Hat Wladimir Putin die amerikanische Präsidentenwahl durch Hacker beeinflussen lassen? Der Bericht der US-Geheimdienste CIA und NSA samt FBI behauptet es. Donald Trump, der sich seinen Sieg nicht abwerten lassen will, verneint es hartnäckig. Was also soll man davon halten?
"Russland hatte das Ziel, das Vertrauen der Öffentlichkeit in Amerikas demokratischen Prozess zu unterminieren, die frühere Außenministerin Clinton schlechtzumachen und ihre Wählbarkeit wie ihre Präsidentschaftsaussichten zu beeinträchtigen", heißt es in dem Bericht der Dienste. Beweise werden nicht vorgelegt; da verschanzen sich die Autoren hinter ihrer Pflicht, ihre Erkenntnisquellen und Informationswege zu schützen.
Kein Wunder, dass Zweifel bleiben. Sie werden verstärkt durch die Einschränkung der NSA – die einstigen Merkel-Abhörer geben selbst in dem öffentlich gemachten Teil des Berichts an, sie hätten nur geringfügiges Vertrauen (moderate confidence) in die Kernbehauptung, es habe in Russlands Interesse gelegen, Trump zu helfen und Clinton zu schaden.
Die USA mischen sich auch in Wahlkämpfe ein
Skepsis bleibt also, wo nicht sowieso geboten, auf jeden Fall berechtigt. Dazu tragen auch Expertenanalysen wie die von Andrew Cockburn bei, die auf die Ungereimtheiten des Berichts hinweisen. Selbst die FAZ bezeichnet die Belege für eine russische Beeinflussung der Präsidentenwahl als "mickrig", wenngleich nur im Feuilleton. Den Eindruck der Mickrigkeit wird verstärkt durch die Tatsache, dass zwischen "Russland" – will sagen: Putin – und "Russen" – irgendwelchen auftragslosen, frei marodierenden russischen Hackergruppen – nirgendwo unterschieden wird.
Ich halte die ganze Aufregung indes für maßlos überzogen. Dies aus drei Gründen.
Zum Ersten: Mehr oder minder massive Einmischung in ausländische Wahlkämpfe ist nichts Neues. Sie wird nicht nur von Russland, sondern ebenso von Amerika betrieben, und dies nicht erst im Internetzeitalter. In einer kalifornischen Dissertation hat der Politologe Dov H. Levin Russen und Amerikanern im Zeitraum von 1946 bis 2000 117 Fälle von Wahleinmischung nachgewiesen; 81 davon entfallen auf die USA. Die Verbreitung von Fehlinformationen und Propaganda-Trommelfeuer waren gang und gäbe. Im Durchschnitt jedoch sei der Wähleranteil der von außen unterstützten Partei allenfalls um 3 Prozent erhöht worden.
Für Hillarys Unbeliebtheit brauchte es keinen russischen Einfluss
Zum Zweiten: Die Unbeliebtheit Hillary Clintons war im Rostgürtel der Vereinigten Staaten und in den verarmten Landwirtschaftsgebieten auch ohne russische Einmischung mit Händen zu greifen – und all die Fußkranken der Globalisierung, die "Abgehängten" und Vergessenen, gehörten kaum zu denen, die sich auf undurchsichtige Internetenthüllungen eingelassen hätten.
Dass Trump die Wahlen gewann, obwohl Clinton an die drei Millionen Stimmen mehr auf sich vereinigte, liegt nicht an russischer Unterstützung, sondern an den Eigenheiten des amerikanischen Wahlsystems: am verfassungsrechtlichen Wahlmännerkollegium; an der Pflicht, dass die Wähler sich registrieren lassen müssen, Schwarze jedoch oft daran gehindert werden; schließlich an der schamlosen Zuschneiderei der Wahlkreise nach parteipolitischen Gesichtspunkten.
Zum Dritten: Unterstellt, die russische Regierung hätte sich tatsächlich eingemischt – bewirkt hat sie damit nichts. Selbst der Geheimdienstchef James Clapper, befragt im Senat, musste einräumen: "Sie haben nicht an der Stimmenauszählung herumgemacht. Wir können nicht im geringsten einschätzen, welchen Einfluss sie auf die Entscheidung der Wähler hatten." Viel Lärm um Nichts also?
Fake-News – falsche, erfundene, verlogene Nachrichten – mögen im US-Wahlkampf eine Rolle gespielt haben. Doch die meisten solcher Nachrichten – früher nannte man sie Zeitungsenten – stammten wohl von Trumps Anhängern, wenn nicht gar von ihm selbst. In der polarisierten Welt amerikanischer Politik sind Fake-Newsin erster Linie Ausdruck einer üblen demokratischen Entartung. Sie sind jedenfalls hundert Mal gefährlicher als leicht zu durchschauende russische Propaganda. Unterminierung der Demokratie? Durch sie droht die größte Gefahr.
Mehr Vertrauen in die Vernunft der Wähler
Im Bericht der US-Geheimdienste steht auch eine Warnung an die Europäer. Nach ihrer Einschätzung wird Moskau die Lehren aus der Wahlkampagne ziehen und auch auf die bevorstehenden Wahlen in Europa Einfluss nehmen, zumal auf Deutschland. Zur Schlagzeile verdichtet heißt das: "Angela Merkel, Russlands nächstes Ziel." Das Bundesamt für Verfassungsschutz sagt etwas weniger reißerisch dasselbe. Auch der Bundeswahlleiter macht sich Sorgen.
Nun ist nicht auszuschließen, dass "die Russen", wer immer das ist, hierzulande versuchen, Einfluss auf den Wahlkampf zu nehmen, die Wähler durch "Enthüllungen" zu beeinflussen oder sie durch Fehlinformationen zu manipulieren. Doch sollten wir nicht hysterisch werden. Wer hört schon auf Russia Today oder Sputnik außer denen, die ohnehin antidemokratischer Gesinnung sind? Wer lässt sich ernsthaft von gehackten Informationen aus dem Digitalarchiv des Bundestages beeinflussen? Und wen könnte man nicht durch zielgerichtete, prompte und überzeugende Korrektur von Falschmeldungen im Internet davon abhalten, sich manipulieren zu lassen? Liebe Politiker, habt doch bitte etwas mehr Vertrauen in die demokratische Standhaftigkeit und die Vernunft der übergroßen Mehrheit unserer deutschen Wähler!
Natürlich müssen der Bundestag, müssen auch unsere Ministerien und Verwaltungsorgane sich gegen digitale Angriffe wappnen, gleichgültig, ob sie aus Russland oder Amerika oder von sonst woher kommen. Doch Fake-News, lügenhafte Darstellungen im Internet, gern verbreitet von denen, die unsere objektiven Medien als "Lügenpresse" verunglimpfen, sind die größere Gefahr. Vor allem tut daher eine Instanz not, die sich darauf spezialisiert, Fake-News schnell und schlagend als solche zu entlarven und damit der Wahrheit im politischen Geschäft ihre Chance zu bewahren. Die deutschen Journalisten und Verlegerverbände sollten sich schleunigst zusammentun, um gemeinsam mit einschlägigen akademischen Instituten und dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestages eine solche auf die Beine zu stellen. Bloß zu bangen und zu jammern bringt gar nichts. |
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