierung der Hochschulen ein. Deshalb markiert der 3. Mai 2019 eine Zäsur. Sie macht jetzt vieles möglich.
   
 
   
 
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
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Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
c.t.
 
 
   
 
 
Pakt-Momente
Eins: Vor der GWK-Sitzung protestieren Forscher gegen Kettenverträge in Berlin (ganz oben).
Zwei: Nach der Paktentscheidung zeigen Minister ihr Siegerlächeln, Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn postet das Bild noch in der Nacht via Twitter (oben).
Drei: Während der Pressekonferenz am Freitagmittag muss BMBF-Staatsekretär Georg Schütte (rechts) helfen und die Feinheiten der Beschlüsse erklären.

Quelle: twitter.com / @NGA_Wiss; twitter.com / @angela_dorn: Foto: py
 
 
 
 
 
   
Kommen Sie gut in die Woche!

Ihr CHANCEN-Team


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