Kiyaks Deutschstunde: Die Kanzlerin muss für Deniz kämpfen

 
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Kiyaks Deutschstunde
03.03.2017
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Die Kanzlerin muss für Deniz kämpfen
 
Angela Merkel hofft auf eine faire Behandlung für den in der Türkei inhaftierten Journalisten Yücel. Das ist geradezu apolitisch in der aktuellen Situation!
VON MELY KIYAK

Im Fall des inhaftierten Kollegen Deniz Yücel hat Außenminister Sigmar Gabriel den nötigen Druck aufgebaut. Nun sprechen nicht mehr die Bittsteller, die Hoffenden und Betenden. Jetzt stellt ein Staat Forderungen und wird demnächst womöglich sogar politisch und nicht nur diplomatisch handeln. Dennoch lohnt sich es, Angela Merkels gestrige Äußerung noch einmal anzuschauen und auf das Wörtchen "rechtsstaatlich" hinzuweisen.

Sie sagte:
Wir werden uns weiter nachdrücklich für eine faire und rechtsstaatliche Behandlung Deniz Yücels einsetzen und hoffen, dass er bald seine Freiheit zurückerlangt.

Beginnen wir von vorn. Es wurde immer wieder berichtet, dass die Inhaftierung des deutschen Journalisten Yücel die Entscheidung eines türkischen Haftrichters sei. Formal stimmt das, aber auf feinsinnige Unterscheidungen zwischen Regierung und Justiz kann man getrost verzichten. Eine öffentliche und prominente Angelegenheit wie die von Deniz Yücel, die natürlich kein gewöhnliches Kapitel einer justiziablen Angelegenheit ist, sondern ein Politikum, kann nur als Affront von Seiten der AKP-Führung und des türkischen Präsidenten bewertet werden. Denn für deren Geschmack saß Deniz einfach zu oft auf Pressekonferenzen und stellte ihnen unbequeme Fragen bezüglich Rechtstaatlichkeit und Pressefreiheit. Er bekam übrigens durchweg patzige, pampige und beleidigte Antworten. Ob er eigentlich der dritte Regierungschef im Raum sei, entgegnete ihm einmal Ahmet Davutoğlu, der vorherige Ministerpräsident.

Bedauernd, betrauernd, resigniert

In der Türkei gehört das Entsetzen über die Inhaftierung bekannter türkischer Journalisten genauso zum Alltag wie die Absetzung fast aller HDP-Bürgermeister von 103 Gemeinden, die bei den Kommunalwahlen 2014 auf demokratischem Weg gewählt wurden und in den kurdischsprachigen oder kurdisch geprägten Gebieten leben. Das zeigt sich zum Beispiel auch daran, dass ein derart prominenter Politiker wie Selahattin Demirtaş, Vorsitzender der HDP, inhaftiert werden konnte, obwohl man immer dachte, wenn das geschehe, bleibe kein Stein auf dem anderen. Am Ende wurde es zur Kenntnis genommen wie alle anderen Fälle von Unrecht auch, nämlich bedauernd, betrauernd, resigniert. Eine Gesellschaft, in der es nicht mehr nur prominente Menschen oder Funktionsträger trifft, sondern auch die eigenen Geschwister, Nachbarn oder Eltern, muss mit der Zeit ermüden.

Der Ausnahmezustand ist zur Normalität der Türkei geworden. Fast die Hälfte der Zeit, die die Türkische Republik existiert, hat sie im Ausnahmezustand oder im Kriegsrecht verbracht. Mal galt das für alle Provinzen der Türkei, mal ausschließlich für die kurdischsprachigen Provinzen. Selbst die Meldung, dass der derzeitige Ausnahmezustand erneut um drei Monate verlängert wird, ist in der Türkei keine Ausnahmemeldung, sondern die Fortsetzung dessen, was man gut kennt.

Der Ausnahmezustand dient, verkürzt gesprochen, dazu, dass man an den Gesetzen vorbei Ausnahmegesetze anwendet. Das bringt kafkaeske Situationen mit sich: Ausnahmezustände führen zur Ausnahmeverwaltung mittels Ausnahmeverwaltungen. Anwälte können in diesem Apparat nur wie Fremdkörper umherirren. In unzähligen Fällen hat das Mandat dazu geführt, das die Anwälte später ebenfalls angeklagt wurden. Deshalb ist die Hoffnung der Kanzlerin, in einem Ausnahmezustand möge es eine "rechtsstaatliche Behandlung" geben, naiv.

Wer Propaganda will, kann Journalisten nicht gebrauchen

Auch der Begriff Untersuchungshaft ist ein Hohn. Man kann die Vorsilbe Untersuchung getrost weglassen. Kollegen berichteten von Deniz Yücels Befragung vor der Verhaftung. Es ging im Wesentlichen um seine Artikel, die allesamt nicht nur der Justiz vorliegen, sondern der ganzen Welt. Man kann sie anklicken und lesen. Warum also eine Befragung? Die Sache hätte man auch abkürzen können.

Kein Journalist in der Türkei kann ungestraft über die PKK berichten, ohne hinterher der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation beschuldigt zu werden. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar: Die türkischen Machthaber kennen nicht den Unterschied zwischen Verstehen-wollen und Mitmachen. Über die PKK zu berichten ist etwas anderes, als sie zu unterstützen. Deniz Yücel führte ein Interview mit einem Mitglied aus der PKK-Führung in den Kandil-Bergen. Diese Arbeit war Bestandteil der Befragung. Deniz Yücel tat damit etwas, das der Kern des Journalismus ist: eine Gegenposition einholen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man wissen will, wofür die PKK steht, was ihre Forderungen sind. Die Regierung betrachtet die Presse nicht als Bestandteil der Demokratie, sondern als ihr Feind. Wer Interesse an Propaganda hat, kann Journalisten natürlich nicht gebrauchen.

Niemand durfte ungestraft über Kurdenpolitik und insbesondere die PKK berichten, diesen Zustand kennt die Türkei gar nicht. Es ist ja ohnehin merkwürdig, dass eine Terrororganisation zeitweilig mit Waffen für muttersprachlichen Kurdischunterricht an türkischen Schulen kämpfte. Das will man doch alles verstehen. Das muss man sogar verstehen wollen. Aber Aufklärung und Propaganda waren nicht nur für diese Türkei, sondern die Türkei in all ihren Jahrzehnten identisch.

Der Streitfall geschah im deutschen Fernsehen

Im Übrigen wird gerade eine Mauer zwischen Syrien und der Türkei gebaut, aus Angst vor einem weiteren unabhängigen kurdischen Staat. Es geht in der Türkei immer um Kurdenpolitik. Immer. Um das besser erklären zu können, muss man hingehen und berichten dürfen. Stattdessen sitzen in jeder deutschen Talkshow des Öffentlich-Rechtlichen AKP-Propagandisten und dürfen in Ruhe die Türkei und ihre Politik legitimieren. In solch einer Talkshow stritt sich Yücel übrigens mit einem dieser ominösen Leute. Allen war klar, dass man Deniz bestrafen wird. War nur die Frage, ob vor oder nach dem Referendum.

Aus deutscher Perspektive aber ist es unerheblich, wie die Türkei über die Presse denkt. Der deutschen Regierung kann es immer nur um die eigene Pressefreiheit gehen, und um die hat man nicht zu hoffen, sondern zu kämpfen. Alles andere ist apolitisch. Deniz Yücel hat für eine deutsche Zeitung gearbeitet, er hat für deutsche Leser berichtet. Deniz saß zusammen mit deutschen Politikern in deutschen Talkshows und hat dem deutschen Publikum die Türkei erklärt, seine Expertise war immer auch Bestandteil der politischen Meinungsbildung der deutschen politischen Öffentlichkeit. Die ständige Wiederholung in der Berichterstattung, dass er ein Deutsch-Türke sei, einer mit zwei Pässen, schiebt den Fall in den Zuständigkeitsbereich der Türkei. Es ist aber kein türkischer sondern ein deutscher Fall, Deniz' Festnahme ist ein Angriff auf die deutsche Pressefreiheit.

Auch deshalb ist Angela Merkels Hoffnung auf Fairness verheerend. Damit sendet sie folgendes Signal an hiesige Journalisten: "Bitte geht und schreibt und berichtet, und seid euch meiner Solidarität sicher, wenn ihr inhaftiert werdet". Solidarität statt Maßnahmen und Konsequenzen, das ist bitter.

Deniz kann seine Freiheit, wie es in dem Zitat auch hieß, im Übrigen nicht selbst erlangen. Das Labyrinth der türkischen Ausnahmeregelungen in einer Ausnahmezeit in einem Ausnahmeland mit Ausnahmepartei und Ausnahmepräsident dienen nur dazu, die Freiheit niederzuschlagen und den einzelnen wie eine Ameise hektisch und emsig mal in diese Richtung, dann in die andere laufen zu lassen. Bis der Einzelne aufgibt und sein Widerstand gebrochen wird.

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