Freitext: Teresa Präauer: Boom, Boom, Boom, Boom

 
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01.06.2019
 
 
 
 
Freitext


 
Boom, Boom, Boom, Boom
 
In Österreich ist Ibiza noch nicht zu Ende: Auf dem Wiener Ballhausplatz spielten die Vengaboys den Soundtrack zur Regierungskrise.
VON TERESA PRÄAUER

 
Boom, Boom, Boom, Boom © Lukas Huter/Apa/dpa/dpa
 

Dieser Artikel ist erschienen auf unserer Schriftstellerplattform "Freitext". Hier finden Sie alle Artikel.


Als der Herr Strache am 18. Mai als Vizekanzler der Republik Österreich und als Parteiobmann der FPÖ zurücktrat, fragte er in einer wesentlichen Passage seiner vorerst letzten offiziellen Rede, "wer diese Netzwerke sind und welche Rolle auch der Herr Böhmermann in diesem Zusammenhang spielt".
 
Die Frage wies ihn als Staatsmann aus, der die Zusammenhänge kennt: Die angesprochenen Netzwerke sind, wenn nicht die sozialistischen, so doch die "sozialen", die er selbst stets gut zu bedienen wusste, und der inkriminierte Herr Böhmermann könnte tatsächlich mit Folgendem in Zusammenhang gebracht werden: Ein Revolutionslied der proeuropäischen Lobbygruppe Vengaboys, agierend im Fahrwasser des Eurotrash, ist auf Platz eins der österreichischen Streamingcharts gelandet, nachdem Jan Böhmermann am 17. Mai We’re going to Ibiza auf Twitter gepostet und die politischen Ereignisse des kommenden Tages vorweggenommen hat.
 
Der Zusammenhang von Politik und Satire lässt sich an dieser Stelle nicht erschöpfend ausführen. Es sei bloß noch einmal daran erinnert, dass Heinz-Christian Strache selbst gerne in den sozialen Medien mit dem Begriff Satire operierte. Wenn er beispielsweise den öffentlich-rechtlichen Rundfunksender ORF wortwörtlich der Verbreitung von Lügen statt Nachrichten bezichtigte und seinen Schenkelklopfer gleich noch bebilderte mit einem Foto des Fernsehjournalisten Armin Wolf. Er hatte dabei freilich nichts als die Meinungsvielfalt im Blick, und die wird zuverlässig gewährleistet, wenn man auch mal konkrete Adressaten nennt. Damit die interessierten Leserbriefschreiber wissen, an wen sie ihre Beiträge zum demokratischen Diskurs zu richten haben.
 
Während nun der "Vengabus", befördert von einem Sattelschlepper, auf Österreich zugerollt kam und zu diesem Zwecke die Balkanroute in die entgegengesetzte Richtung nahm, nämlich von Bayern aus über die Autobahn, passierten hierzulande viele Dinge gleichzeitig. Österreich hat eine neue Bundeskanzlerin, die erste in der Geschichte der Republik, wenn auch nur bis zur nächsten Wahl im Herbst. Sie heißt Brigitte Bierlein, und wer sie in den aktuellen Nachrichten des ORF bereits sprechen gehört hat, verkneift sich Wortspiele mit ihrem Namen. Aber ja, in einem siebenstündigen privaten Gespräch im Urlaub und, ja, unter Ausnutzung einer zunehmenden Alkoholisierung und, ja, es war eine b'soffene G’schicht, und, ja, in einer intimen Atmosphäre, da wäre man leicht dazu verleitet, auch unreflektiert und mit lockerer Zunge über alles und jedes einen Witz zu reißen. Der Reim auf Wodka-Red-Bull ergibt dann wieder nur null und eben nicht den Namen des Herrn Strache.
 
Was passierte außerdem? Der Herr Kurz wurde durch einen Misstrauensantrag seiner Funktion als Bundeskanzler enthoben. Der Herr Bundespräsident Van der Bellen setzte einen Herrn, dessen Namen man sich für die paar Tage erst gar nicht merken musste, als Übergangskanzler ein. Und alle lobten unisono die Weisheit und Voraussicht der beinahe hundert Jahre alten österreichischen Bundesverfassung. Auf der Wiener Ringstraße wurden zur selben Zeit überlebensgroße Porträtfotos von Holocaust-Überlebenden ausgestellt. Nach dreimaliger Zerstörung nähten hilfsbereite Passanten die Gesichter wieder zusammen. Bis zum Abbau der Ausstellung sorgen nun die Muslimische Jugend, die Katholische Jugend, die Caritas und eine Künstlergruppe im Rahmen einer "Mahnwache" Tag und Nacht für deren Fortbestand. Der Herr Oberrabbiner Schlomo Hofmeister besuchte die muslimischen Fastenbrecher und versorgte sie, laut Facebook, "mit Minztee und veganem Essen". 


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