Fünf vor 8:00: Die große Klima-Simulantin - Die Morgenkolumne heute von Petra Pinzler

 
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FÜNF VOR 8:00
16.05.2019
 
 
 
   
 
Die große Klima-Simulantin
 
Die Bundeskanzlerin fordert eine ehrgeizige Klimapolitik – dabei ist es ihre Regierung, die auf ganzer Linie versagt. Das Verrückte ist: Angela Merkel kommt damit durch.
VON PETRA PINZLER
 
   
 
 
   
 
   

Sie hat es wieder getan. Wieder hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer internationalen Klimakonferenz über die Bedrohung der Erde gesprochen und versprochen, dass Deutschland klimaneutral wirtschaften werde – irgendwann in Zukunft. Also lange nach ihrer Zeit als Kanzlerin. Sie hat eine ehrgeizige Politik gefordert. Die Kinder der Fridays-for-Future-Demos gelobt. Und dann, wie so oft in den vergangenen Jahren, hat sie über konkrete Schritte geschwiegen. Als hätte das deutsche Versagen in der Klimapolitik nichts mit ihr, ihrer Regierung und ihrer Politik zu tun.
 
Das Verrückteste aber ist: Angela Merkel kommt damit durch, immer wieder und immer noch. Obwohl die Mehrzahl der Deutschen mit der Klimapolitik der Bundesregierung zunehmend unzufrieden ist, steigt die Popularität der Kanzlerin.
Was sagt das über Merkel, die Politik und das Land?
 
Am leichtesten ist die Merkel-Frage zu beantworten. Würde die Kanzlerin ihre Strategie jetzt noch ändern und ihre internationalen Versprechen tatsächlich zum Maßstab der deutschen Umweltpolitik machen, ginge sie ein hohes Risiko ein. "Merkel fordert eine CO2-Steuer, das Ende der Massentierhaltung, Steuern auf Flugbenzin, das schnelle Ende der Kohle": Solche Nachrichten wären in Teilen ihrer eigenen Partei höchst unpopulär. Die Kanzlerin müsste noch mal richtig kämpfen. Macht Merkel hingegen so weiter wie bisher, werden zwar ein paar Umweltjournalisten immer mal wieder kritisieren, dass die einstige Klimakanzlerin ihre Ziele verraten hat. Für die meisten tonangebenden Politikjournalisten aber ist das bestenfalls eine Fußnote, weil auch ihnen die Klimakrise schlicht auf die Nerven geht.
 
Von Fridays for Future eiskalt erwischt
 
Interessanter sind die Folgen von Merkels klimapolitischem Versagen für ihre Partei, denn die muss ja langsam eine Strategie für die Nach-Merkel-Zeit entwickeln. Und da zeigt sich: Die CDU wurde von der Fridays-for-Future-Bewegung eiskalt erwischt. Die Christdemokraten hatten wohl schlicht gehofft, dass der Klimawandel nie wahlkampfrelevant würde – oder zumindest nicht so schnell. Nun müssen sie zugeben: Sie haben beim Klimaschutz keine überzeugende Haltung, wenig Ideen und noch weniger kompetente Leute.
 
Da zudem die Wirkung der wählersedierenden Merkel-wird-es-schon-richten-Droge auf den Rest der CDU immer mehr nachlässt, wird die Sache nun zum echten Problem der potenziellen Kanzlererbin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK). Denn die hat in der Klimapolitik bisher zwar wenig anders gemacht als Merkel, nur eben nicht so gut. Mal gesteht sie verblüffend ehrlich, die CDU habe sich wohl nicht genug um den Umweltschutz gekümmert. Kurz darauf lehnt sie die CO2-Steuer ab, um auch das dann wieder zu relativieren.
 
Nun könnten einem die Sorgen von CDU und AKK ziemlich egal sein, schadeten sie nicht auch dem Land und der Glaubwürdigkeit der Politik. Solange beide den Klimawandel vor allem als lästige Angelegenheit betrachten, über die man maulen darf, stärken sie nämlich die Populisten. Die maulen noch besser, beispielsweise über die Fehler der Energiewende; sie bedienen Ressentiments, etwa gegen Vegetarier, viel brutaler; und sie können Realitäten wie dem Klimawandel einfach mit mehr Ignoranz begegnen.

Darüber hinaus speist die Verweigerung der CDU auch den Frust vieler bürgerlicher Wähler. Denn die wollen, dass endlich etwas passiert, dass sich die CDU auf ihre alte Stärke besinnt, das kluge und sozialverträgliche Management von Problemen. Doch diese Regierung, in der die Christdemokraten die Mehrheit stellen und die nun schon über ein gutes Jahr an der Macht ist, hat klimapolitisch nichts auf die Beine gestellt. Null. Zero. Stattdessen hat sie nur Politik suggeriert. Der Kohleausstieg ist bisher nichts als eine Idee einer Kommission; das Klimakabinett tagt, aber damit hat sich die Sache dann auch; und beim Verkehr sieht es zappenduster aus.
 
Man arbeite an Konzepten, heißt es, und in der SPD, das muss man lobend erwähnen, arbeitet auch wirklich eine Menge Leute daran – nur eben wirkungslos, weil CDU und CSU fast jede Idee blockieren, kaum dass sie geboren ist. Wer Politik also an dem misst, was rauskommt, und das tun immer noch viele Wähler, der muss feststellen: Diese Groko kriegt es nicht hin. Jedenfalls nicht in der Klimapolitik. Und das ist schlecht für das Land.
 
Wer denkt an die Zukunft?
 
Sollten sie es also besser bald lassen und Merkel schnell aus dem Amt werfen? Immer häufiger hört und liest man das dieser Tage und möchte spontan zustimmen. Nur leider ist das sehr kurz gedacht. Denn im Klimaschutz zählt jeder Tag. Je früher der Ausstoß von CO2 reduziert wird, desto besser und leichter wird die Sache. Deshalb ist es eminent wichtig, dass CDU, CSU und SPD im Klimaschutz doch noch etwas etwas hinbekommen – bevor ihre Zwangsehe kracht. Denn dann werden wieder Monate ins Land gehen, mit Wahlen, Regierungsbildung und so weiter.
 
Wahrscheinlich ist es nur pure Fantasie: Aber was wäre denn, wenn Merkel doch noch einmal einen Fukushima-Moment hätte? So wie sie einst den flotten Ausstieg aus der Atomkraft gestemmt hat, könnte sie den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter angehen. Wenn es klappt, dann stände sie damit wirklich für alle Zeiten in den Geschichtsbüchern. Wenn nicht, dann wissen die Wähler wenigstens, welche Partei nicht an die Zukunft denkt.

 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.