Berlin hat mal wieder ein über die Stadtgrenzen hinausreichendes Empörungsthema: feste Stehplätze für Drogendealer im Görlitzer Park. Solche Zonen im Görli hat jedenfalls der Parkmanager empfohlen, der dort seit 2016 eingesetzt ist.
Seit Jahren streiten die Berliner Politik und die örtlichen Sicherheits- und Gesundheitsbehörden darüber, wie sie mit der offenen Drogenszene im Görli umgehen sollen. Auf dieser lang gezogenen Grünfläche im Stadtteil Kreuzberg bieten Dealer ungeniert ihre Ware feil, in der Regel weiche Rauschmittel wie Cannabis und Marihuana, manchmal aber auch härtere Drogen. Nachbarn und Passanten fühlen sich belästigt, wenn sie an diesem Händlerheer vorbeispazieren müssen.
Die Stadt hat gegen die Dealer keine klare Strategie. Mal wird der Handel stillschweigend geduldet, mal eine Null-Toleranz-Linie exekutiert. Dann greift die Polizei mit Razzien und Verhaftungen hart durch. Seit 2015 ist sogar der Besitz kleinster Mengen von Cannabis strafbar. Doch der Drogenhandel floriert, keine Maßnahme scheint ihn in den Griff zu bekommen.
Rosarote Drogenzonen
Damit sich Spaziergänger, Anwohner und die im Görli herumtobenden Kinder weniger gestört fühlen, hat der Parkmanager nun vorgeschlagen, den Drogenhandel im Park in feste Zonen zu verbannen. Mit rosaroter Farbe würde er gerne eine Handvoll kleiner Flächen umranden, auf denen jeweils bis zu zwei Dealer Platz fänden und ihren verbotenen Geschäften nachgehen könnten.
Die Empörung folgte auf dem Fuß. Die Drogenbeauftragte des Bundes, Marlene Mortler, spricht von einem "Freibrief zum Handel", die Berliner CDU von einer "Einladung zum Rechtsbruch" und einer "Kapitulation vor den Verbrechern". Schützenhilfe erhält der viel gescholtene Parkmanager nur vom grünen Baustadtrat Florian Schmidt. Man könne die Drogengeschäfte nicht immer nur in andere Gegenden verdrängen, sagt er, sondern müsse "mit den Realitäten vor Ort umgehen".
Irgendwie haben beide Seiten recht. Einerseits wird ziemlich tatenlos zugeschaut, wie im Görli am laufenden Band gegen das Strafgesetzbuch verstoßen wird. Andererseits werden Verkauf und Besitz weicher Drogen von vielen Menschen nicht als ein strafwürdiges Verhalten gesehen.
Das Verlangen ist unausrottbar
Hinter dem Streit um den Görli liegt ein ganz grundsätzliches Problem: Es gibt Dinge, gegen die, selbst wenn sie verboten sind, kein Kraut gewachsen ist – egal wie sehr sich Politik, Sicherheitsbehörden und Teile der Gesellschaft auf den Kopf stellen. Warum? Weil das Verlangen nach diesen Dingen zu groß und unausrottbar ist.
Es geht dabei nicht nur um Cannabis, sondern zum Beispiel auch um die Droge Alkohol oder um käuflichen Sex. Der Handel damit hat immer auch unerfreuliche Seiten. Doch werden die Geschäfte mit Alkohol, Cannabis und Sex gesellschaftlich und damit auch rechtlich sehr unterschiedlich bewertet und behandelt. Berlin und viele andere Metropolen – nicht nur in Deutschland – bieten für diese Widersprüche reichlich Anschauung.
Der Markt ist zu stark
Wer zum Beispiel an einem lauen Sommertag durch einen Stadtpark läuft, trifft andauernd auf Gruppen, die Alkohol trinken, oft in rauen Mengen. Es wird gelärmt, Flaschen werden stehen gelassen, Glassplitter liegen herum, überall türmt sich der Unrat. Anwohner und Spaziergänger fühlen sich gestört.
Wie der übermäßige Genuss von Cannabis führt auch der übermäßige Genuss von Alkohol zu Abhängigkeit, zu schweren Gesundheitsschäden, zum möglichen Verlust von Arbeitsplatz und sozialen Bindungen, er zerstört Freundschaften, Familien, Ehen. Doch anders als etwa Cannabis ist Alkohol eine allgemein akzeptierte und erlaubte Gesellschaftsdroge. Für Alkohol darf geworben werden, er wird rund um die Uhr öffentlich verkauft – und bis zum Umfallen öffentlich konsumiert. Nur halbherzig werden die Vorschriften des Jugendschutzes durchgesetzt.
Prostitution ist ebenfalls in Deutschland erlaubt, jedenfalls wenn sie einvernehmlich unter Erwachsenen stattfindet. Berlin hat hier besonders freizügige Regeln, in der Hauptstadt gibt es so gut wie keine Sperrgebiete. Im Ortsteil Tiergarten des Bezirks Berlin-Mitte, wo der Autor dieser Zeilen lebt, und im Stadtteil Schöneberg etwa dürfen Prostituierte ihre Dienste offen auf der Straße anbieten, selbst in unmittelbarer Nachbarschaft zu Schulen und Krankenhäusern.
Im Verborgenen exzessiv
Auch im Umfeld des Straßenstrichs kommt es immer wieder zu Reibereien mit Anwohnern und Passanten, weil die Freier mit ihren Autos die ganze Nacht lang durch die Straßen kurven, weil gebrüllt wird, weil Kondome, leere Kaffeebecher und Pommestüten in die Gegend geschmissen werden.
Aber niemand käme auf die Idee, den Alkoholkonsum oder den Kauf von Sex grundsätzlich unter Strafe zu stellen. Das würde auch wenig Sinn machen. In den USA etwa ist der Verkauf von Alkohol an Menschen unter 21 Jahren fast überall untersagt. Untersuchungen zeigen jedoch, dass jüngere Menschen im Verborgenen besonders exzessiv trinken.
Prostitutionsverbote etwa in Schweden oder in weiten Teilen der Vereinigten Staaten haben mitnichten den käuflichen Sex beseitigt, sondern ihn nur in die Heimlichkeit verbannt. Das hat, sagen einige Studien, den Job für männliche wie weibliche Prostituierte oft weit gefährlicher gemacht, weil sie ihren Freiern schutzlos ausgeliefert sind.
Die Nachfrage ist zu groß
Der Konsum von Alkohol und Cannabis, der käufliche Sex sind nicht aus der Welt zu schaffen. Die Nachfrage danach ist einfach zu groß, der Markt zu stark und gesellschaftlich etabliert. Verbote lassen sich darum nicht durchsetzen, sie wirken hilflos, überfordern Polizei und Justiz. Deshalb sollte man sich lieber den Kopf darüber zerbrechen, wie man die negativen Begleiterscheinungen dieses Verlangens und dieser Märkte so gering wie möglich hält.
Städte wie München haben auf einigen Plätzen wie etwa am Hauptbahnhof ein Alkoholverbot eingeführt und setzen es auch durch. Damit der Straßenstrich nicht zu einem ständigen Ärgernis für die Anwohner und damit zu einem politischen Problem wird, haben ihn einige Stadtverwaltungen in dünn besiedelte Randgebiete verlegt und zum Schutz der Prostituierten sogenannte Verrichtungsboxen und Toiletten aufgestellt, nebst einem Container für Polizisten und Sozialarbeiter.
Nach Jahrzehnten der absoluten Hilfslosigkeit in der Drogenpolitik wäre es darum endlich auch an der Zeit, weiche Rauschmittel wie Cannabis freizugeben und in eigens dafür lizenzierten Geschäften zu verkaufen. Damit wäre man keineswegs alle Probleme los, wie Beispiele aus den Niederlanden oder einzelnen amerikanischen Bundesstaaten zeigen. Aber man müsste sich nicht mehr über die dreisten Dealer im Park ärgern und nicht über die in der Tat etwas kuriose Idee streiten, farbig markierte Händlerplätze im Görli einzuführen.